Kategorie: Schönheit
L’art pour l’art – die Kunst um der Kunst willen
Petite Cuisine, 17.03.22
Ob es vor vierzig Jahren anders gewesen ist, könnt ihr in einer Geschichte auf der Vowi-Seite nachlesen.
Damals würde wohl eher im Tannenbaum als im Jordaneck Popmusik aus der Sowjetunion im Kassettendeck abgespielt werden. Beispielsweise Musik von Alla Pugatschowa, eine Mischung aus Schlager, Chanson, Folklore und einer Brise Rock, die im Westen bekannter als die Kurzzeit-Generalsekretäre Andropow und Tschernjenko gewesen ist.
Heute wird in der Volkswirtschaft russische Popmusik gestreamt. Inwieweit diese politisch korrekt für alle passend und für alle, besonders in Russland, erreichbar ist, bleibt eine Gratwanderung, ähnlich sich nicht mit einem bekannten Virus anzustecken.
Meine Lieblinge, die Band „Shortparis“, kommen (auch) aus Sankt Petersburg. Mit ihrem aktuellen Video schaffen sie es sich wohl in Russland nicht angreifbar zu machen und dennoch kommentieren sie die extrem verschärfte Situation im historischen Kontext und zeigen ihre eigene Zukunft auf. Das muss man erstmal schaffen. In meinen Augen herausragend. Ihre angesagte Tour auch nach Deutschland findet hoffentlich statt. Der Sänger Nikolai Komyagin wurde, wie es heißt, auf einer Antikriegsdemo verhaftet:
Ganz neu:
Яблонный Сад – Apfelgarten:
Mein Lieblingstitel und Video:
КоКоКо / Cтруктуры не выходят на улицы – Kikeriki/Strukturen demonstrieren nicht
Vor vierzig Jahren
1. Teil
Vor vierzig Jahren war die Welt nicht so viel anders.
Ein gewichtiger, eigentlich der wichtigste Präsident damals hatte vor seinem Amt eine Karriere als mittelmäßiger Schauspieler. Politisch, in seinem Auftreten und in seiner pausbäckigen Beschränktheit die Welt erklärend, stand er für all das, was man, wenn man doch mal erwachsen wird, nie sein wollte.
Der sich weiter im Osten befindliche, also der andere wichtigste, nicht Präsident, sondern Generalsekretär benannt, hatte ein nicht zu überhörendes Alkoholproblem und sollte bald sterben. Bei ihm wurden eigentlich alle, die sich gegen ihn äußerten, irgendwie bestraft. Im Bestrafen gab es dort eine lange ausgeklügelte Tradition, aber manche der jungen aufmüpfigen Leute, von denen gleich noch die Rede sein wird, taten so, als ob das ein zwei schwerwiegende Ausnahmefehler gewesen wären, die eben mal passieren, aber eigentlich sei doch vieles richtig und damit gut.
Es wurde damals extrem viel Geld für Rüstung ausgegeben. Man schreckte vor nichts zurück, um sich gegenseitig zu gruseln, dass einem der andere nichts tat. Schlussendlich, weil man manchmal keine kleineren Länder fand, wo man sich stellvertretend bekämpfen konnte, verlagerte man dieses Gleichgewicht des Schreckens in das Weltall.
Ein paar Jahre später, aber noch lange vor unserer Zeit, gab es den letzten Generalsekretär, der sah ein, dass man kein Geld mehr hatte, um all die Waffen zu bezahlen und dass es längst sinnentleert geworden war, wie sein Staat sich erklärte und existierte. Er zerfiel. Löste sich aber nicht auf. Vielmehr wurde er zunehmend beleidigter in seinen Resten. Vielleicht weil er so klein war und sich von den anderen nicht akzeptiert fühlte. Diese Reste knüpfen an die ausgeklügelte Tradition des Bestrafens an und sorgen sich jetzt weniger um den Aufbau des Kommunismus in ihren Aufsätzen, als um das 3. Rom. Ihren Nachbarn versuchten sie das gleiche einzutrommeln.
2. Teil
Vor vierzig Jahren gab es noch keine Volkswirtschaft. Aber eine Kneipe an gleichen Stelle fand sich durchaus. Das junge Volk, eher aufmüpfig, ging lieber ein paar Meter weiter in den Tannenbaum und ins Flotte. Hier war sicher die Eintracht ein Thema. Sie spielte in der Saisons 81/82 gut, wobei mehr solide im Mittelfeld. International flog sie im März gegen Tottenham aus dem Viertelfinale des Europapokals raus. Die jungen aufmüpfigen Leute von damals beschäftigten weit mehr die Ereignisse um die Startbahn West oder eine Vorbereitung einer Demo gegen die Politik der USA in Mittelamerika.
In Frankfurt erhielt die Hochkultur mit der endlich wiederhergestellten Alten Oper ein zentrales Symbol. Die aufmüpfigen jungen Leute hatten natürlich damit ein Problem. Was dort, hochsubventioniert vom Staat, aufspielte, wo weniger die Eltern der aufmüpfigen jungen Leute, weil zu teuer, als vielmehr deren Vermieter in Abendgarderobe sich Mahlers 8., schrecklich schön traurig und dabei so bedeutsam, zur Wiederöffnung anhörten, brauchten sie ganz sicher nicht. Ihre Gefühle fanden sie viel besser wiedergegeben in einem Orchester, welches mit zerstörendem Lärm so stark pulsierte, dass es diese alten und neuen Bauten schier zum einstürzen brachte.
Im Schaufenster der Buchhandlung, wo im Antiquariat ein junger, leicht cholerischer Taxifahrer, der Jahre später in Amt und Würde mit zerknautschten Gesicht neuen jungen aufmüpfigen Leuten die Weltpolitik erklärte, starrten unsere jungen aufmüpfigen Leute auf den lang erwartenden vierten Band eines deutsch-deutschen Schriftstellers. Er, der mittlerweile in Vergessenheit geriet, soff sich langsam in seinem Exil auf einer Insel Pfeife rauchend zu Tode. Erst als dem Wirt seiner Stammkneipe auffiel, dass er tagelang nicht mehr kam, wurde bei dem einsiedlerischen Schriftsteller an die Tür geklopft. Als keiner antwortete, wurde die Tür aufgebrochen. Man fand ihn tot. Aber seine Bücher gab es in der Stadtteilbibliothek und sie waren voller Phantom-Schmerz nach der verkaterten Heimat, die doch irgendwo existieren muss. Entweder also, man soff sich die Erinnerung schön oder umschlich sie, scheu wie eine Katze.
3. Teil
Als dann vor vierzig Jahren die jungen aufmüpfigen Leute die Plakate sahen, dass jener Musiker am 11.06. in die Stadt kommt und ausgerecht dort spielt, wurde hin und her diskutiert. Wenn er kommt, sagten die einen, dann gehe ich auf jeden Fall hin. Wenn es einen gibt, der unbeugsam, schonungslos und politisch auf den Punkt, ohne sich anzubiedern, ist und schrecklich schöne Musik macht, die unentschieden zwischen Trauer, Zynismus und Lachanfällen schwebt, dann er. Auch an einem Ort der Hochkultur. Andere hatten vor, nach Westberlin zu gehen, um nicht zum Bund gezogen zu werden und freuten sich endlich, eine neuartige Welle von Musik zu erleben, die sie für viel klarer, direkter und somit moderner hielten als ihn. Und wieder andere drehten sich einen großen Joint, legten Musik aus Jamaica, die scheinbar vergeistigt durch Heilserwartungen, sich einfach nur Zeit ließ, weil sie später als eigentlich gedacht anfing, auf.
Beim Konzert dann, anstatt zu zuhören, verunstaltete während der Zugabe einer der jungen aufmüpfigen Leute eine amerikanische Fahne. Für ihn das Symbol des Imperialismus. Als er, wegen dem sie alle da waren, dies von der Bühne aus sah, fragte er rhetorisch gemeint, was man da mit seiner Fahne tut. Die anderen Zuhörer schrieen und pfiffen, was mehr als Zustimmung weniger als Ablehnung zur Verunstaltung gewertet werden konnte. Er, auf der Bühne, fluchte den Zuhörer an, das er sich sinngemäß zum Teufel scheren solle. Die Sache schien vergessen. Doch ihn, wegen dem sie alle da waren, sagte nach der nächsten Zugabe, man sollte doch im Zusammenhang mit der Fahne nicht vergessen, dass nicht alle Amerikaner wie ihr damaliger Präsident, der besagte ehemalige mittelmäßige Schauspieler, wären.
Lange diskutierten sie, auf dem Weg nach Hause im Tannenbaum noch vier fünf Henninger trinkend, das Konzert. Ein gerade neu eingestellter Hallenser brachte ihnen das Bier. Aber nicht, dass jener Musiker eine alte angebrannte Jimi Hendrix Gitarre spielte, dass er eine blutjunge hochintensive Band um sich hatte, er wieder einen Haufen unbekannter Lieder aufführte, er es geschafft hatte, alle neuen Stile und Moden einzubinden, zu kommentieren und all dies in einen Raum zu geben, der erfahrbar war, sondern seine Ansage zum Umgang mit der Flagge beschäftigte sie. Es ist und bleibt das Symbol des Imperialismus, meinte einer der jungen aufmüpfigen Leute. Der junge Hallenser, gerade aus dem Osten abgehauen, hörte mit einem Ohr zu. Eine Philosophiestudentin im Kolleg machte ihm schöne Augen, was er durchaus bemerkte. Wieder bei den jungen Leuten am Tisch meinte er, dass die Fahne für ihn und für viele weiter im Osten für die Idee der USA, aufgeschrieben in ihrer Verfassung, stehen würde, und die sei doch eine Grundlage. Nicht der Ex-Schauspieler als Präsident, sondern die Freiheiten, die das Gesetz garantiere, ergebe den Sinn. Die „Marseillaise“ seit doch beispielsweise vom reinen Text ausgehend sehr blutig. Aber für ihn stehe sie für… Abgelehnt! Das Sein bestimmt doch das Bewusstsein, wurde er von hinten aus dem Kolleg unterbrochen. Hör auf mit diesem sentimentalen bürgerlichen Schwachsinn. Wie soll sich ein Unterdrückter entscheiden können, wurde nachgesetzt. Der junge Hallenser, nicht auf dem Mund gefallen, antworte indem er aus seiner Schulzeit zitierte, wenn du nur deine Ketten, die dich binden, verlieren kannst, dann entscheidest du dich doch für die Freiheit. Sie ist das Wichtigste. Den Geschmack der Freiheit, ihre Süße, dabei sah er die Philosophiestudentin an, deswegen bin ich hier. Ein alter Genosse am Tresen sitzend, drehte sich um, schüttelte den Kopf und sprach, im Tannenbaum die Süße der Freiheit zu kosten, ist genauso dämlich, wie zu denken, dass die Mauer eines Tages verschwindet. Eher gibt es einen Weltkrieg, du Idiot.
Manches ändert sich und manches ändert sich nie.
Manches ist wahr, manches erfunden.
Quellen:
Zappa und Umgang USA-Fahne während Konzert in Brüssel 14.05.82
Kommentar unter Konzert-Mitschnitt, Brüssel 14.05.82
Foto Eintrittskarte Zappa, Alte Oper, late show, 11.06.82
Fotos Jordanstraße 2022
Luca mit Annas Hilfe
Romane:
Peter Kurzeck
Oktober und wer wir selbst sind, 2007
Uwe Johnson
Jahrestage, Band 4, 1983
Musik:
Frank Zappa
Ship Arriving Too Late To Save A Drowning Witch, 1982
Nachtrag zum Verfall
Post von der Hausverwaltung: von „Kontantin der einen Opel fuhr“ A. D. 1453. Weitergeleitet von Mehmed II mit späteren Grüßen von Süleyman I. und Hürrem, wie man mit alten Dingen umgeht, sie umwandelt, neues baut, diese bewahrt oder nichts macht:
… Bzgl. der abgebrochenen Teile der Hausfassade (Jordanstr. 13) bitten wir Herrn M… diese nicht zu entsorgen, sondern aufzubewahren. Hier wird sich jemand mit Herrn M… in Verbindung setzen …
Und so lese ich aus der Zukunft heute meine Vergangenheit später, und des Nachts träume ich vom Tageswerk und beim Aufwachen denke ich, das kann doch nicht alles wahr sein, sei es erfunden, etwas freier nacherzählt, erlebt, geträumt oder längst vergessen:
Noch im Wasser, noch im Sand
klebt der Zucker was zusamm’n (sorry auch im Traum passt ja nicht immer alles auf den ersten Reim)
…
Verwelkte Blume, Gebrochener Stein
Das Haus der Heimat ist nicht fein
…
Ist die Stadt dann autofrei,
park ich den Tesla gebührenfrei
…
Das Butzenglas trübt doch die Sicht
Wo ist der Jordan in dieser Gischt
…
Wackel nur Caya, los der Leine
und bell dem Bürgermeister deine Reime
Am Sonntag bleibt die Kneipe zu.
Verfall und Untergang der Vowi
Wenn eines Tages vom Verfall und Untergang der Vowi gesprochen wird, könnten, ähnlich wie bei anderen großen Imperien, vier Gründe genannt werden, die alle berechtigt, aber nie umfassend dieses schreckliche Schauspiel einrahmen können.
(Vor dem nächsten Satz Luft anhalten und alles mit nach und nach spannungsgeladener Intonation, mit kurzen, in der Stimmhöhe nach oben gehendem Staccato, wiederum zum Schluss langsam und betont lesen oder sprechen.)
So wie der steuerlich absetzbare Ausschankverlust einem Rinnsal gleich aus einem kaputten Zapfhahn tröpfelt und das Fundament untergräbt, damit Einstürze verursacht, die Kosten ergeben, die eines Tages nicht mehr beglichen werden können, weil alles, aber auch alles, vertröpfelt, verschüttet und vergossen ist.
Hast’n gefunden?
Bei den Männern landen die Tropfen, da ja kein Papier neben den Pissoirs liegt, in der Unterhose und auf dem Boden. Vor lauter evolutionärer Gebietsmarkierungen verklärt sich der Geruch zu der bekannten spätnächtlichen Dekadenz, von der ein mittlerweile vergessener Politiker vor langer Zeit sprach. Dies ist der erste Ansatz. Es stinkt zum Himmel. Alle rümpfen die Nase. Nur keiner wischt’s weg. Vielleicht hätte auch hier ein Putzroboter geholfen. Ein Kamerad für den Wirt.
Überbringer der Nachricht
Als die Katastrophe, die zum Verfall und Untergang führte, in der Vowi ausbrach, so der zweite Ansatz, floh der eine Teil panikartig in alle Richtungen, ohne zu wissen, dass überall längst die Seuche grassierte. Der andere Teil ergab sich in stiller Frömmelei dem bierseligen Suff, schunkelte zu abgeschmackten Liedern, in denen das Europa der Vowis und deren Herzenswärme ausgerechnet vom Prätorianer-Chor des feldmausgesichtigen Kommandanten besungen wurde. Ganz verrückt wurde es, als unser Latein mit griechischen Ausdrücken unterwandert wurde, wie Δ, Ο, αυγά, vibe, Diggah, αδερφός, γαμώτο, καταλαβαίνετε τι εννοώ, σπασμένο, ραπ για ράπερ, ανταγωνισμός, κλικ, Instagram, αναδημοσίευση, περιεχόμενο, ωραία, ηλικία, beats, παιδιά, 31 ετών, κύριος, οικογένεια , προσωπικότητα, ροή, ρέει.
Bald war keiner mehr da, der es buchstabieren konnte und einen Carola-Gutschein besaß, um diesen in der Vowi einlösen. Der Wirt, wenn er die Seuche überlebt hätte, wäre allein in der Welt. Schön allein.
Verlustangst transformiert
Wann es anfing, lässt ist nicht genau sagen. Wie das Alter nach und nach Besitz ergreift, man die Haare verliert und Falten sich manifestieren, so schlich sich etwas ein. Eine Transformation. Gleichzeitig verschoben sich die empfundene, erlebte und erzählte Zeit. Sie verdrängten das Bisherige das zum Mythos deklariert wird. „Good old music“ steht unter dem Namen einer Kneipe im Frankfurter Nordend. Damit werden keine Walzer, Operettenmelodien oder Obertonmusik aus Tuva gemeint sein, obwohl diese viel älter, als die hier verheissene und anhand des Kneipennamens benennbar ist. Eine achtzehnjährige Frau tat mir ernsthaft kund, dass sie kein besseres Lied kenne als „Sing mein Sachse sing“ und es, davon sei sie überzeugt, nie ein besseres geben werde. Vielleicht waren es die neuen Farben an den Wänden der Kneipe, die „Dächer von Paris“ und „Stille Eleganz“ hießen. Als auf einmal eine junge Frau am Tresen nicht laut, dennoch klar genug, dass wir es alle hörten, rülpste und ihre Freundin von der Toilette kommend, sich nicht im Spiegel ihres schönen Scheins vergewisserte, sondern den Reißverschluss ihres Hosenstalls ohne Diskretion schloss, verwischte, veränderte, verlor sich die Vowi in der Zeit. Schließlich bestellte einer, der nie etwas anderes als Binding getrunken hatte eine Coca-Cola. Der Wirt stellte ihm ein Pepsi hin und sprach das Koan: „Die einsame Cola macht den Wirt trunkener als den Gast“.
Drunter und drüber
Weil er den Hals nicht voll genug kriegen konnte von Sandwichmakern, Espressomaschinen mit Blockchain-Technologien und südkoreanischen Filmen mit philippinischen Untertiteln luchste er wie der feldmausgesichtige Kommandant der Prätorianer nach einem neuen Auto. Die Ladesäule dafür sollte direkt vor der Vowi stehen. Dazu benötige er Geld, viel Geld. In einem geheimen Bieterwettbewerb kaufte er das Tannenzapfl, den Prof. Helgoland und im Nordend ein nach einer unansehnlichen Stadt benanntes Kellerlokal unweit des Backstage. Schließlich griff er nach dem Cathering im Waldstadion und wollte aus der Vowi einen Sandwich-Laden machen. Nach zwei Tagen eines Sturmes der Entrüstung im Netz entlud sich die Wut in Wandschmierereien, Verwünschungen. Die Drohungen ließen nicht lange auf sich warten. Ein wütender Mob, digital ausgebrannt, zerschlug symbolisch eine 0 und eine 1, demolierte einen Sandwichmaker und sang auf Philippinisch „Auf die Fresse“. Es kam, wie es kommen musste. Der Wirt befehligte seine hochgezüchtete Armee aus dem Keller, verband sich mit dem Euch bekannten, dauergrinsenden Kommandanten und ein Bürgerkrieg entbrannte. Mit selbstgebauten Erbsenpistolen aus Tic-Tac-Schachteln und Radlerpisttis wurden Anschläge und kaputte Gläser gezählt. Der Kneipenkultur und dem Wirt bekam dies gar nicht. Allein ohne eine Cola blieb ihm Arbeit als Kloputzer in einem neuen Laden. Im Omikron.
Eigentlich wollte ich nur schreiben, dass heute am Sonntag zu ist.
Heute ist zu.
Heute am Sonntag ist die Kneipe zu.
Anstatt Euch zu überlegen, ob Ihr deswegen ins Kino geht,
um Euer popkulturelles Wissen zu erweitern, indem ihr Matrix 4 schaut, empfehle ich Euch drei Filme auf Arte.
Jetzt klicken natürlich schon die ersten weg, weil sie meinen, die Eintracht hat ja schon gespielt und Sky Arte noch nicht aufgekauft. Die Nächsten können sich ein Gähnen nicht unterdrücken, weil sie denken, Arte ist so langweilig wie eine leere Kneipe mit einem Wirt, der in der Küche verschwindet und man am Tresen ohne sein vergessenes Handy sitzt, um alkoholfreien Apfelwein von Rapps zu trinken. Die jetzt noch Übriggeblieben, die vielleicht bereit wären zu schauen, schlafen schon längst, weil sie morgen früh ihr Homeoffice zeitiger anfangen müssen.
Versuchen will ich es dennoch:
Szenen einer Ehe in der Langfassung:
quälend lange,
Selbstzerfleischung mit einhergehender Selbstdiagnose seiner selbst in Form der geführten Beziehung,
Meisterwerk von Ingmar Bergmann mit Liv Ullmann in der Hauptrolle, die ihre schauspielerischen Abgründe wie Pauspapier durchscheinen lässt
In der TV-Illustrierten würde ich schreiben: Beziehungsdrama oder was in den Fußnoten der Sternzeichen steht
https://www.arte.tv/de/videos/RC-021876/szenen-einer-ehe/
Vigil:
Krimi-Miniserie,
spannend, nicht aus der Luft gegriffen,
zeigt, was hinter und vor den Kulissen passiert,
im Original mit schönem schottischen Dialekt
In der TV-Illustrierten würde ich schreiben: Erfolgsserie aus GB, die vor der eindrucksvollen Küstenlandschaft Schottlands einen Mord auf einem Atom-U-Boot mit den traumatischen Erlebnissen der ermittelnden Kommissarin verknüpft
https://www.arte.tv/de/videos/096217-001-A/vigil-1-6/
Magical Mystery Tour:
Film nach Roman von Sven Regner der bekannt als Sänger von „Element of Crime“ ist und auch witzigen Podcast „Narzissen und Kakteen“ darüber gemacht hat,
eine Gruppe leicht bist sehr durchgeknallter Techno-DJs machen eine Tour durch Deutschland,
den Bandbus fährt ein liebevolles Monster namens Charlie, der mal einer von ihnen war, in der Klapse landete und seitdem kettenrauchend in einer Entziehungs-WG in Hamburg wohnt,
verrückt zu sein liegt im Auge des Betrachters oder – für Arte-Konsumenten liegt das auf der Hand – man meint es wie Foucault, der sagt, u.a. auch der „Wahnsinn“ ist ein gesellschaftliches Konstrukt, welches man kennen, einordnen und dechiffrieren kann.
In der TV-Illustrierten würde ich schreiben: unterhaltsamer Roadmovie mit vielen verschrobenen, aber liebenswerten Charakteren, führt uns in die Nuller Jahre nach Hamburg, Berlin und den Rest der Republik
Nicht mehr in der Arte-Mediathek vorhanden. Müsst Ihr Euch in der Stadtbibliothek ausleihen oder streamen bei Amazon oder Sky
Trailer: https://youtu.be/jrLpKfV7dag
Petite Cuisine, 21.12.21
Petite Cuisine, 21.12.21
Heute haben ein Tyrann und ein Genie Geburtstag.
Die Erinnerung an den Tyrannen versucht man in dessen Land zu unterminieren:
https://www.deutschlandfunk.de/russischer-menschenrechtsorganisation-droht-aufloesung-100.html
Die Erinnerung an das Genie ist meine Schatztruhe.
Dies haben, beispielsweise, alle verpasst, die damals nicht dabei waren:
Dies kann man ganz aktuell kaufen. Musik zu einem Film.
https://www.jpc.de/jpcng/poprock/detail/-/art/frank-ost-zappa-200-motels/hnum/10728000
(Den Film selbst gibt es momentan aus rechtlichen Gründen nicht. Ich kann ihn verleihen.)
Petite Cuisine, 25.11.21
Äppler in der Teetasse, „Tauben im Gras“ lesend
Träumte ich letztens meine Mannschaft hätte gewonnen.
Nur war es seitenverkehrt. Trog mich die Erinnerung?
Der Kleiner Äppler war mein Lindenblütentee. Die Musik mit dem Handkäse in Muschelform drapiert, gab das Pfauenauge, sprich meine Madeleine.
Ein Freund aus der Normandie wollte es genau so, wie damals auf der Insel, an der Nidda oder noch weiter im Osten am Kanal.
In Frankfurt geht das auch, meintest Du.
Ich darauf, so ein Quatsch. Wie Bitteschön geht ein Wunder?
Später spürte ich die Musik im Atem der Freunde, die sich in den Armen lagen.
Nur ein kleiner Hund bellte dazwischen. War es bald so weit?
Wie Bitteschön geht ein Wunder, frage ich? Kannst Du nicht vergessen, trink noch einen, erinnere Dich, antwortest Du.
Nur nicht heute, am Sonntag, vor der Vowi, denn die nächsten Sonntage sind zu. War genug Fußball. Zudem ist Luca im Land des Porto Iberico. Am 08. August im Pokal gegen Waldhof ist sonntags wieder offen. Bei schönem Wetter wird die Eintracht und die Bundesliga draußen und nicht ausschließlich drinnen gezeigt. Zur Eintracht müsst Ihr bitte reservieren bzw. fragen, ob überhaupt noch Plätze frei sind.
FZ in der Frankfurter Festhalle
Das Konzert, unweit der Vowi in der Frankfurter Festhalle vor etwas mehr als 41 Jahren, war sehr gut besucht. Nach dem einleitenden Gitarrensolo auf einer Gibson Les Paul, die von Sound und Lautstärke dem Raum eine eigene Definition gab, begrüßte Zappa, darunter die zahlreichen zugekifften und besoffenen GIs, die Fans. Alle drängten in Richtung Bühne. Darauf forderte Zappa auf, cool zu bleiben. Er benutzte den Rhythmus des Intro und ließ die Band kurzerhand ein mehrstimmiges „Move Back ‚N Sit Down“ intonieren. Seine „Rockin’ Teenage Combo“ stellte er namentlich vor, indem er bei jedem einzelnen Musiker betonte, wie sie sich freuen, wenn die Fans sich ruhiger verhalten würden.
Zappa kam damals mit frisch gestutzten Haaren (auch als Krähennest tituliert) und trug gerne eine pinkosa Glitzerhose, die sich in jeder Disko gut gemacht hätte. Er spielte fast komplett seine noch nicht veröffentliche LP „You Are Wahl You Is“. Dies war eine ungewöhnliche Liederauswahl, weil man damals Hits erwartete oder die sich gerade neu auf dem Markt befindliche Platte aufführte. Das Zeug, was keiner kannte, wollte eigentlich keiner hören. Die Fans waren erpicht auf seinen großen Hit „Bobby Brown“ oder auf Lieder, wo es um pornographische Detailarbeit ging, wie „Dinah-Mo Humm“. Zappa war es egal. Denn viel Hoffnung, irgendwas auszulösen hatte er nicht. Wenn es einen Einzigen im Publikum geben würde, der versteht, was er macht, hätte seine Musik einen Sinn, sagte er einmal. Viel Hoffnung besaß er dahingehend nicht. Seine lässige Selbstbewußtheit, gepaart mit einem professionellen Musikerethos, eine auf den Punkt spielende Band, seine Improvisationsfähigkeit, seinen Mut, über wirklich alles zu singen und zu sprechen, ob ironisch, zynisch oder ernst, sowie das herausragende Gitarrenspiel ließen seine Lieder in Kostümen zurück, die man so noch nicht gehört hatte.
Für mich ist die Musik Frank Zappas eine Kiste voller Schätze: Bei Öffnen geblendet, sehe ich kaum Unterschiede zwischen billigem Plunder und Diamanten, weil alles glänzt. Beim genaueren Hören, auch nach Jahrzehnten, gibt es Noten und Töne, die verblüffen, mich mit offenem Mund und einem beglückten Lachen zurücklassen. Dieses Jahr wäre er 80 Jahre alt geworden.
Immer, wenn ich bei Gref-Völsings die Rindswürste für die Vowi hole, freue ich mich, weil gleich im Nachbarhaus Zappa mit dem Ensemble Modern 1991 sein letztes Projekt „The Yellow Shark“ probte, was 1992 in der Alten Oper live aufgeführt wurde.
Das Ankündigungsplakat der Tour erscheint und erklingt, wie das böse Knurren eines noch an der Kette nur ziehenden Hundes. Beim Ansehen kokettiert der Konzertgänger mit der wohligen Angst auf das Verbotene, was er nur kennenlernt beim Versuch, sich nicht an den Massengeschmack und seinen Etiketten anzupassen.
Zappa macht es einem schwer. In einem Lied gibt es eine Aufzählung, welche gesellschaftlich genormten Etiketten man nicht als gegeben nehmen sollte. Zappa stutzte sie mit seiner Musik, wie ein Rasierapparat einen Bart. Seinen Status als Freak (Freak Out – so seine erste Schallplatte), der außerhalb des Establishment steht, genauso aber von diesen vereinnahmten Gegenbewegungen ohne jegliche politische Korrektheit hinterfragt, macht ihn als Popstar wertlos. Wenn man aber bereit ist, die Schatztruhe seiner Musik zu öffnen, wird man belohnt. Nicht mit Geld, sondern mit Glück, Fluchten und Trost in Tönen, die man nicht mehr vergessen will.
Einen ansehnlichen Videomittschnitt von der Europa-Tour 1980 gibt es aus Paris.