Kategorie: Russisches Alphabet

Geschichten und Gefühle über Russland anläßlich der Fußball-WM 2018

Schmerzen über Schmerzen

Mit so was habe ich gespielt. Vor Jahrzehnten.
„Bleib ruhig! Ist vorbei. Der Kram liegt im Keller.
Zur Erinnerung. Die Geschichte ist zu Ende.“
Zerfallszeit – zwei drei Generationen. Zerfallsart – keine Ahnung.
Phantom-Schmerzen könnten bleiben. Meinte ich.
Auferstandene Erinnerungsfetzen, dieser irrsinnigen Gespenstergeschichten, werden heute, vom Mutterland des Sozialismus,
den Leuten in der Ukraine näher gebracht.
Der Genosse Zar im Kreml nennt es Befreiung.
Er feiert nach einem Jahr mit einem dreifachen Hurra.
Mein dreifacher Ruf geht an die,
welche es erleiden und aushalten müssen.

Und was tue ich danach?
Rittersport Marzipan essen?
Frischen Pommes in Metro oder Fegro kaufen?
Mit Stinkfinger am russischen Konsulat auf dem Oeder Weg auf- und ablaufen? Eine Petitionen für Frieden unterschreiben, auch, wenn einige dabei, ganz- und gar nicht meine Kumpels sind?
Geld für einen Panzer sammeln?
Niemanden glauben?
Die Ohren zuhalten?
Viktor Orban als Vermittler preisen?
Wenigstens einen Klassenstandpunkt bilden?
Nicht immer eine Frage mit einer Frage beantworten.

2006, 2010, 2014, 2018, 2022

2006, Von mir hat die Fifa nichts bekommen
2010, Schluß m. Romantik
2014, 1. Vowi-Cuisine
2018, Russisches Alphabet
2022, WM-Kater

Nachdem mein persönlicher Referent die letzten Interviews, u.a. zur Steuerbefreiung bei Pfefferallergie, noch einmal durchgegangen war, fiel ihm auf, dass es bei einer der letzten Befragung auf einem unwichtigen Online-Portal den Versuch gegeben hat, mir zu unterstellen, dass ich nicht konsequent genug in den letzten Jahren, sprich letzten Jahrzehnten, meine Haltung gegenüber der FIFA zum Ausdruck gebracht hätte.
Rhetorisch gefragt, unterstellte man mir, erst jetzt, wenn die „Herde“ groß genug ist, mitzulaufen, sich beispielsweise populistisch auf Boykottseiten einzutragen, und nicht schon 2018 zur WM in Russland oder bei der Vergabe an Katar 2010 laut zu warnen oder wenigstens verbal öffentlich aufgezuckt zu haben.
Ich ging also meine unzähligen Listen mit Interviews, die thematisch und nach Jahren geordnet sind, durch:

Was von Interviews in Küchen übrig bleibt.


Ich suchte buchstäblich in der Vergangenheit unten und hinten im Keller in alten Kartons das „Gelaufene“ und fand, nachdem ich jahrelang achtlos darüber hinweg gesehen hatte, folgende Fotos:

Ich wußte immer, dass er damals, später nannte man jene Zeitspanne „Märchensommer“, hier war. Ich finde kein Foto, wo er eindeutig zu sehen ist. Aber er muss es ein. C… J… dos Santos Aveiro.
Unauffällig von Bodyguards umgeben, scheinbar zur Entourage der argentinischen Fans mit ihren merkwürdig deutsch-mennoitisch klingenden Vornamen wie Andi oder Rudolf gehörend.
Die Argentinier faselten ständig, wenn es nicht um Fußball ging, über ein Import/Export-Geschäft mit dem Titel „Begonien from Argentina“:

Rotwein mit Fahrrad

Ich lehne dankend ab. Als junger Küchengehilfe, der noch nicht an die große Küche dachte, machte ich damals erste Erfahrungen in der Vowi. Mein Chef, den alle nur General nannten, veranstaltete regelmäßig Abende mit einem Menü. Dabei erwischte er mich einmal, obwohl -fast- immer in der Küche vor acht Flammen stehend, wie ich für 15 Sekunden meinen Platz hinter dem Tresen verlassen hatte, um pflichtschuldig schmutziges Geschirr wegzubringen. Innerhalb der acht Stunden unserer gemeinsamen Arbeit war ich für Sekunden nicht auf meinem Platz. Genau in diesen wenigen Sekunden verließ er seine acht Flammen in der Küche und fand weder mich noch eine meiner Kolleginnen. Zum Rapport bestellt, dass ich nicht irgendwas irgendwo tun sollte, sondern immer dort hinter dem Tresen oder unterwegs im Gastraum als eine Art Leuchtturm meine Aufmerksamkeit im Gastraum im Winkel von 360 Grad bewegen sollte, denn deine Aufmerksamkeit muss immer, wie bei einem Leuchtturm, auf das Meer, auf deine Gäste gerichtet sein. Jemand könnte Hilfe benötigen und braucht dich. Vielmehr belass deine Gäste mit dem sicheren Gefühl, dass du jederzeit ihnen deine Aufmerksamkeit zuteil werden lässt. Ich rede mich nicht raus, ich wusste, dass er recht hatte. Er war immer im Recht als General. Er überlegte sich die Strategie und später die Taktik in der Küche. Ich ahne vieles von dem, was er sagte. Konnte aber beim besten Willen nicht mithalten. Dazu hatte ich zu viel Banales zu tun, wie Schlachtpläne zeichnen, Besteck-Formationen in Servietten geben und Öffentlichkeitsarbeit. Er lieferte die Schlacht und ich legte im übertragenen Sinne die Schürzen der Jäger dafür zusammen.
C… J… dos Santos Aveiro hatte vom General gehört. Auf einer Insel geboren mitten im Land, umsegelt er die Heimat des Generals. C… J… dos Santos Aveiro wußte, dass der Heimatverein des Generals bereits acht mal französischer Meister geworden war. Mit ihm könnte er etwas gestalten, denn die kulinarischen Ereignisse jagen ihn, nicht er sie.
Vorerst verhandelte C… J… dos Santos Aveiro mit meinem damaligen Chef über T-Shirts anlässlich der WM in Deutschland, die der FIFA nicht wohl gesonnen war. Fairtrade aus Biobaumwolle in Portugal genäht. In der Mitte von Portugal mit EU-Mitteln finanziert, steht seine Manufaktur. 1 A Qualität. Sie einigten sich. Ganz selten nach über 15 Jahren sehe ich sie noch an greisenhaften Gestalten, die damals im Laden aus- und ein gingen. Die Wölbung des T-Shirts am Bauch verrät die alte Leidenschaft.




Jahre später wieder zu einem Fußball-Großereignis, diesmal in Südafrika, ich war vom Gehilfen zum Kellermeister aufgestiegen, schlug C… J… dos Santos Aveiro ein neues T-Shirt-Projekt vor.
Unter Bezugnahme auf das Deutsche Romantik-Museum, welches in Frankfurt erbaut werden sollte und seiner Lieblingsband „Element of Crime“, obwohl er damals nur radebrechend Deutsch sprach, sollte das Motto „Schluß mit Romantik!“ auf die T-Shirts bedruckt werden.
Mein Chef lehnte ab. Über viele Witze konnte er nicht lachen.

Mein Chef, der Papier nur auf der Toilette benutze, beschäftigte sich längst mit der Zukunft, sprich mit den nächsten drei WMs. Darüber gibt es keine Aufzeichnungen. Nur seine einmalige Beichte, nach zwei, drei Kannen Kamille-Minztee, er trank höchst selten Alkohol, nachmittags am 13. Juli 2014.
Zukunft später: Ein junger vermeintlicher Superstar, der wusste, dass er später am Tag auf dem Gipfel seiner Karriere gelangen und es spätestens danach bergab gehen wird, beschließt in acht Jahren zur Eintracht zu wechseln, um zu beweisen, dass sein Denkmal nicht im Schneegestöber verblasst wie die Hand Gottes.
Zukunft eher bald und danach: Die WM in Russland bedarf eines Kommentars. Die WM in Katar muss ignoriert werden.
Leitung, Ansprechpartner, Mittelpunkt, Trendsetter, Jubelposenvorgeber, Torschütze, Elfmeterschütze bei Bedarf, Drama-Queen von 2006, 2010, 2014, 2018 bis 2022 war immer eine Person: C… J… dos Santos Aveiro.
Zuerst redete er mit dem jungen vermeintlichen Superstar. Ihm schlug er vor, täglich ein Stückchen von einem Frankfurter Bäcker, dessen Begründer, ein Österreicher mit Alkoholproblem, nach Frankfurt gezogen war, zu essen. Der alte Bäcker Kronberger war allergisch gegen den Geruch von weißem Pfeffer. Deshalb flüchtete er vor dem Grünen Veltliner seiner Heimat zum Apfelwein nach Frankfurt. Zurück zum jungen vermeintlichen Superstar. Die aus der Stückchen-Manie resultierende „Stoffwechsel-Erkrankung“ würde so lange dauern, bis er über diverse Umwege zur Eintracht gelangt. Was scheinbar keinen Sinn, weder für den Leser noch für den jungen vermeintlichen Superstar ergibt, war also geplant.
Dann lernte C… J… dos Santos Aveiro Russisch. Anhand des russischen Alphabets erfuhr er Begriffe, Persönlichkeiten, Geschichte dieses Landes.
Mir sagte er sinngemäß, dass er keinen Respekt vor jemand hat, der keinen Respekt vor ihm hat: „…Wenn du keinen Respekt vor mir hast, werde ich nie Respekt vor dir haben.“ Was er damit meinte, verstand ich im Februar 2022.
Anläßlich der WM in Katar sah ich ihn nur kurz. Er hatte viel zu tun. Versprichst du mir nicht, nach Al-Nassr FC in Saudi Arabien zu wechseln, fragte ich. Dabei sah ich ihn in seine Augen und mir fielen zum ersten mal seine schönen gezupften Augenbraunen auf. Er erwiderte, dass er fünf mal aller vier Jahre dabei war, er mir geholfen hatte, den jungen vermeintlichen Superstar zur Eintracht zu holen, die WM in Russland kritisch begleitet hat und die WM vier Jahre später anstatt a r mit e r buchstabiert zu haben. Er bräuchte noch Geld für seine Stiftungen und weitere Denkmäler. Da müsse er sehen, wo er bliebe. Außerdem macht er jetzt in Kunst. Back:Kunst:

Back:Koralle.

Irgendwie konnte ich ihn verstehen. Ich würde ebenso irgendwann gehen. Ich hatte dazu noch mehr WMs mitgebracht. Aber dort wo er spielt, spiele ich ganz sicher nie.

Ach, was für Zeiten.

Psychosenjahr

Wenn ich mächtig und voller Geist mit Sprache umgehen könnte, wie Schiller oder Goethe im Balladenjahr 1797, würde ich nicht das tägliche vorbeischlurfende Leid vor der Vowi in Versform bringen. Das Leid versteckt sich hinter irgendwelchen Psychosen, die einen sprach- und ratlos oder vollgespuckt zurücklassen. Schlürfend oder guttural vorgetragene Litaneien, Anschuldigungen, (für uns) Verwirrtes und immer aggressiveres Verhalten mit der ewigen Frage nach Geld und Zigaretten.

Nordend-Psychose nach der Arbeit: Ich sehe mich, wobei ich zeitgleich in einem Restaurant auf einen gedeckten Tisch schaue, vor meinem Roller mit einem fliegenden, zusammengerollten Teppich?

Daneben gibt es die regulierten Abläufe der Dämmerungspatienten, welche zwischen Kiosken und den in der Nachbarschaft befindlichen Miniparks auf und ab tauchen aus ihren Randexistenzen. Auch sie trägt ein Verlangen nach Leben, anders als die Norm. Hier gibt die Öffnungszeiten der Kioske den Takt vor. Das erste Bier gegen acht, das letzte nach Mitternacht.
Dazwischen existiert die Kneipe mit ihren Gästen oder die Gäste dieser Kneipe.
Das Abgrenzen von den Psychosen und den Randexistenzen klappt mal mehr mal weniger. Im Sommer, wenn die Tische brav mit einem Meter Abstand von den Radbügeln stehen, bleibt genügend Platz für all das, was man auch mit viel Bier sich nicht schön trinken kann.

Die Theorie eines genehmigten Sommergartens 2022

Bei allem Verständnis für die Probleme der anderen, dem Eingeständnis eigener Probleme, Sorgen über soziale Probleme besonders der Gentrifizierung des Stadtteils und im angelesenen Wissen, dass das Sein das Bewusstsein bestimmt, gebe ich kein Geld mehr. Mein Geld hilft hier nicht. Ich kaufe mich damit für den Abend frei. Und am nächsten Tag erfolgt gleiche Frage nach einem Zwickel.
Wenn ich mächtig und voller Geist mit Sprache umgehen könnte, wie Schiller oder Goethe im Balladenjahr 1797, würde ich vielleicht von anderen erzählen, beispielsweise der Band „Shortparis“. Diese versuchen aus dem fernen Sankt Petersburg, da wo in der Nähe die Turbine hin soll, der Realität vor ihrer Haustüre zu entkommen, der Realität vor ihrer Haustüre etwas zu entgegnen. Vorsicht bei „Falschnachrichten“ über die Russische Armee. Mit bis zu 15 Jahren Haft können diese bestraft werden.

Shortparis – Гетто в озере «Зов озера» pt. I

Shortparis – О, как хотела мама «Зов озера» pt. II

Petite Cuisine, 17.03.22

Ob es vor vierzig Jahren anders gewesen ist, könnt ihr in einer Geschichte auf der Vowi-Seite nachlesen.

Zeit


Damals würde wohl eher im Tannenbaum als im Jordaneck Popmusik aus der Sowjetunion im Kassettendeck abgespielt werden. Beispielsweise Musik von Alla Pugatschowa, eine Mischung aus Schlager, Chanson, Folklore und einer Brise Rock, die im Westen bekannter als die Kurzzeit-Generalsekretäre Andropow und Tschernjenko gewesen ist.

1981. Auszug eines Briefes vom Schriftsteller Peter Kurzeck

1981. Auszug eines Briefes vom Schriftsteller Peter Kurzeck

Heute wird in der Volkswirtschaft russische Popmusik gestreamt. Inwieweit diese politisch korrekt für alle passend und für alle, besonders in Russland, erreichbar ist, bleibt eine Gratwanderung, ähnlich sich nicht mit einem bekannten Virus anzustecken.
Meine Lieblinge, die Band „Shortparis“, kommen (auch) aus Sankt Petersburg. Mit ihrem aktuellen Video schaffen sie es sich wohl in Russland nicht angreifbar zu machen und dennoch kommentieren sie die extrem verschärfte Situation im historischen Kontext und zeigen ihre eigene Zukunft auf. Das muss man erstmal schaffen. In meinen Augen herausragend. Ihre angesagte Tour auch nach Deutschland findet hoffentlich statt. Der Sänger Nikolai Komyagin wurde, wie es heißt, auf einer Antikriegsdemo verhaftet:

Ganz neu:
Яблонный Сад – Apfelgarten:

Mein Lieblingstitel und Video:
КоКоКо / Cтруктуры не выходят на улицы – Kikeriki/Strukturen demonstrieren nicht

Vor vierzig Jahren

1. Teil
Vor vierzig Jahren war die Welt nicht so viel anders.
Ein gewichtiger, eigentlich der wichtigste Präsident damals hatte vor seinem Amt eine Karriere als mittelmäßiger Schauspieler. Politisch, in seinem Auftreten und in seiner pausbäckigen Beschränktheit die Welt erklärend, stand er für all das, was man, wenn man doch mal erwachsen wird, nie sein wollte.
Der sich weiter im Osten befindliche, also der andere wichtigste, nicht Präsident, sondern Generalsekretär benannt, hatte ein nicht zu überhörendes Alkoholproblem und sollte bald sterben. Bei ihm wurden eigentlich alle, die sich gegen ihn äußerten, irgendwie bestraft. Im Bestrafen gab es dort eine lange ausgeklügelte Tradition, aber manche der jungen aufmüpfigen Leute, von denen gleich noch die Rede sein wird, taten so, als ob das ein zwei schwerwiegende Ausnahmefehler gewesen wären, die eben mal passieren, aber eigentlich sei doch vieles richtig und damit gut.
Es wurde damals extrem viel Geld für Rüstung ausgegeben. Man schreckte vor nichts zurück, um sich gegenseitig zu gruseln, dass einem der andere nichts tat. Schlussendlich, weil man manchmal keine kleineren Länder fand, wo man sich stellvertretend bekämpfen konnte, verlagerte man dieses Gleichgewicht des Schreckens in das Weltall.
Ein paar Jahre später, aber noch lange vor unserer Zeit, gab es den letzten Generalsekretär, der sah ein, dass man kein Geld mehr hatte, um all die Waffen zu bezahlen und dass es längst sinnentleert geworden war, wie sein Staat sich erklärte und existierte. Er zerfiel. Löste sich aber nicht auf. Vielmehr wurde er zunehmend beleidigter in seinen Resten. Vielleicht weil er so klein war und sich von den anderen nicht akzeptiert fühlte. Diese Reste knüpfen an die ausgeklügelte Tradition des Bestrafens an und sorgen sich jetzt weniger um den Aufbau des Kommunismus in ihren Aufsätzen, als um das 3. Rom. Ihren Nachbarn versuchten sie das gleiche einzutrommeln.

2. Teil
Vor vierzig Jahren gab es noch keine Volkswirtschaft. Aber eine Kneipe an gleichen Stelle fand sich durchaus. Das junge Volk, eher aufmüpfig, ging lieber ein paar Meter weiter in den Tannenbaum und ins Flotte. Hier war sicher die Eintracht ein Thema. Sie spielte in der Saisons 81/82 gut, wobei mehr solide im Mittelfeld. International flog sie im März gegen Tottenham aus dem Viertelfinale des Europapokals raus. Die jungen aufmüpfigen Leute von damals beschäftigten weit mehr die Ereignisse um die Startbahn West oder eine Vorbereitung einer Demo gegen die Politik der USA in Mittelamerika.
In Frankfurt erhielt die Hochkultur mit der endlich wiederhergestellten Alten Oper ein zentrales Symbol. Die aufmüpfigen jungen Leute hatten natürlich damit ein Problem. Was dort, hochsubventioniert vom Staat, aufspielte, wo weniger die Eltern der aufmüpfigen jungen Leute, weil zu teuer, als vielmehr deren Vermieter in Abendgarderobe sich Mahlers 8., schrecklich schön traurig und dabei so bedeutsam, zur Wiederöffnung anhörten, brauchten sie ganz sicher nicht. Ihre Gefühle fanden sie viel besser wiedergegeben in einem Orchester, welches mit zerstörendem Lärm so stark pulsierte, dass es diese alten und neuen Bauten schier zum einstürzen brachte.
Im Schaufenster der Buchhandlung, wo im Antiquariat ein junger, leicht cholerischer Taxifahrer, der Jahre später in Amt und Würde mit zerknautschten Gesicht neuen jungen aufmüpfigen Leuten die Weltpolitik erklärte, starrten unsere jungen aufmüpfigen Leute auf den lang erwartenden vierten Band eines deutsch-deutschen Schriftstellers. Er, der mittlerweile in Vergessenheit geriet, soff sich langsam in seinem Exil auf einer Insel Pfeife rauchend zu Tode. Erst als dem Wirt seiner Stammkneipe auffiel, dass er tagelang nicht mehr kam, wurde bei dem einsiedlerischen Schriftsteller an die Tür geklopft. Als keiner antwortete, wurde die Tür aufgebrochen. Man fand ihn tot. Aber seine Bücher gab es in der Stadtteilbibliothek und sie waren voller Phantom-Schmerz nach der verkaterten Heimat, die doch irgendwo existieren muss. Entweder also, man soff sich die Erinnerung schön oder umschlich sie, scheu wie eine Katze.

3. Teil
Als dann vor vierzig Jahren die jungen aufmüpfigen Leute die Plakate sahen, dass jener Musiker am 11.06. in die Stadt kommt und ausgerecht dort spielt, wurde hin und her diskutiert. Wenn er kommt, sagten die einen, dann gehe ich auf jeden Fall hin. Wenn es einen gibt, der unbeugsam, schonungslos und politisch auf den Punkt, ohne sich anzubiedern, ist und schrecklich schöne Musik macht, die unentschieden zwischen Trauer, Zynismus und Lachanfällen schwebt, dann er. Auch an einem Ort der Hochkultur. Andere hatten vor, nach Westberlin zu gehen, um nicht zum Bund gezogen zu werden und freuten sich endlich, eine neuartige Welle von Musik zu erleben, die sie für viel klarer, direkter und somit moderner hielten als ihn. Und wieder andere drehten sich einen großen Joint, legten Musik aus Jamaica, die scheinbar vergeistigt durch Heilserwartungen, sich einfach nur Zeit ließ, weil sie später als eigentlich gedacht anfing, auf.
Beim Konzert dann, anstatt zu zuhören, verunstaltete während der Zugabe einer der jungen aufmüpfigen Leute eine amerikanische Fahne. Für ihn das Symbol des Imperialismus. Als er, wegen dem sie alle da waren, dies von der Bühne aus sah, fragte er rhetorisch gemeint, was man da mit seiner Fahne tut. Die anderen Zuhörer schrieen und pfiffen, was mehr als Zustimmung weniger als Ablehnung zur Verunstaltung gewertet werden konnte. Er, auf der Bühne, fluchte den Zuhörer an, das er sich sinngemäß zum Teufel scheren solle. Die Sache schien vergessen. Doch ihn, wegen dem sie alle da waren, sagte nach der nächsten Zugabe, man sollte doch im Zusammenhang mit der Fahne nicht vergessen, dass nicht alle Amerikaner wie ihr damaliger Präsident, der besagte ehemalige mittelmäßige Schauspieler, wären.
Lange diskutierten sie, auf dem Weg nach Hause im Tannenbaum noch vier fünf Henninger trinkend, das Konzert. Ein gerade neu eingestellter Hallenser brachte ihnen das Bier. Aber nicht, dass jener Musiker eine alte angebrannte Jimi Hendrix Gitarre spielte, dass er eine blutjunge hochintensive Band um sich hatte, er wieder einen Haufen unbekannter Lieder aufführte, er es geschafft hatte, alle neuen Stile und Moden einzubinden, zu kommentieren und all dies in einen Raum zu geben, der erfahrbar war, sondern seine Ansage zum Umgang mit der Flagge beschäftigte sie. Es ist und bleibt das Symbol des Imperialismus, meinte einer der jungen aufmüpfigen Leute. Der junge Hallenser, gerade aus dem Osten abgehauen, hörte mit einem Ohr zu. Eine Philosophiestudentin im Kolleg machte ihm schöne Augen, was er durchaus bemerkte. Wieder bei den jungen Leuten am Tisch meinte er, dass die Fahne für ihn und für viele weiter im Osten für die Idee der USA, aufgeschrieben in ihrer Verfassung, stehen würde, und die sei doch eine Grundlage. Nicht der Ex-Schauspieler als Präsident, sondern die Freiheiten, die das Gesetz garantiere, ergebe den Sinn. Die „Marseillaise“ seit doch beispielsweise vom reinen Text ausgehend sehr blutig. Aber für ihn stehe sie für… Abgelehnt! Das Sein bestimmt doch das Bewusstsein, wurde er von hinten aus dem Kolleg unterbrochen. Hör auf mit diesem sentimentalen bürgerlichen Schwachsinn. Wie soll sich ein Unterdrückter entscheiden können, wurde nachgesetzt. Der junge Hallenser, nicht auf dem Mund gefallen, antworte indem er aus seiner Schulzeit zitierte, wenn du nur deine Ketten, die dich binden, verlieren kannst, dann entscheidest du dich doch für die Freiheit. Sie ist das Wichtigste. Den Geschmack der Freiheit, ihre Süße, dabei sah er die Philosophiestudentin an, deswegen bin ich hier. Ein alter Genosse am Tresen sitzend, drehte sich um, schüttelte den Kopf und sprach, im Tannenbaum die Süße der Freiheit zu kosten, ist genauso dämlich, wie zu denken, dass die Mauer eines Tages verschwindet. Eher gibt es einen Weltkrieg, du Idiot.

Eintrittskarte Zappa Konzert 1982 in der Alten Oper

Manches ändert sich und manches ändert sich nie.
Manches ist wahr, manches erfunden.

Quellen:

Vorzeit

Zeit

Zappa und Umgang USA-Fahne während Konzert in Brüssel 14.05.82
Kommentar unter Konzert-Mitschnitt, Brüssel 14.05.82

Fotos Jordanstraße 1982

Foto Eintrittskarte Zappa, Alte Oper, late show, 11.06.82

Fotos Jordanstraße 2022
Luca mit Annas Hilfe

Romane:
Peter Kurzeck
Oktober und wer wir selbst sind, 2007
Uwe Johnson
Jahrestage, Band 4, 1983

Musik:
Frank Zappa
Ship Arriving Too Late To Save A Drowning Witch, 1982

Russisches Alphabet_Т_2.

Russisch buchstabiert auf Französisch

Тур де Франс
Tour de France

Teil 2:

Als irgendwo in der südlichen Bretagne das Fahrerfeld der diesjährigen Tour de France an uns vorbeirauscht, klingt es wie eine mechanische Sinfonie. Über uns mehre Hubschrauber (schweres dröhnendes Ratatatatata), vor und hinter dem Fahrerfeld die Polizeimotorräder und viele Konvoi-Skodas (schnelles Brum.., Brum…, Brum… und normales Eh…, Eh…, Eh…) und dazwischen weit über hundert bunt gekleidete Fahrer. Sie reden miteinander, was wir einen Meter entfernt am Straßenrand nicht hören, nur sehen. Wir hören dagegen hunderte Tretlager motorisch summen bzw. ölig knacken (rollendes russisches r). Die Sinfonie ist kurz. Sie ist so kurz, wie der Flügelschlag eines Schmetterlings am Wegrand.

Seit Stunden warteten wir auf die Fahrer.

Immer mal wieder raste ein Auto oder ein Polizeimotorrad an uns mit Tempo 70 vorbei. Die Straße hat keinen schönen Asphalt. Er ist porös und nicht glatt. Die Straße ist schmal. Es passen kaum zwei Autos nebeneinander. Wiederum hat der Zuschauer am Rand ebenso wenig Platz zum Stehen. Manchmal gibt es einen Graben oder keinen Graben, nur Dornen.

Zuerst kommt etwa eine Stunde vor den Fahrern die Werbekarawane. Aus Disneyland bei Paris geklaute Autos mit jungen Leuten bestückt, werfen bei Tempo 70 Gummibärchentüten, Rad- und Grillmützen, Waschmittel, Donald-Comics, Schlüsselanhänger, Schlüsselbänder, Geldkartentaschen, oder Biscuits in unsere Richtung. Eine junge Frau vom Haribo-Wagen traf mich genau in der Mitte meines Körpers. Bestimmt nicht mit Absicht.

Dann rasen sonnenbebrillte Polizisten auf ihren Motorrädern mit Blaulicht vorbei. Gegenüber von uns steht ein netter Mann aus Strasbourg. Mit ihm palavern wir ein wenig auf Englisch. Er grüßt scheinbar jeden einzelnen Polizisten auf ihren Motorrädern. Sie nehmen ihre Arbeit sehr ernst. Sie sind wichtig. Durch ihre Sonnenbrillen entrückt ihr Blick ins Imaginäre.

Vor den ersten Radlern fahren ähnlich schnell, wie die Motorräder, schicke Autos mit gedunkelten Scheiben an uns vorbei. Die Insassen winken uns zu. Warum? Wer sind sie?

Meine Tour-App zeigt mir an, dass es eine Spitzengruppe von drei Radlern gibt. Das Hauptfeld folgt sehr dicht. Die drei ersten unterhalten sich. Sie diskutieren angeregt. Sie müssen laut reden, denn durch den ganzen Tross um sie herum hören sie nichts. Wenig später rauscht das Hauptfeld an uns vorbei. Die Begleitfahrzeuge bilden den Abschluss. Unsere Straßenbemalung mittels Kreide „SGE. Allez les bleus! Vowi. John Degenkolb.“ hielt nur kurz den Reifen der Autos stand. Wir hätten richtige Farbe benötigt. Vielleicht konnte John Degenkolb den Eintracht-Schal, der an einem Baum hing, als Aufmunterung deuten. Wahrscheinlich aber nicht. Alles war, wie im wirklichen Leben, zu schnell.

Wir packen die herrlichen Dinge von der Werbekarawane ein und fahren mit unseren Rädern zum Auto, was nicht weit geparkt wurde. Die verbliebenen Zuschauer sehen uns, als behelmte Rennrad fahrende Radler und jubeln einfach aus Spaß, wie bei den Profis. Da hören wir ein schnell laut werdendes Rauschen und ein plötzliches wildes Hupen hinter uns. Wir springen, besser wir fallen zum Straßenrand. Nachzügler mit Begleittross (nichts von denen war auf meiner App zu sehen) zehn Minuten nach dem Hauptfeld donnern an uns vorbei. Alle wundern sich. Alle drehen sich noch mal um. Das war’s wohl.

Salut!

Zusammengefasst kann man sagen. Die Tour fährt wirklich hauteng an einem vorbei. Es gibt viele Räder, Autos, Motorräder und Hubschrauber, aber alle haben es ziemlich eilig und keine Zeit innezuhalten. Sie präsentieren. Die Zuschauer wiederum sitzen, ohne sich zu bewegen. Sie feiern die Fahrer und sich selbst.

Allez les bleus!

Möge Ante Rebic ein Tor am Sonntag schießen, um noch teurer zu werden und mögen schließlich die Blauen gewinnen. Ich finde, sie haben es sich verdient.
Viva la republic!
Viva la France!
Alles Gute zum Geburtstag, Fab!

 

Russisches Alphabet_Т_1.

Russisch buchstabiert auf Französisch

Тур де Франс
Tour de France

Teil 1:
Du gehst also mit dem Finger auf der Landkarte von Wolgograd oder Lwiw oder Krakow oder Frankfurt aus immer weiter links nach Westen. Du kommst nach Luxemburg, worüber mir nichts einfällt. Du kommst in den deutschsprachigen Teil von Belgien, worüber mir noch weniger einfällt. Du landest schließlich an der Kanalküste irgendwo zwischen Le Havre (Zielbahnhof des Lokomotivführers aus dem Roman von Emile Zola „Das Tier im Menschen“) und Dunkerque (1940) und dann gehst du nach unten und bist im Dreieck Chartres-Paris-Orleans (diesjährige Tour-Etappe inclusive Kathedrale – Thomas Tuchel – Jungfrau) und gehst wieder nach Westen bis es nicht mehr geht, also bis dort, wo du eigentlich schon Donald winken siehst von der anderen Seite des Atlantik. Und dann bist du in der Bretagne. Du bist im westlichsten Teil dieser Präfektur im Departement Finistère. Du bist also dort, wo sie gerade die Tour gefahren sind, du bist dort, wo Le Pen nicht viele Stimmen bekommen hat, du bist dort, wo man stolz wirbt, 64 Millionen € in die Infrastruktur zu stecken, du bist dort, wo Fabrice, unser Vowi-Cuisine-Koch, herkommt, und du bist dort, wo der neue Fußball-WM-Sieger hoffentlich gebührend gefeiert wird.

Und was hat dies mit Russland zu tun? Nicht so viel.

Dennoch, Frankreich und Russland verbindet einiges. Der Adel im 18./19. Jahrhundert sprach eher Französisch als Russisch. Nachzulesen ist es in Lew Tolstois Roman „Krieg und Frieden“. Ähnlich wie in Sachsen, hinterließ Napoleons Kriege (in Russland „Vaterländischer Krieg“ genannt), Lehenswörter zurück, die in die Sprache einkehrten. In Sachsen sind es beispielsweise Perron oder Trottoir oder Üwä.

Die Art und Weise (Dampfschiff, Kommunikation mit der Außenwelt über Funk) des Besuchs des französischen Präsidenten wenige Tage vor dem Ausbruch des 1. Weltkrieges im Juli 1914 beim Zaren in St. Petersburg war (nach neuesten Forschungen) sehr wichtig für die nicht mehr aufzuhaltende Dynamik bei dessen Ausbruch. Stimmt’s, liebe Historiker?

Bei der Tour de France fährt kein Team direkt unter russischen Flagge. Aber die Teams von Astana und Katjuscha haben russische Helfer – als Fahrer für was auch immer.

Le Vowi

Mein neuer Laden in der Bretagne: Le Vowi. Waren sehr eindrucksvolle Gäste zur Mittagsstunde dort.

Школьники

Russisches Alphabet_Ш

Wladimir Putin kümmert sich in Russland eigentlich um alles. Wenn unserer Sport – und Heimatminister sich den russischen Präsidenten zum Vorbild genommen hätte, wäre das Vorrunden-Aus der Yogis sicher nicht passiert. Denn Putin hätte eine Idee gehabt. Beispielsweise könnte ich mir gut vorstellen, dass nicht Akinfejew im Tor der russischen Nationalmannschaft steht, sondern Putin, maskiert als der ZSKA-Keeper, dessen Arbeit erledigt.

2013 hat Putin die Idee, eine Liste mit 100 Büchern zu erstellen, die neben dem Schulstoff eine Empfehlung bzw. Anregung zum weiteren Lesen sein soll.
Das Ministerium für Bildung und Wissenschaft der Russischen Föderation machte sich an die Arbeit. Auf dieser Liste fand ich eine von mir geschätzte Historien-Triologie von Wassili Jan über den Einfall der Mongolen unter Dschingis- und später Batu-Khan in Asien und Russland im 13. Jahrhundert.
Mit Empathie und viel Kolorit beschreibt der Autor die unterschiedlichen Menschen und ihre Kultur. Er versucht, alle Voreingenommenheiten und Klischees beiseite zulassen. Ihn interessieren Beweggründe und ihre Geschichten. Die Unterschiede verwischen. Die in tiefster Stalinzeit geschriebenen Romane sind eine Art Fingerzeig für die Verschiedenheit der Menschen, aber ebenso für die Schicksalshaftigkeit im Sinne von Fremdbestimmtheit des Lebens.
Historische Romane sind eigentlich schrecklich. Meistens wird platt die Handlung vorangetrieben, die regelmäßig durch dramatische Situationen eine Dynamik bekommen soll. Lokalkolorit, fremde Namen, Hokuspokus, edle Recken verliebt in schmachtende Schöne usw. sind die Zutaten – eine Art Maggie-Gewürz… Die Personen entwickeln sich nicht. Die Charaktere sind fertig. Den Rest ergibt die Historie.
Die drei Mongolen-Romane, die in erster Linie im heutigen Russland spielen, sind ein solches, aber gehobeneres Beispiel für gute Unterhaltung, die nicht wirklich weh tun – finden Putin und ich.

лишний Человек

Russisches Alphabet_Ч

Es war einmal  -weil es so lange zurückliegt, können sich die Wenigsten daran erinnern – ein Königreich. Hier sollte alles anders als in den übrigen Königreichen gemacht werden. Der König und seine Minister entschieden, die Zeit still stehen zu lassen. Die Vergangenheit durfte es noch ein wenig geben. Vor allem gab es Zukunft, vermengt mit ein wenig Gegenwart. Weil dies nicht jeder gleich verstand, erfanden der König und seine Minister kurze zusammenfassende Phrasen. Die sollten alle kennen und falls sie gefragt wurden, laut aufsagen. Schließlich bauten der König und seine Minister einen tiefen Graben um das Reich. Denn sie waren sauer, dass es immer noch einige gab, die nicht hier leben wollten. Wenn sie schon das Königreich verließen, dann wenigstens mit zwei gebrochenen Beinen oder am besten mit gebrochenem Rückrad.
Viele junge Menschen interessierten sich wirklich mehr für die Zukunft als für die alten Geschichten von früher. Die jungen Menschen preisten den König und seine Minister. Sie wollten mithelfen, die Zukunft zu gestalten. Sie bestellten die Felder oder später montierten sie im VEB Robotron zwar noch sehr große, aber leibhaftige Computer. Andere fuhren in ein befreundetes Königreich, was viel weiter im Osten lag. Dort halfen sie eine Mückenplage zu besiegen, indem sie Eisenbahnschienen verlegten.

Die viele Arbeit stumpfte die jungen Menschen ab. Die gelernten Phrasen erklärten den Rest, und schließlich gab es für junge Eheleute einen Kredit vom Königreich und eine Wochenkrippe (Montag Kinder hinbringen, Freitag Kinder abholen) für den Nachwuchs.
Das Leben hätte so schön sein können. Fast schon heute, aber ganz sicher dann morgen. Nicht ganz. Denn ein paar Ungläubige, Nachfragende, die sich auf ihren Menschenverstand und auf einen funktionierenden moralischen Kompass verlassenden jungen Menschen in diesem Königreich machten nicht mit. Der König und seine Minister sperrten ein paar ein, andere brachen sich im Grenzgraben das Rückrad. Den Rest erklärten sie für überflüssig. Wozu sollten diese überflüssigen Menschen gut sein im Königreich. Zwar waren sie in der Schule seltener sitzengeblieben als andere Schüler der 13. POS „August Bebel“ im Leipziger Osten. Zwar konnten einige passabel Russisch, aber ihnen fehlte der Phrasenstandpunkt. Für den König und seine Minister waren die Überflüssigen wie verschüttetes Wasser aus einem Eimer. Wasser war genug da, dachten sie. Da konnte ruhig etwas daneben fließen. Zum Schluss war es so viel überflüssiges Wasser, dass die Phrasen weggespült wurden und die Menschen den König und seine Minister verjagten.
Leider waren die überfüssigen Menschen schon lange vor ihnen weg, wohin auch immer.

Der Ausdruck Überflüssiger Mensch stammt aus der russischen Literatur des 19. Jahrhundert. Damit ist oft der Intellektuelle, Pessimist und Zyniker gemeint, der in irgendeinem russischen Gutshof der Freund des Sohnes des Gutsherren ist. Leider verliebt sich die junge Tochter des Gutsherren in den schwarz gekleideten Zyniker vom Dienst. Es endet zumeist tragisch.
Anstatt also der Gesellschaft zu helfen, drängen die Umstände so manchen klugen Geist in eine Position, wo sie überflüssig werden für die Gesellschaft, die Liebe und für sich selbst. Zu viel Nietzsche und Schopenhauer gelesen.