Kategorie: Staatsfeierlichkeiten

Geschichte und Geschichten zum 10- und vor allem zum 20jährigen Geburtstag

Deckel

20 Jahre voll mit Geschichten aus der Volkswirtschaft
Nr. 3: Deckel

„Gudde Wiebke! Ist Karsten in der Küche? Ich wollte was von meinem Deckel anzahlen. Ein Kristall ohne Zitrone bitte!“

Die Kneipe war eine Schnapsidee.
Eine handvoll Studenten wollten Wissenschaft betreiben. Dieses Verlangen sollte unabhängig von den dafür zuständigen Institutionen sein. Dafür benötigten wir Geld, um unser täglich Brot zu verdienen. Deshalb sollte eine Kneipe, am besten eine Musikkneipe, her. Die Musik fiel schnell aus dem Raster. Die Auflagen des Ordnungsamtes wegen der Lautstärke waren nicht in unserem Budget. Nach mehreren Objekten in Bockenheim -einige wollten wir nicht, „eines“ wollte uns nicht- war die Eckkneipe Jordan/Ecke Kiesstraße mit dem Namen „Campus“ das letzte Angebot. Wenn es nicht geklappt hätte, wäre ich jetzt vielleicht Freier Mitarbeiter beim Deutschlandfunk.
Wir (Fopper, Frank und ich) bekamen von der Binding Brauerei, die als Verpächter auftraten, den Zuschlag und gründeten die „Volkswirtschaft“ als Cafe, Restaurant und Kneipe. Die Idee die Kneipe „Volkswirtschaft“ zu nennen, kam von meiner Frau Claudia. Sie kannte in Dresden eine „Planwirtschaft“. Nur verwendeten wir den Eigennamen Volkswirtschaft getreu unserem Konzept nach als Wirtschaft für alle. Ein alter Schulkumpel aus Leipzig Jörg „Bongo“ Bock zeichnete für die erste Speisekarte das Titelbild. Seine Bilder hingen mehrmals in der Kneipe.

Der Flaschenöffner. Eher ein typisches DDR-Produkt.

1997. Titelbild der ersten Karte. Der Flaschenöffner. Eher ein typisches DDR-Produkt.

Mein Freund Jörg Stein gestaltete das Logo, alle T-Shirt-Schriftzüge, die erste Homepage 1999, Handzettel sowie den Bierdeckel und das Plakat für die 20-Jahres-Feier.

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2010. Entwurf T-Shirt-Schriftzug

Unsere helfende Hand Sven Bratulic hat von Beginn an die Kneipe und die Gäste fotografiert. Viele Fotos zu den 20 Geschichten auf der Kneipen-Homepage und bei Facebook sind von ihm. Ohne Claudia, Jörg und Sven wäre die ästhetische Darstellung der Kneipe so nicht möglich gewesen. Ihnen gehört größter Dank.
Unser jungfräulich begrenztes Wissen über eine Kneipenwirtschaft manifestierte sich nach etwa einem Jahr in der unten zu sehenden Auflistung von Deckeln wichtiger Gäste. (Auf einen Bierdeckel werden die nicht bezahlten Bestellungen eines Gastes notiert. Der Deckel verschwindet in der Schublade und wird nach Vereinbarung bezahlt.) Wir waren naiv und gutmütig. Wir mußten lernen, dass in einer Kneipe viel gefeiert und getrunken wird, wir aber nur die Organisatoren der Festlichkeiten waren. Unsere Aufgabe bestand darin, am Einlass zu stehen, den Ablauf zu kontrollieren und nach den Feiern die zerbrochenen Gläser wegzukehren. Nicht wir sollten mit den Gästen feierten, sondern wir ermöglichten es unseren Gästen. Irgendwann bemerkten wir, dass die Deckel immer größer wurden und wir zu viel mitfeierten. Es mußte sich etwas ändern. Wir versuchten die Deckel einzutreiben, limitierten seitdem die Summe eines Deckels. Danach war die erste Phase der „Volkswirtschaft“ beendet, was aber nicht bedeutete, dass weniger gesoffen wurde.

Was soll ich dazu sagen?

1998. Was soll ich dazu sagen?

„Komm gut nach Hause. Fahr vorsichtig!“

Konzept

20 Jahre voll mit Geschichten aus der Volkswirtschaft
Nr. 2: Das Original-Konzept für die „Volkswirtschaft“ vom Januar 1997 für die Binding-Brauerei

„Nina, machst Du mir bitte einen kleinen Kiba. Aber bitte laß alles andere weg.
Du weißt schon, was ich meine!“

Ziel:
in erster Linie Kneipe mit speziellen Angeboten
(Spiele, Fußball im Fernsehen, Klavier, Kleinkunst)
zweitens auch Café c und Restaurant, da komplette Küche
(Frühstück, kleinere Gerichte, später Tagesgerichte – auch vegetarisch)

Charakter:
helle, strapazierfähige, gemütliche Einrichtung
(keine „Spelunken- oder Gediegenheitsatmosphäre“)
durch eher kleineren Raum bleibt „intimere Stimmung der Kneipe um die Ecke“ erhalten, nach außen hin offen (Klarfenster)
neue, von Künstlern gestaltete Bilder usw. an den Wänden
Trennung zwischen Thekenbereich (Fernseher) und Tischen
Musikanlage
nur ein Spielautomat (Flipper)
rechte Trennwand und Theke kommt raus – dafür Klavier; Schrank rechts hinter der Theke kommt raus – dafür Tisch

Publikum:
Freundeskreis, Stammtische, Studenten, in Bockenheim Wohnende, Kinogänger im Orfeo (Hamburger Allee), Schüler der Schulen auf Hamburger Allee, City-West Anwohner und Beschäftigte
später durch spezielle Angebote (Kleinkunst) auch Leute aus anderen Stadtteilen

Preise:
angesichts der aktuellen wirtschaftlichen Situation billige Preise – Bier, Frühstück, kleine Gerichte – (speziell für Studenten Rabatt?)
höhere Preise bei speziellen Getränken sowie Tagesgerichten

Konkurrenz:
Kneipe (u.a. Tannenbaum); Cafés (u.a. Albatros, Melange, Bagdad, Bastos, Papagajo); Restaurants (u.a. Pielok, Casa di Cultura)

Dagegen:
niedrige Preise, wenn möglich, besondere Fassbiere aus Oetker-Konzern (Radeberger, Pilsner Urquell?), spezielle Angebote (Klavier, Kleinkunst), mittelfristiger Ausbau des Essensangebotes, „Sommergarten“, Lage

Öffnungszeiten:
(jeden Tag 9.00/11.00 Uhr – 2.00/3.00 Uhr)

1997-Flyer

1997. Handzettel. Es taucht vieles vom Konzept auf. Interessant ist, dass nicht mit der Eintracht im TV geworben wurde, sondern nur mit Premiere. Die Eintracht spielte damals zweitklassig. Die 2. Liga wurde noch nicht komplett gezeigt.

„Zahlen bitte! Komme morgen zur Happy Hour.“

Vorzeit

20 Jahre voll mit Geschichten aus der Volkswirtschaft
Nr. 1: Vorzeit

„Fopper. Hallo! Na wie geht’s? Gestern war es wieder voll bei Euch. Als erstes würde ich gerne einen Espresso nehmen. Hier habt doch diese Vibiemme-Kaffeemaschine? Hoffentlich entkalkt ihr die immer.“

20 Jahre in der Gastronomie scheinen eine halbe Ewigkeit zu sein. Von oben betrachtet, ist nichts passiert. Die Kneipe ist ein Kampf gegen die Zeit. Hier verändert sich nichts. Die Zeit bleibt stehen. Die Welt wird draußen gelassen. Ihre ständige Unruhe schafft Ungemach. In der Kneipe darf sich nur der Zapfhahn bewegen. Nur wenn das Bier ausbleibt, gibt es Handlungsbedarf. Dann geht man in die nächste Kneipe.
Natürlich ist das alles Quatsch. Gerade in Frankfurt in unserem Stadtteil Bockenheim, wo in den 70er gleich neben der Kneipe einige prominente Politiker am Werk waren beispielsweise in der Karl-Marx-Buchandlung oder um die Ecke im Stadtteil Westend, wurde kräftig Unruhe in die Welt gesetzt, was an den Kneipentüren nicht halt gemacht hat.
Ältere Gäste nicken bedächtig. In der Jordanstraße 13 gab es immer eine Wirtschaft. Daneben (heute der Kiosk Herr Hassanmann) war ein Metzger. Vor der „Volkswirtschaft“ hieß der Laden „Campus“, in den 70er „Jordaneck“. Der Schriftsteller Peter Kurzeck beschreibt in einem Brief  an einen Freund 1981 die Jordanstraße u.a. einen unserer Vorgänger dort:
„Noch eine Kneipe das Jordaneck (warst du nie drin), da haben sie es immer noch mit ihrem Adolf und wenn wir den Krieg gewonnen hätten gäbs heutzetach keine Langhaarigen! Vom Atlantik bis zum Ural nicht! Noch die Frage, ob Chinesen zum Beispiel, ob sie da überhaupt welche übrig gelassen hätten? Bloß die blonden blauäugigen mit und ohne Zopf.“

Version 2

1981. Auszug eines Briefes von Kurzeck. http://www.aulbach-giessen.de/html/1981-frankfurtbrief.html

1982. Blick von der Homburger Str. auf den „Tannenbaum“, der links ist auf Ecke Jordanstr. Rechts geht es zur Vowi. Man beachte den DKP-Aufsteller, wo Peter Kurzeck gleich vorbei geht. http://www.aulbach-giessen.de/html/kurzeck-jordanstrasse.html

1982. Blick auf Jordanstraße. Von Ecke Jungstraße, Unser Haus ist erkennbar.

1982. Blick auf Jordanstraße. Von Ecke Jungstraße. Unser Haus ist erkennbar. Peter Kurzeck überlegt noch. http://www.aulbach-giessen.de/html/kurzeck-jordanstrasse.html

Den einen oder anderen Bezug zur Vorzeit der Kneipe gibt es.

Arnold, ein junger Arzt aus München, wohnte über der Kneipe. Er war ein bedeutender Stammgast und unser Kneipenarzt. Nachts schauten wir uns gerne seine Pathologiebücher auf dem Tresen an und lauschten seinen Vorträgen. Arnold erzählte, dass sein Großvater im Haus, vielleicht sogar in der selben Wohnung, in der er lebte, in den 40er oder 50er Jahren des vorigen Jahrhunderts ein Liebchen hatte.

Eine andere Geschichte orakelt hoffentlich nicht meine Zukunft. Eines Tages erschien ein älterer Man im Rollstuhl. Er sah müde, traurig und gehetzt aus. Er bestellte ein Pils. Auf einmal bewegte er sich im Rollstuhl vom Gastraum in Richtung Küche. Er kam nicht weit. Im Rollstuhl sitzend, ist es nicht einfach, die Küchentür aufzuhalten, um durchzufahren. Er zeigte ins Treppenhaus. Er wohne dort. Er müsse nach oben, gab er auf meine verwunderte Nachfrage an. Es stellte sich heraus, dass er der Wirt vor 40 Jahren (Jordaneck ?) gewesen sein muss. Der alte Mann wollte nach Hause. Er lebte wohl damals über seiner Kneipe, in der sogenannten Wirte-Wohnung. Nach der ersten Verwirrung durfte ich in seine Rollstuhltasche greifen. Dort befand sich ein Portemonnaise mit einem Geldschein und seinem Ausweis. Eine Adresse wurde nicht gefunden. Nach einigem Hin und Her war klar, dass er aus einem unweit gelegenem Pflegeheim in seine Vergangenheit gerollt war. Seine Gegenwart hatte er in seiner alten Kneipe vergessen. Freundliche Gäste brachten ihn zurück.

Den dritten Bezug erbrachte Flo, der eigentlich im „Tannenbaum“ eine Straßenecke weiter seine Biere trinkt. Er bemerkte, dass bei seiner Oma ein altes Foto mit seinen Vorfahren hängt. Diese würden aufgereiht vor der „Volkswirtschaft“ stehen. Flos Oma hatte nichts dagegen, das Foto zu kopieren. Und ich sah, die Familie von Flos Urgroßvater stand im Jahr 1915 vor der Apfelweinwirtschaft, benannt nach ihrem Familiennamen „Ungeheuer“, in der Jordanstraße 13.

2013. Rechts ist Flo zu sehen. Ein Bild für seine Oma.

2013. Rechts ist Flo zu sehen. Ein Bild für seine Oma.

1915.
Restauration „Ungeheuer“ mit Fritz, Emilie, Marie und Heinrich Ungeheuer (von links) auf der Jordanstrasse 13

Dies schrieb die Oma von Flo zum Foto von 1915.

2013. Dies schrieb die Oma von Flo zum Foto von 1915.

Die Geschichte dieses Fotos ergibt den Rahmen und ein Motiv für das Motto des Kneipengeburtstages:
Seit 100 Jahren eine Wirtschaft, immer hier, zwei Dekaden wir!
20 Jahre voll.
Volkswirtschaft, seit 1997.

Ich möchte mich noch einmal ausdrücklich bei Flo und seiner Oma bedanken, dass sie mir eine Kopie des Fotos gegeben haben und ich es (im Namen der Kneipe) verwenden darf. Dazu schrieb sie auf, was sie darüber weiß.

„Ich würde gerne zahlen, Fopper. Du riechst heute wieder so gut!“

20 Jahre voll

Die Volkswirtschaft wird Zwanzig Jahre alt.
Deshalb feiert sie am Samstag, den 04.02. 2017 ab 20.00 Uhr Geburtstag.
Es soll festlich dekoriert werden. Artefakte aus dem Archiv sind zu bewundern. Krimskrams wäre zu haben. Es könnten Lieder gesungen werden. Eine Polaroid ist da, um Fotos zu machen. Vielleicht gibt es Fragen zu beantworten. Und zu trinken, wird es, wie damals geben, als am 01.02.1997 eröffnet wurde.

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2017: Der Bierdeckel-Vorlage zum 20.

20 Jahre voll mit Geschichten aus der Volkswirtschaft:

Nr. 1: Vorzeit

Nr. 2: Konzept

Nr. 3: Deckel

Nr. 4: Planwirtschaft

Nr. 5: Glaube

Nr. 6: Jurte

Nr. 7: Wunder

Nr. 8: Partei

Nr. 9: Niko

Nr. 10: Geheimnis

Nr. 11: Zeit

Nr. 12: Hamburg

Nr. 13: Austausch

Nr. 14: Raten

Nr. 15: Verwandtschaft

Nr. 16: Kochen

Nr. 17: Mechanik

Nr. 18: Klassik

Nr. 19: Preis

Nr. 20: Ensemble

Elektrische Volkswirtschaft

Seit mehr als 14 Jahren gibt es die virtuelle Volkswirtschaft in Gestalt von www.vowi.net
Mein Freund Jörg Stein, der nicht nur das Logo der Volkswirtschaft erfand, bastelte 1999 die verschiedenen Seiten um den virtuellen Bierdeckel. Zum 10jährigen Bestehen der Volkswirtschaft 2007 wurde die Seite um den Vowi-Blog Schluß mit Romantik neu gruppiert. Das Herzstück ist seitdem der Blog mit allen Beiträgen, seien es Texte, Fotos, Videos, Rezepte oder Termine. Am Rad der Seite finden sich Links zu den alten Seiten, die unterteilt waren in Rezepte, Bilder in der Vowi, Fotos usw.
(Heutzutage im Jahr 2013 gehören Auftritte bei Twitter, Facebook und eine mögliche Vowi-App zum virtuellen Leben. Twitter hat faktisch keine Bedeutung. Über Facebook erreiche ich schnell viele potentielle Gäste. Nutze es aber ausschließlich, um Veranstaltungen bekannt zugeben. Vielleicht könnte man mit einem zukünftigen Vowi-App sich Twitter und Facebook ersparen.)
Am interessantesten ist das alte Tagebuch (Rubrik: Neues 1999-2006). Hier findet sich die Blaupause zur Autobiographie der Volkswirtschaft und ebenso zum Vowi-Film Einer geht Immer! von 2007/09.

Das Motto meiner Arbeit kann man einem frühen Eintrag vom Sommer 1999 entnehmen:
„Der Tresen ist ja eine Art Grenze, wo dahinter Bier gezapft­, was dann davor getrunken und bezahlt wird. (Wenn diese Grenze verwischt, funktioniert das ganze System nicht mehr.) Daneben ist der Tresen eine Tribüne, um sich zu unterhalten, zu beschimpfen, Karten für den Ur-Faust anzubieten, einfach nur zu lesen, rumzubrüllen oder „Schnellfreundschaften“ zu schließen … Manchmal wird diese Tribüne zum Speakers Corner, wo einer oder eine ohne Punkt und Komma redet und redet und redet und dazu noch zu jedem Thema. Mich erinnert das immer am meinen vierjährigen Sohn, der auch immer versucht alle Gedanken sofort in Worte zu fassen. Was will ich damit sagen:
Wenn ich mich nicht mehr über all das wundere, höre ich auf.

PS: Das ist jetzt ein heikler Punkt. Denn soeben habe ich mich selbst zitiert bzw. mich selbst historisiert. Höchste Zeit aufzuhören? Aber wie bzw. von was lebe ich ohne Euch?

1. Möglichkeit: Modell-Rock’n Roll:
Einfach immer weitermachen. Zwar hat man sich längst überlebt, aber man ist ein Denkmal, dass sich die Leute gerne ansehen.
2. Möglichkeit: Modell-KVDR:
Vererben, allerdings will mein Sohn nicht.
3. Möglichkeit: Modell-Klassikerverhalten
Immer sagen, dass man aufhören will, aber trotzdem weitermachen.
4. Möglichkeit: Modell-Zitrone:
Solange es Saft gibt, pressen = weitermachen.
5. Möglichkeit: Modell-Mythos:
Eines Tages während der Öffnungszeit so tun, als ob man in die Küche geht, sich dabei raus schleichen und den offenen Laden samt Gäste auf nimmer Wiedersehen den Rücken kehren.

Auf der Jordanstraße 1974

Auf der Seite Faustkultur fand ich ein Interview mit dem Schriftsteller Peter Kurzeck, wo er u.a. seinen ersten Besuch in der Jordanstraße schildert. Die darin vorkommende Kneipe „Narrenschiff“ befand sich gegenüber der „Volkswirtschaft“ in der Jordanstraße 15 (Ecke Kiesstraße) und ist heute eine Wohnung.

„… Ihre Romane spielen zum größten Teil in Bockenheim, in der Jordanstraße, wo die Karl Marx Buchhandlung steht, weil Sie dort zu der Zeit, von der Sie so ausufernd schreiben, gelebt haben. Meine Frage nun an Sie als Figur ihres eigenen Romans: Sie gehen immer durch die Jordanstraße, aber sie gehen nicht über den Jordan?

Eigentlich nicht, nein. Ich habe die Jordanstraße, lange bevor wir dahin zogen, kennen gelernt, und zwar im Zusammenhang mit diesen RAF-Geschichten in den 70er Jahren. Ich wollte damals für einen Freund, der bei einem RAF-Anwalt arbeitete, der also vielleicht auch in der RAF war, eine Fluchtadresse besorgen. Er war schon untergetaucht, hatte aber keine Fluchtadresse. Die Mitbewohner aus seiner ehemaligen WG waren auch als RAF-Sympathisanten bekannt. Ich habe also mit einem Freund zusammen versucht, für ihn eine Fluchtunterkunft zu organisieren, weil er von dort, wo er war, möglichst schnell weg musste. So habe ich also die Sybille kennen gelernt. Sie war damals 18, noch Schülerin und hat in einer leeren Fabrik am Stadtrand gewohnt. Während also alle anderen, auch die Leute, die man als großspurige RAF-Sympathisanten und Provinzrevolutionäre kannte, plötzlich alle keine Zeit hatten und sich herausredeten, dass sie selbst schon überwacht würden, und Ähnliches – und darauf natürlich auch noch stolz waren – hat Sybille das sofort gemacht. Wir haben also diesen Freund da hingebracht. Dann bin ich mit einem entfernten Bekannten nach Frankfurt gefahren, um ein paar Kontakte herzustellen. (Ich glaube, er wurde später an der Schweizer Grenze angeschossen.) Mit diesem eigentlich Unbekannten zusammen wollte ich herausfinden, ob in der Wohnung meines Freundes schon eine Hausdurchsuchung stattgefunden hatte, ob man ihn also schon suchte. Wir haben uns an der Jordanstraße getrennt, weil er noch jemanden allein treffen wollte. Man sollte ja auch nicht mehr mitbekommen, als man unbedingt wissen musste. Dann bin ich in der Jordanstraße in eine Kneipe, das „Narrenschiff”, gegangen, die es heute nicht mehr gibt. Wir hatten uns folgendermaßen verabredet: Er sagte: „Da vorne bei der Gräfstraße, wo die Jordanstraße aufhört, und es weiter zum Campus geht, da wollen wir uns in einem Café treffen“. Es war vielleicht acht oder auch etwas später. Ich habe also im „Narrenschiff“ gewartet und als ich wieder raus kam, inzwischen war es ganz dunkel und das Pflaster von der Jordanstraße glänzte, und diese schönen Fabrikhallen standen noch da, die so spukhaft aussahen, weil sie die Backsteine weiß angestrichen hatten, und daneben standen diese riesigen alten Häuser, die aussahen wie Prager Häuser und fast durchsichtig waren, weil der Verputz einfach völlig verblichen war; auf dieser damaligen Jordanstraße stand ich nun. Ich bin dann die Straße langsam hinaufgelaufen, zu dem Café und fühlte mich irgendwie verfolgt. Es hätte ja auch sein können – das war bei diesen Geschichten damals so –, dass man seit Tagen überwacht wird, und irgendwann nehmen sie einen fest oder legen einen um. Die haben damals Leute auf der Flucht erschossen, die sie nicht unbedingt hätten erschießen müssen. All das, diese Angst ging mir jedenfalls durch den Kopf, als ich die Jordanstraße hinaufging und merkte, wie ungeheuer sich die Wahrnehmungsfähigkeit steigert, wenn man denkt, das ist jetzt vielleicht dein letzter …, also wenn es nicht nur so eine Spiel ist. Sondern wenn man denkt: „Du gehst jetzt hier, als wäre das dein letzter Weg“. Und dann sieht man erst richtig, wie die Pflastersteine leuchten. Die hatten auch ganz andere Laternen in der Jordanstraße damals, um die Laternen herum war ein Lichthof wegen der Feuchtigkeit – das war auch Ende Oktober, 1974. Und ich hatte ja gerade durch diesen Freund die Sybille kennen gelernt. Ich habe also zu mir gesagt: „Geh langsam die Straße hoch und merke dir jeden Atemzug. Und wenn du lebend durchkommst und auch nicht festgenommen oder erschossen wirst, dann suchst du den Straßennamen und merkst ihn dir! Wenn du die ganze Situation überlebst, nicht nur den heutigen Abend, dann kommst du irgendwann hierher und weißt dann für immer wie die Straße heißt. Und dann gehst du einfach hier noch einmal entlang, und gehst dann völlig ungefährdet.“ Und dann kam ich vorne hin und das stand: „Jordanstraße.“

Das aktuelle Buch von Peter Kurzeck heißt Vorabend und ist beim Stroemfeld-Verlag erschienen.

Die 10 Jahres-Feier

Die Feier zu unserem 10. Geburtstag war gelungen.
Unser Haus- und Hoffotograf Sven Bratulic sorgte für viele Fotos, mit denen die Wand geschmückt wurde.
Für die vielen aufmerksamen, liebevollen, praktischen und sinnvollen Geschenke bedanken wir uns sehr. Einige alte Weggenossen und viele, viele Leute, die uns seit 10 Jahren die Treue halten, waren zu Gast. Bis weit nach Mitternacht machte Annabelle von allen eintretenden Gästen ein Polaraid-Foto, welche sich jetzt in einem Fotoalbum wiederfinden. Der Interview-Film, den Annabelle mit Hilfe von Niko inizierte, ist ein schönes Geschenk, was auch in einigen Jahren nicht an Wert verlieren wird. Die neuen Teller, Schürzen und weitere Küchenutensilien kommen gerade recht. Die „Urkunde“ mit den Unterschriften aller aktuellen Eintracht-Spieler halten wir auch nach dem momentan achten sieglosen Spiel in würdevoller Ehre.
In Anlehnung an die Eröffnungsfeier gab es nicht wie damals zwei Suppen, sondern nur noch einen großen Topf Chili. Leider hatten Vera, Leander und Annabelle oft soviel zu tun, dass auch dieser Wunsch nach einer Kelle Suppe abgelehnt werden musste oder eine Weile brauchte. Die schiere Masse an Gästen und die damit verbundene Hektik ließen es auch nicht immer zu, dass alle, die sollten, ein Freigetränk bekamen.
3/4 Weich gab sich die Ehre und spielte in gewohnt professioneller Weise ihre Hits. Davor lief der Vowi-Film „Einer geht Immer!“, in dem Karsten ein paar Geschichten des IM Vowi von unserer Homepage umgesetzt hat. Es wurde fleißig bis früh getrunken. Es gab faktisch keine Ausfälle, nur ganz kleine Dramen und immer wieder eure Glückwünsche:

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Gib‘ mir das Gefühl zurück!
10 Jahre Volkswirtschaft
1997-2007

Samstag, 10.02.07,
wenn es dunkel ist und die Eintracht fast gewonnen hat

mit unzähligen Fotos aus den letzten Jahren
mit Geschichten von IM Vowi
mit gewünschten Geburtstagsgrüßen von KWS und 3/4 Weich
mit hoffentlich vielen alten Kollegen
mit dem Vowi-Film „Einer geht Immer!“
und
mit vielen Geschenken von Euch!

Volkswirtschaft und Dr. Oetker

Konzern: Dr. Oetker
Sparte: Bier u. alkoholfreie Getränke
Premiummarke: Radeberger
Regionalmarke: Binding
Letzter Ruderknecht: Volkswirtschaft

Die Volkswirtschaft ist eine Binding-Kneipe, d.h. der Verpächter und der ausschließliche Getränkelieferant ist die Bindung. Allerdings nur im weitesten Sinne, den die Binding ist eine Regionalmarke der Radeberger-Gruppe. Diese wiederum ist wesentlicher Bestandteil der Sparte Bier und alkohlfreie Getränke. Daneben gibt es bei Dr Oetker die Sparten Nahrungsmittel, Schiffahrt, Bank/Versicherungen sowie Sekt, Wein und Spirituosen.
Damals vor 10 Jahren überzeugte Frank die Binding mit unseren Konzept eine Kneipe/Kaffee/Restaurant in Uni-Nähe zu eröffnen. Alles anbieten (Frühstück, Mittag, Kaffee und am Abend Kneipe) um alles mitzunehmen. Billig sollte es sein, damit man mehr trinken konnte. Und natürlich sollte Fußball gezeigt werden. Damals via Premiere. Ab und zu hatten wir uns vorgenommen etwas „kulturelles“ anzubieten, denn der ursprüngliche Plan bestand darin eine Musikkneipe zu eröffnen. Diese Idee mußte allerdings schnell bei Seite gelegt werden, da es schier unmöglich ist in Ffm. Räume zu finden, wo man Live-Musik darbieten kann.
Die jetzige Ort der Volkswirtschaft war das definitv letzte Objekt, was wir uns anschauen wollten. Wenn es dort nicht geklappt hätte, dann würde hier heute nichts stehen. Vor der direkten Kneipensuche gab es unsererseits andere Pläne eine Kneipe zu pachten. Leider müßte ich hier Persönlichkeitsrechte übergehen, wenn ich weiter plaudern würde.
Frank überzeugte, wie geschrieben, die Binding und wir hatten wirklich den Laden. Die Binding damals war recht zuvorkommend. Sie hat uns in den Jahren eigentlich immer schalten und walten lassen. Allerdings fällt auf, daß wir den 10 Jahren mindestens 5 verschiedene Ansprechpartner bei der Brauerrei hatten. Manch einer von diesen versprach uns viel, manch einer weniger, was davon zu halten ist, kann man an dem Loch links neben der Eingangstür geradezu symbolisch festmachen. Des weiteren fällt auf, daß die Binding immer mehr aussortiert bzw. an andere Firmen überträgt. Sei es die Verwaltung ihrer Immobilien, den Gläserversand und schon sehr lange die Getränkelieferung. Und schließlich gibt es zum Jahreswechsel oder zu einem runden Geburtstag schon lange nichts mehr auf Kosten der Brauerrei. Die Binding bzw. die Radeberger Gruppe steht, wie alle anderen im harten Wettbewerb. Sie muß weitere Brauereien kaufen, um von dem kleiner werdenden Kuchen ein mindestens gleich großes Stück zu behalten. Gleichzeitig muß sie groß genug sein, um nicht von den Global Playern geschluckt zu werden. Die Volkswirtschaft kennt dieses Problem nicht, ist aber, wie die Brauerei von anderen betroffen. Der Bierkonsum in Deutschland geht immer weiter zurück. Die Rohstoff- und Energiekosten steigen. Und somit steigt auch der Bier- bzw der Preis der Bindingprodukte. Unsere Preise steigen dagegen nicht proportional. Bedingt durch diese Gemengenlage sterben die klassischen Kneipen nicht unbedingt aus. Aber es werden nur wenige überleben. Die Volkswirtschaft atmet jetzt schon -trotz mancher Unkenrufe- 10 Jahre.

Original-Konzept der Volkswirtschaft 1997 für die Brauerei

Ziel:
>in erster Linie Kneipe mit speziellen Angeboten (Spiele, Fußball im Fernsehen, Klavier, Kleinkunst)
>zweitens auch Cafe und Restaurant, da komplette Küche (Frühstück, kleinere Gerichte, später Tagesgerichte -auch vegetarisch)

Charakter:
>helle, strapazierfähige, gemütliche Einrichtung, (keine „Spelunken- oder Gediegenheitsatmosphäre“), durch eher kleineren Raum bleibt „intimere Stimmung der Kneipe um die Ecke“ erhalten, nach außen hin offen (Klarfenster)
>neue, von Künstler gestaltete Bilder usw. an den Wänden
>Trennung zwischen Thekenbereich (Fernseher) und Tischen
>Musikanlage
>nur ein Spielautomat (Flipper)
>rechte Trennwand und Theke kommt raus – dafür Klavier; Schrank rechts hinter der Theke kommt raus – dafür Tisch

Publikum:
>Freundeskreis, Stammtische, Studenten, in Bockenheim Wohnende, Kinogänger im Orfeo, Schüler der Schulen auf Hamburger Allee, City-West Anwohner und Beschäftigte
>später auch durch spezielle Angebote (Kleinkunst) auch Leute aus anderen Stadtteilen

Preise:
>angesichts der aktuellen wirtschaftlichen Situation billige Preise -Bier, Frühstück, kleine Gerichte- (speziell für Studenten Rabatt?)
>höhere Preise bei speziellen Getränken sowie Tagesgerichten

Konkurrenz:
>Kneipe (u.a. Tannenbaum); Cafe (u.a. Albatros, Melange, Bagdad, Bastos, Papagajo); Restaurant (u.a. Pielok, Casa di Cultura)
>dagegen:
niedrige Preise, wenn möglich, besondere Faßbiere aus Oetker-Konzern (Radeberger, Pilsner Urquell?), spezielle Angebote (Klavier, Kleinkunst), mittelfristiger Ausbau der Essensangebotes, „Sommergarten“, Lage,
Öffnungszeiten (jeden Tag 9.00/11.00 Uhr – 2.00/3.00 Uhr)