Kategorie: Drei, vier 🐵 aus der Vowi

Ein Roman über die Vowi, wenn er fertig ist.

Vor vierzig Jahren

1. Teil
Vor vierzig Jahren war die Welt nicht so viel anders.
Ein gewichtiger, eigentlich der wichtigste Präsident damals hatte vor seinem Amt eine Karriere als mittelmäßiger Schauspieler. Politisch, in seinem Auftreten und in seiner pausbäckigen Beschränktheit die Welt erklärend, stand er für all das, was man, wenn man doch mal erwachsen wird, nie sein wollte.
Der sich weiter im Osten befindliche, also der andere wichtigste, nicht Präsident, sondern Generalsekretär benannt, hatte ein nicht zu überhörendes Alkoholproblem und sollte bald sterben. Bei ihm wurden eigentlich alle, die sich gegen ihn äußerten, irgendwie bestraft. Im Bestrafen gab es dort eine lange ausgeklügelte Tradition, aber manche der jungen aufmüpfigen Leute, von denen gleich noch die Rede sein wird, taten so, als ob das ein zwei schwerwiegende Ausnahmefehler gewesen wären, die eben mal passieren, aber eigentlich sei doch vieles richtig und damit gut.
Es wurde damals extrem viel Geld für Rüstung ausgegeben. Man schreckte vor nichts zurück, um sich gegenseitig zu gruseln, dass einem der andere nichts tat. Schlussendlich, weil man manchmal keine kleineren Länder fand, wo man sich stellvertretend bekämpfen konnte, verlagerte man dieses Gleichgewicht des Schreckens in das Weltall.
Ein paar Jahre später, aber noch lange vor unserer Zeit, gab es den letzten Generalsekretär, der sah ein, dass man kein Geld mehr hatte, um all die Waffen zu bezahlen und dass es längst sinnentleert geworden war, wie sein Staat sich erklärte und existierte. Er zerfiel. Löste sich aber nicht auf. Vielmehr wurde er zunehmend beleidigter in seinen Resten. Vielleicht weil er so klein war und sich von den anderen nicht akzeptiert fühlte. Diese Reste knüpfen an die ausgeklügelte Tradition des Bestrafens an und sorgen sich jetzt weniger um den Aufbau des Kommunismus in ihren Aufsätzen, als um das 3. Rom. Ihren Nachbarn versuchten sie das gleiche einzutrommeln.

2. Teil
Vor vierzig Jahren gab es noch keine Volkswirtschaft. Aber eine Kneipe an gleichen Stelle fand sich durchaus. Das junge Volk, eher aufmüpfig, ging lieber ein paar Meter weiter in den Tannenbaum und ins Flotte. Hier war sicher die Eintracht ein Thema. Sie spielte in der Saisons 81/82 gut, wobei mehr solide im Mittelfeld. International flog sie im März gegen Tottenham aus dem Viertelfinale des Europapokals raus. Die jungen aufmüpfigen Leute von damals beschäftigten weit mehr die Ereignisse um die Startbahn West oder eine Vorbereitung einer Demo gegen die Politik der USA in Mittelamerika.
In Frankfurt erhielt die Hochkultur mit der endlich wiederhergestellten Alten Oper ein zentrales Symbol. Die aufmüpfigen jungen Leute hatten natürlich damit ein Problem. Was dort, hochsubventioniert vom Staat, aufspielte, wo weniger die Eltern der aufmüpfigen jungen Leute, weil zu teuer, als vielmehr deren Vermieter in Abendgarderobe sich Mahlers 8., schrecklich schön traurig und dabei so bedeutsam, zur Wiederöffnung anhörten, brauchten sie ganz sicher nicht. Ihre Gefühle fanden sie viel besser wiedergegeben in einem Orchester, welches mit zerstörendem Lärm so stark pulsierte, dass es diese alten und neuen Bauten schier zum einstürzen brachte.
Im Schaufenster der Buchhandlung, wo im Antiquariat ein junger, leicht cholerischer Taxifahrer, der Jahre später in Amt und Würde mit zerknautschten Gesicht neuen jungen aufmüpfigen Leuten die Weltpolitik erklärte, starrten unsere jungen aufmüpfigen Leute auf den lang erwartenden vierten Band eines deutsch-deutschen Schriftstellers. Er, der mittlerweile in Vergessenheit geriet, soff sich langsam in seinem Exil auf einer Insel Pfeife rauchend zu Tode. Erst als dem Wirt seiner Stammkneipe auffiel, dass er tagelang nicht mehr kam, wurde bei dem einsiedlerischen Schriftsteller an die Tür geklopft. Als keiner antwortete, wurde die Tür aufgebrochen. Man fand ihn tot. Aber seine Bücher gab es in der Stadtteilbibliothek und sie waren voller Phantom-Schmerz nach der verkaterten Heimat, die doch irgendwo existieren muss. Entweder also, man soff sich die Erinnerung schön oder umschlich sie, scheu wie eine Katze.

3. Teil
Als dann vor vierzig Jahren die jungen aufmüpfigen Leute die Plakate sahen, dass jener Musiker am 11.06. in die Stadt kommt und ausgerecht dort spielt, wurde hin und her diskutiert. Wenn er kommt, sagten die einen, dann gehe ich auf jeden Fall hin. Wenn es einen gibt, der unbeugsam, schonungslos und politisch auf den Punkt, ohne sich anzubiedern, ist und schrecklich schöne Musik macht, die unentschieden zwischen Trauer, Zynismus und Lachanfällen schwebt, dann er. Auch an einem Ort der Hochkultur. Andere hatten vor, nach Westberlin zu gehen, um nicht zum Bund gezogen zu werden und freuten sich endlich, eine neuartige Welle von Musik zu erleben, die sie für viel klarer, direkter und somit moderner hielten als ihn. Und wieder andere drehten sich einen großen Joint, legten Musik aus Jamaica, die scheinbar vergeistigt durch Heilserwartungen, sich einfach nur Zeit ließ, weil sie später als eigentlich gedacht anfing, auf.
Beim Konzert dann, anstatt zu zuhören, verunstaltete während der Zugabe einer der jungen aufmüpfigen Leute eine amerikanische Fahne. Für ihn das Symbol des Imperialismus. Als er, wegen dem sie alle da waren, dies von der Bühne aus sah, fragte er rhetorisch gemeint, was man da mit seiner Fahne tut. Die anderen Zuhörer schrieen und pfiffen, was mehr als Zustimmung weniger als Ablehnung zur Verunstaltung gewertet werden konnte. Er, auf der Bühne, fluchte den Zuhörer an, das er sich sinngemäß zum Teufel scheren solle. Die Sache schien vergessen. Doch ihn, wegen dem sie alle da waren, sagte nach der nächsten Zugabe, man sollte doch im Zusammenhang mit der Fahne nicht vergessen, dass nicht alle Amerikaner wie ihr damaliger Präsident, der besagte ehemalige mittelmäßige Schauspieler, wären.
Lange diskutierten sie, auf dem Weg nach Hause im Tannenbaum noch vier fünf Henninger trinkend, das Konzert. Ein gerade neu eingestellter Hallenser brachte ihnen das Bier. Aber nicht, dass jener Musiker eine alte angebrannte Jimi Hendrix Gitarre spielte, dass er eine blutjunge hochintensive Band um sich hatte, er wieder einen Haufen unbekannter Lieder aufführte, er es geschafft hatte, alle neuen Stile und Moden einzubinden, zu kommentieren und all dies in einen Raum zu geben, der erfahrbar war, sondern seine Ansage zum Umgang mit der Flagge beschäftigte sie. Es ist und bleibt das Symbol des Imperialismus, meinte einer der jungen aufmüpfigen Leute. Der junge Hallenser, gerade aus dem Osten abgehauen, hörte mit einem Ohr zu. Eine Philosophiestudentin im Kolleg machte ihm schöne Augen, was er durchaus bemerkte. Wieder bei den jungen Leuten am Tisch meinte er, dass die Fahne für ihn und für viele weiter im Osten für die Idee der USA, aufgeschrieben in ihrer Verfassung, stehen würde, und die sei doch eine Grundlage. Nicht der Ex-Schauspieler als Präsident, sondern die Freiheiten, die das Gesetz garantiere, ergebe den Sinn. Die „Marseillaise“ seit doch beispielsweise vom reinen Text ausgehend sehr blutig. Aber für ihn stehe sie für… Abgelehnt! Das Sein bestimmt doch das Bewusstsein, wurde er von hinten aus dem Kolleg unterbrochen. Hör auf mit diesem sentimentalen bürgerlichen Schwachsinn. Wie soll sich ein Unterdrückter entscheiden können, wurde nachgesetzt. Der junge Hallenser, nicht auf dem Mund gefallen, antworte indem er aus seiner Schulzeit zitierte, wenn du nur deine Ketten, die dich binden, verlieren kannst, dann entscheidest du dich doch für die Freiheit. Sie ist das Wichtigste. Den Geschmack der Freiheit, ihre Süße, dabei sah er die Philosophiestudentin an, deswegen bin ich hier. Ein alter Genosse am Tresen sitzend, drehte sich um, schüttelte den Kopf und sprach, im Tannenbaum die Süße der Freiheit zu kosten, ist genauso dämlich, wie zu denken, dass die Mauer eines Tages verschwindet. Eher gibt es einen Weltkrieg, du Idiot.

Eintrittskarte Zappa Konzert 1982 in der Alten Oper

Manches ändert sich und manches ändert sich nie.
Manches ist wahr, manches erfunden.

Quellen:

Vorzeit

Zeit

Zappa und Umgang USA-Fahne während Konzert in Brüssel 14.05.82
Kommentar unter Konzert-Mitschnitt, Brüssel 14.05.82

Fotos Jordanstraße 1982

Foto Eintrittskarte Zappa, Alte Oper, late show, 11.06.82

Fotos Jordanstraße 2022
Luca mit Annas Hilfe

Romane:
Peter Kurzeck
Oktober und wer wir selbst sind, 2007
Uwe Johnson
Jahrestage, Band 4, 1983

Musik:
Frank Zappa
Ship Arriving Too Late To Save A Drowning Witch, 1982

🐒 Mach dies – besser? – nicht!, 身を隠してください

🐒 Mach dies – besser? – nicht!, 身を隠してください
Verdammt!


In seinem missionarischen Eifer hatte der Wirt als neuestes Projekt diverse Schallplattenhüllen von anno dazumal an die Kneipenwände drapiert und sie mit mäaßigen Texten erklärt. Natürlich interessierte das niemanden. Außer seinen zwei, drei Affen, denen längst die Haare ausgingen. Der Wirt wollte im übertragenden Sinn partout nicht zugeben, dass er als Rockopa Johann Strauß für wegweisender als Richard Strauss hielt.
M. las also pflichtschuldig, über manchen Rechtschreibfehler den Kopf schüttelnd, die Erklärungen des Wirtes unter den Plattenhüllen:

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 Götter in Menschengestalt

Frank Zappa, Zoot Allures, 1976
Drei Milchreis-Bubis, bieder, langweilig und selber gelangweilt, harren beiderseitig um eine Art König aus. Allerdings entspricht er nicht einem herkömmlichen König. Vielmehr ist es eine wilde Mischung aus Rumpelstilzchen, Eulenspiegel, Porno- und Rockstar. So einen will man eher nicht als Schwiegersohn haben. Aber interessant scheint er zu sein und sehr selbstbewusst. Seine königliche Pose erinnert an einen anderen König.
Die Milchreis-Bubis gehören zum Gefolge des Antischwiegersohnes. In ihrer gepflegten Langweile krönen sie den Star in ihrer Mitte. Seine Sexualität wird durch sein achtlos zusammengeknöpftes Hemd gezeigt, aber viel explizierter ist die sehr enganliegende Hose. Sie lässt seinen Penis gut erahnen. Komischerweise wirkt der sich abzeichnende Penis mehr als der breitbeinige Sitz eines Milchreis-Bubis auf den Betrachter.
Die Lesart ohne Zeitgeist im Kopf ist schwer. Heutzutage würde wohl kein Mann so enge Sachen anziehen, die seine Sexualität offenbart. Eine sich auf einem Foto halbnackt rekelnde Frau mit engen Sachen wiederum ist normal. Dieser Umgang mit männlicher Sexualität ist für 1976 nicht ungewöhnlich. Heute wirkt dies seltsam. Ein wenig losgelöst, würde ich folgendes sagen: Hier gibt es Musik eines Typen zu hören, der nicht angepasst ist. Weder im Kopf noch im Schritt. Zwar lässt es sich nicht vermeiden, mit Langweilern zu spielen, aber ich bin der Chef, oder in meinem Staat bin ich der Staat. Verdammt noch mal! Spätestens, wenn man die Plattenhülle wendet, weiß man, wie ernst die Pose auf der Vorderseite gemeint ist. Dort verrutscht sie in die balletthafte Albernheit einer Kniebeuge (demi-plié). Übertragen gesprochen grüßt der König von hinten: mit servilem Knick und blankem Hintern. Übrigens nicht zum ersten Mal!
Eine eher zeitgenössischere Interpretation von 1976 wäre so: Ich, der seit einem Jahrzehnt immer gut erkennbare Star und Meister, bin da. Mit Hilfe meiner jungen Garde hau ich jeden in die Pfanne. „Zoot Allures“ ist eine ins englische abgewandelte französische Phrase von „Zut alors“:
„Verdammt!“.

🙊Sag – besser? – nichts!, 言わざ

🙊 Sag – besser? – nichts!, 言わざ
Peinmittel


M. hatte zwangsläufig alle möglichen Stufen und Facetten von Angst kennengelernt.
Weniger privat. Da gab es nicht mehr viel seit seiner letzten Trennung. Nur C. hin und wieder.
Daran gewöhnte er sich langsam. Und an den kleinen P. bei ihm im Haus. Mit seinen Eltern verstand er sich auf einer einfachen Ebene: Fußball, Wetter, Alltagstrott. Mit dem kleinen P. war es anders. Er wirkte wie ein Schmerzmittel. Er betäubte die vielen Hinweise, dass etwas fehlte mit seiner kindlichen Weise. Dagegen ließ die Betäubung abrupt nach, wenn er wieder allein mit sich und seinen Gedanken war. Eine schreckliche süße Sehnsucht nach Familie schlich sich ein. Mutter, Vater, Kind, wobei an seinen Vater, diesen Amselmann…
-Mach mir Bitte einen Mexicana!
-Möchte noch jemand einen?

[youtube https://www.youtube.com/watch?v=TuZ7xZzGWpA&w=560&h=315]

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🙉 Hör – besser? – nicht zu!, 聞かざる

🙉 Hör – besser? – nicht zu!, 聞かざる
Tomra


Seit geraumer Zeit ließ sich die größte Nervensäge über Flaschenrücknahme-Automaten einer norwegischen Firma in Supermärkten aus. Er wisse genau, dass mittels besagter Geräte in Wirklichkeit Luft in Flaschen abgefüllt, geklaut würde, um sie nach China zu liefern, weil die dort so schlechte Luft haben. Deshalb würden die Chinesen hier, wenn sie in Europa sind, die gute Luft viel schneller einatmen, um sie uns wegzunehmen. Das sei ja nun wirklich bekannt.

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Tomra in Penny, Zeil

Fußnote:
Tomra ist ein norwegisches Unternehmen, welches u.a. Kartoffelsortiermaschinen und Leergut-Automaten herstellt. Diese stehen in vielen Supermärkten. Sie sind aktuell Teil einer neuen Verschwörungstheorie, da die Automaten weltweit zu finden sind und die Firma unspektakulär omnipräsent auftritt. Diese Automaten hätten im Inneren also weit mehr als zerdrückte Flaschen zu bieten. Der Vorwurf besteht in der oben geschilderten Episode. Dazu soll Tomra die Gesichter der vor dem Automaten Stehenden und Fingerabdrücke an den eingelegten Flaschen scannen, ordnen, auswerten und weiterverkaufen.
Und wozu sind die Kartoffelsortiermaschinen in Wirklichkeit da?

🙈 Schau – besser? – weg!, 見ざる

🙈 Schau – besser? – weg!, 見ざる
Wie der Stahl gehärtet wurde

– Habe ich schon bezahlt? –
Der Wirt nickte.
M. hörte schemenhaft die Stimmen am Tresen. Es waren die üblichen Verdächtigen.
Neben ihm allerdings saß deklamierend ein Unbekannter. Dieser wollte mit quantenphysikalischen Prozessen die Welt retten. Er wirkte mit Schirmmütze und dem erhobenen Zeigefinger wie ein Agitator. Die Schirmmütze erinnerte M. an Lenin. Ob Lenin genauso laut gewesen war? M. schaute kurz auf das Buch, welches der Unbekannte neben sich liegen hatte.
„Wie der Stahl gehärtet wurde“ von Nikolai Ostrowski. Noch nie gehört. Klang mehr nach musikalischer Schwerstarbeit oder Arbeiterbiographie…

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Fußnote:
Musikalische Neuinterpretation des Romans aus der Stalin-Zeit (1932) der Petersburger Band Shortparis:
[youtube https://www.youtube.com/watch?v=WrDEAmSb9OY&w=560&h=315]
Autor und Roman waren zwischen 1945-1989 in Osteuropa und deren sozialistischen Bruderländern Schullektüre und fleischgewordene Heiligsprechung des sozialistischen Helden. Als Namenspatron dient er noch heute. Besonders ist, dass seine eigene Leidensgeschichte nicht fiktiv war. Der Rahmen drum herum wiederum war fiktiv bzw. so, wie es sein sollte. Idealer Stoff für eine Serie.
Mit dem Sezieren von erlebter und der verordneten Wirklichkeit im Spiegel der jüngsten russischen Geschichte und Gegenwart beschäftigen sich Shortparis.
Herausragend ist ihr neuester Titel:
KoKoKo / Cтруктуры не выходят на улицы
Frei übersetzt „Kikeriki / Strukturen gehen nicht demonstrieren“
[youtube https://www.youtube.com/watch?v=cEpo3zrDXMY&w=560&h=315]

Fußnote:
Ein Beispiel, wie Strukturen reißen, indem man, trotz Lebensgefahr (als einziges strukturelles Element) sie eigensinnig unterläuft, zeigt sich an den hier besungenen „Spaziergängen“ der Band Kasta aus Rostow. Die Spaziergänge finden regelmäßig in einem Nachbarland Russlands statt. Mit einfachsten Stilmitteln wird auf eine sanfte Art geschrien.
Каста — Выходи гулять
übersetzt „ Komm spazieren!“

[youtube https://www.youtube.com/watch?v=aOnp0kfAr80&w=560&h=315]

Drei, vier 🐵 aus der Vowi

Drei, vier 🐵 aus der Vowi
Eine Lügengeschichte als Fortsetzungsroman aus dunklen Zeiten.

Lügengeschichten in dunklen Zeiten, weil in der Vowi kaum Licht brennt, sind vertrackt. Es dauert, bis sie fertig erlogen wurden.
Kochen – dabei nichts anbrennen lassen -,
aufräumen – wirklich in allen Ecken -,
alle Hilfen überblicken und beantragen – Carola-Gutschein, Stundung, Soforthilfe, Hessen-Mikroliquidität, Überbrückungshilfe, Kleinbeihilfe Hessische Gastronomie, Novemberhilfe –
und ganz allgemein das „Leben in der Gegenwart“,
was ebenso „gekonnt“ – Zitate einer großen Band – werden muss.
Deshalb gibt es vier Häppchen Lügen zum Probieren, bis es heller wird im nächsten Jahr.

🙈 Schau – besser? – weg!, 見ざる, Wie der Stahl gehärtet wurde

🙉 Hör – besser? – nicht zu!, 聞かざる, Tomra

🙊 Sag – besser? – nichts!, 言わざ, Peinmittel

🐒 Mach dies – besser? – nicht!, 身を隠してください, Verdammt!

Sonntag, 26. Januar 2003

Dies träumt der Koch, wenn er tagsüber das Essen für den Abend vorbereitet und es am nächsten Tag zu großen Teilen wieder wegwirft, weil die Gäste doch nur Pommes, Spaggies mit Pesto oder Rindswurst bestellt haben:

Es fängt ganz harmlos an. Daß es in einer Orgie endet, ahnt man nicht, wenn zur Begrüßung in der volkstümlichen Gaststätte je ein Dutzend dicke Scheiben Fleischwurst und Salami serviert werden. Natürlich kostet man viel zu viele von diesen Appetithäppchen für Schwerathleten, es schmeckt einfach zu gut. Dann kommt ein fabelhafter roher Fleischsalat, ein Tartar der Luxusklasse aus den besten Stücken des Rinds, nur mit Öl, Pfeffer und Knoblauch angemacht. Dann ein weiterer kalter Salat aus gekochten Fleischstücken, Steinpilzen und weißen Bohnen, der schwer wie ein Goldbarren im Magen liegt. Dann ein russischer Salat mit Anchovis, der ganz Sibieren satt machen könnte. Und dann erst ist der Vorspeisenregen des großen, vollständigen Menüs zu Ende. Bevor man zum eigentlichen Höhepunkt des Gipfels dieser Küche vordringt, ist noch die Pasta an der Reihe: ein Teller mit fabelhaften hauchdünnen Bandnudeln, die mit wahnwitzigen dreißig Eigelben pro Kilo hergestellt und von einer extrem verdickten, sirupartig eingekochten Fleischbrühe begleitet werden – sie sind ein Gedicht.
Jetzt müßte eigentlich Schluß sein, doch es geht erst richtig los: Das riesige Tablett mit dem eigentlichen Hauptmenü wird hereingetragen, und die feinschmeckerischen Augen weiten sich vor süßem Entsetzen. Denn auf dem Tablett türmt sich ein Gebirge aus Fleisch, das stundenlang in riesigen Töpfen geköchelt hat – glänzende Schwarten und Schwänze, monumentale Schulter – und Rippenstücke, komplette Kapaune und Kalbsköpfe, feiste Würste in Schweinfüßen, und als schlaffe, rosafarbene Masse liegen ganz Zungen dazwischen. Es sind Portionen für Schlemmermäuler, die einen Hang zur Freßsucht haben, es ist ein Schlachtfest, ein kulinarischer Ausnahmezustand…
Obwohl man nun wirklich nicht mehr kann, folgen als Süßspeise der großartige Schokoladenmousse und dann auch noch der Käse, ein Mordstück aus den unweit liegenden Bergen etwa, der seit tausend Jahren nach dem selben Rezept hergestellt wird. Und dann endlich der Grappa, der mit Mandarinen, Feigen, Rosmarin und Lorbeer angemacht ist, nach acht herrlichen, erschöpfenden Gängen, nach einer wundervollen Reise durch diese Küche, hat man das Gefühl, sich an einem einzigen Abend den gesamten Winterspeck zugelegt zu haben. Und man ist der festen Überzeugung, daß man nie mehr, nie wieder irgend etwas essen wird.

PS: Natürlich gab es noch einen Espresso, der einen haselnußbraunen Schaum mit einem Stich ins Rötliche hatte. Der Schaum bestand aus feinen Bläschen, die aber dennoch das Gewicht von Streuzucker zu tragen vermochten.

(fast alles geklaut aus der FAZ)

IM Vowi

Sonntag, 29. Dezember 2002

Viel ist passiert im Jahre 2002. Aber ganz soviel wiederum auch nicht. Wer errät die lyrische Form, dieser komischen Verse, die genug Platz für Andeutungen läßt, aber zumindest auf den ersten Blick nichts wirklich preigibt?

Gast des Jahres:
Die Haare sind lang
Ein Klapsband hält zusammen
Und dreht sich im Kreis

Getränk des Jahres:
Rein, kalt und doch herb
Nistet er sich wonnig ein
Er schmeckt zu gut jetzt

Arroganz des Jahres:
Nimm dies Du da schnell
Ich habe keine Ahnung
Und weiß trotzdem nichts

Alkoholiker des Jahres:
Dreißig und ein Jahr
Alles was irgendwie geht
Die Wüste ist leer

Duft des Jahres:
Leise fließt er aus
Wird tiefer strenger tiefer
Und bleibt bestehen

Lachen des Jahres:
Faustdick eingepackt
Auf schmalen Pfaden treten
Brechen sie später aus

Nerver des Jahres:
Ich weiß dann alles
Wer wie was wieso weshalb
Warum bleibst Du länger

Raucher des Jahres:
Himmelhochjauzend
Angesteckt und abgebrannt
zu Tode betrübt

IM Vowi

Sonntag, 10.3.2002

Eine Wahlempfehlung würde ich -ganz uneigennützig- abgeben wollen:
Die SPD und wohl auch seit den letzten Nachrichten die CDU haben sich in Köln dicke Spendengelder geben lassen und sie zerstückelt steuerlich abgesetzt. Die Kölner Grünen haben sich auch bei einem Volksfest von der Kölner Müllentsorgungsfirma einen Container hinstellen lassen, um dort zu demonstrieren, wie man Müll trennt. Die Kosten des besagten Container hat besagte Kölner Müllentsorgungsfirma übernommen. Die Quittung dafür ist in den Wirtschaftsbüchern der Kölner Grünen ordentlich abgeheftet. Süß und vorbildlich oder? Wer würde auch den Grünen Geld – für was auch immer- spenden!

Oft bestellen nach langen Nachdenken Frauen, die die Volkswirtschaft besuchen eine Cola Light. Die Entäuschung steht ihnen ins Gesicht geschrieben, wenn wir diesen Wunsch bedauerlicherweise ablehnen müssen. Eine gern gewählte Alternative ist dann eine Apfelsaftschorle oder ein (jetzt wird richtig zugeschlagen) großes Wasser.
Letztens bestellte eine junge Frau eine leckere rote Berliner Weisse. Ich konnte mir nicht verkneifen sie daraufhinzuweisen, daß es kalorientechnisch jetzt eher ein Schwergewicht gewählt hat als das braune Zuckerwasser mit extra wenig Zucker. Ihr war es egal und ich hatte einen lustigen Lacherfolg.
Spaß muß sein!

IM-Vita Cola