Deckel

20 Jahre voll mit Geschichten aus der Volkswirtschaft
Nr. 3: Deckel

„Gudde Wiebke! Ist Karsten in der Küche? Ich wollte was von meinem Deckel anzahlen. Ein Kristall ohne Zitrone bitte!“

Die Kneipe war eine Schnapsidee.
Eine handvoll Studenten wollten Wissenschaft betreiben. Dieses Verlangen sollte unabhängig von den dafür zuständigen Institutionen sein. Dafür benötigten wir Geld, um unser täglich Brot zu verdienen. Deshalb sollte eine Kneipe, am besten eine Musikkneipe, her. Die Musik fiel schnell aus dem Raster. Die Auflagen des Ordnungsamtes wegen der Lautstärke waren nicht in unserem Budget. Nach mehreren Objekten in Bockenheim -einige wollten wir nicht, „eines“ wollte uns nicht- war die Eckkneipe Jordan/Ecke Kiesstraße mit dem Namen „Campus“ das letzte Angebot. Wenn es nicht geklappt hätte, wäre ich jetzt vielleicht Freier Mitarbeiter beim Deutschlandfunk.
Wir (Fopper, Frank und ich) bekamen von der Binding Brauerei, die als Verpächter auftraten, den Zuschlag und gründeten die „Volkswirtschaft“ als Cafe, Restaurant und Kneipe. Die Idee die Kneipe „Volkswirtschaft“ zu nennen, kam von meiner Frau Claudia. Sie kannte in Dresden eine „Planwirtschaft“. Nur verwendeten wir den Eigennamen Volkswirtschaft getreu unserem Konzept nach als Wirtschaft für alle. Ein alter Schulkumpel aus Leipzig Jörg „Bongo“ Bock zeichnete für die erste Speisekarte das Titelbild. Seine Bilder hingen mehrmals in der Kneipe.

Der Flaschenöffner. Eher ein typisches DDR-Produkt.

1997. Titelbild der ersten Karte. Der Flaschenöffner. Eher ein typisches DDR-Produkt.

Mein Freund Jörg Stein gestaltete das Logo, alle T-Shirt-Schriftzüge, die erste Homepage 1999, Handzettel sowie den Bierdeckel und das Plakat für die 20-Jahres-Feier.

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2010. Entwurf T-Shirt-Schriftzug

Unsere helfende Hand Sven Bratulic hat von Beginn an die Kneipe und die Gäste fotografiert. Viele Fotos zu den 20 Geschichten auf der Kneipen-Homepage und bei Facebook sind von ihm. Ohne Claudia, Jörg und Sven wäre die ästhetische Darstellung der Kneipe so nicht möglich gewesen. Ihnen gehört größter Dank.
Unser jungfräulich begrenztes Wissen über eine Kneipenwirtschaft manifestierte sich nach etwa einem Jahr in der unten zu sehenden Auflistung von Deckeln wichtiger Gäste. (Auf einen Bierdeckel werden die nicht bezahlten Bestellungen eines Gastes notiert. Der Deckel verschwindet in der Schublade und wird nach Vereinbarung bezahlt.) Wir waren naiv und gutmütig. Wir mußten lernen, dass in einer Kneipe viel gefeiert und getrunken wird, wir aber nur die Organisatoren der Festlichkeiten waren. Unsere Aufgabe bestand darin, am Einlass zu stehen, den Ablauf zu kontrollieren und nach den Feiern die zerbrochenen Gläser wegzukehren. Nicht wir sollten mit den Gästen feierten, sondern wir ermöglichten es unseren Gästen. Irgendwann bemerkten wir, dass die Deckel immer größer wurden und wir zu viel mitfeierten. Es mußte sich etwas ändern. Wir versuchten die Deckel einzutreiben, limitierten seitdem die Summe eines Deckels. Danach war die erste Phase der „Volkswirtschaft“ beendet, was aber nicht bedeutete, dass weniger gesoffen wurde.

Was soll ich dazu sagen?

1998. Was soll ich dazu sagen?

„Komm gut nach Hause. Fahr vorsichtig!“