Das ästhetische Rauschen_amtlich

– [x] amtlich
Zur Ausstellung und zum Fotoband Wirte im Lockdown
Ich finde die Fotos der Ausstellung „Wirte im Lockdown“ in ihrer Mehrzahl langweilig. Sie erzählen nicht, welche Nöte (Existenzängste), Auswege (Solidarität der ausgebliebenen Gäste), Selbstbeschäftigungen (Renovierung) und Anträge an Ämter, Ministerien und Behörden (Hilfspakete, Sonderpakete, Stundungen) die Monate des Lockdown ausgefüllt haben.
Sie fangen keinen würdigen Augenblick ein, sie sind weder traurig noch lustig. Sie sind nicht spontan, noch wirkt ihre Inszenierung. Sie sind banal. Die abgelichteten Wirte brechen selten die Konventionen der Geschlechter, des Status‘, der Lebenssituation. Frauen stehen schicklicher oder zurückhaltend da. Die vielen Männer zeigen sich breitbeinig und raumausfüllend. Die Inszenierung der Fotos kommt mir bekannt vor, als würde eine Fußballmannschaft präsentiert oder eine Telefongesellschaft wirbt für sich, indem sie die Anonymität in der Gesellschaft problematisiert, aber eigentlich nur will, dass man für Geld in ihrem Netz anruft.
Sich zu präsentieren wird mit dem Vorführen des Zeitgeists verwechselt, indem sich die Wirte jünger verkleiden, als sie sind. Ohne Verkleidung, nackt, würde sich einiges gerade rücken, nur wäre es dann langweilig, hässlich und die Botschaft wäre weg. Die gewollte Botschaft wird permanent wiederholt, in dem die Wirte, anstatt der Gäste, im leeren Gastraum präsentieren. Dem Lockdown verdankend, sind die Stühle hochgestellt oder der Gastraum wird als Lagerraum verfremdet. Türaufsteller weisen auf den Außerhausverkauf hin.
Schon die Bezeichnung Wirte stört mich. Hier wird Standesdünkel moderiert, der mir vollkommen abgeht und auf meiner „Ohne mich-Liste“, gleich unter
Schunkeln,
Tanzschule,
Sonntagsspaziergang,
ordentlich Anziehen,
Fasching und
Bierseligkeit
steht.
Einer meiner Vorfahren im 17. Jahrhundert war Schießbudenbesitzer. Ob er dem 1873 gegründeten Deutsche Gastwirtsverband oder dem 1893 hervorgegangenen Bund deutscher Gastwirte angehörte, die sich dann spätestens nach dem zweiten Weltkrieg in den Deutschen Hotel- und Gaststättenverband (DEHOGA) zusammengeschlossen haben, weiß ich nicht. Wenn ich schon Zwangsmitglied der Industrie- und Handelskammer sein muss, werde ich nie DEHOGA-Mitglied.
Immer schön Abstand wahren, lieber Herr Gesangsverein!

Filmchen: Pilgerweg

Räuche:

Buchhaltung

amtlich

unlustig

mitteilsam

gelassen

glücklich geglaubt