Kategorie: Musik

Operette, Schlager und Volksmusik kommt hier nicht als Thema vor

Hazmat Modine

Auf gut Glück hatte ich eine CD aus der Stadtbibliothek ausgeliehen. Das Cover erinnerte mich irgendwie an Folk- oder Weltmusik. In Wirklichkeit grooven hier mehrere eher ältere New Yorker in ungewöhnlicher Besetzung (u.a. Tuba, Mundharmonika) auf der Grundlage des Blues gemischt mit Reggea, Bluegrass und viel Virtuosität. Was wie ein Poutpourri beliebter Stile erscheint, schmeckt nach Trüffeln tief im Blues: erdig, feucht, furchtbar alt und trotzdem rotzfrech.
Im April erscheint die neue CD von
Hazmat Modine „Cicada“

[youtube http://www.youtube.com/watch?v=maa8Dx5upu8&w=460&h=365]

Der singende Neanderthaler, nicht aus einem Dorf bei Düsseldorf, sondern aus Essen

„Wollt ihr euch gegenseitig umbringen?“ schreit Mille, Chef der Essener Trashmetal-Band „Kreator“ mir in der gut gefüllten Gießener Messehalle als Ankündigung eines der Klassiker aus den 80ern (ich habe vergessen welcher, vielleicht „Extreme Aggression“, „Endless Pain“ oder „Pleasure To Kill“) entgegen.
Natürlich nicht, denke ich -wobei, wenn ich meinen Vordermann anschaue, dessen optische Biederkeit (sein Bart ist wie ein Atoll um seinen Mund gewachsen und erinnert mich an irgendetwas) nur durch seine Kutte mit Stickern von vor zwanzig Jahren und einem Lautern-Wappen hintergangen wird und der ständig hektisch entweder an seinem Bier nippt, sich versucht zu unterhalten, genau vor mir bangt oder mittels Teufelsgruß den gestreckten Arm der Band entgegen streckt, komme ich ins Grübeln.
Und noch mehr komme ich ins Grübeln, wenn ich die vielen Armeehosen und die prassenden schweren Schuhe dazu sehe. Die Haare des fast zu 90% ausschließlich aus Männern bestehenden Publikums werden weniger: erblich bedingter Haarausfall. Gut, habe ich auch, damit muss man leben, denke ich weiter. Aber wie kann auf den Metal-Kutten, der FC Bayern neben Manowar auch Iron Maiden oder Slayer glänzen? Ich weiß, alle gehören zu den ganz Großen ihrer Branche, sind in ihren politischen Aussagen (außer Iron Maiden) sehr konservativ und machen es mit Aktien (Iron Maiden Ende der 90er mittels einer Anleihe und der FC Bayern mittels Anteile an Adidas), aber musikalisch gibt es große Unterschiede. Gut, denke ich wieder: Hier sind wir ja alle Brüder und eine paar weniger Schwestern, die Bier trinken, keinen Bock haben. am Sonntag zu den Eltern zum Mittagessen zu gehen und sonst einfach gut drauf sind und immer wieder gerne in das rhythmische Hey, Hey, Hey der Sänger einstimmen.
Vier Bands (Suicidal Angels, Death Angel, Exodus, Kreator) spielen für 30 €. In erster Linie Männer in den Vierzigern. Der Sound ist mäßig. Es ist nicht zu laut, aber dafür das Schlagzeug. Immer wieder verzerren die kleinen Trommeln. Die beiden Gitarren ergänzen sich nicht wie auf den CDs. Sie „breien“ sich wie dicker Milchreis zu. Den Bass konnte ich nur an Stellen hören, wo er alleine spielt. Der Gesang ist eine Art Schreien. Ich verstehe nur Bruchstücke.
Die Ansagen bestehen daraus, dass Gießen begrüßt wird, ob alle noch da sind und dass heute hier mit diesem Publikum das geilste Konzert der Tour 2010 ist.
Ich kann die Lieder kaum unterscheiden. Die CDs der Band sind viel besser. Hier erkennt man die Struktur, hier ist die Dynamik da und hier erkennt man eine Dramaturgie. Auf dem Konzert geht alles unter, wie ein Topf mit Nudeln, der bei zu heißer Flamme überkocht und in dem schließlich kein Wasser mehr ist.
Zu ersten Band war ich zu spät. „Death Angel“ erschienen mir am musikalisch vielseitigsten, „Exodus“ war am aggressivsten, „Kreator“ hatte noch den besten Sound, eine gewisse Bühnenshow, aber mit weitem Abstand die peinlichsten Ansagen.
Was bleibt von Sex and Drugs and Rock and Roll:
Erstes kaum zweigeschlechtlich möglich, da keine Frauen da sind, Bier war ausreichend vorhanden, und Musik klingt in meinen Ohren anders. Ich habe Metal auch schon mit gutem Sound gehört, und ehe man nur Schwachsinn erzählt oder die billigsten Rituale bedient, dann kann auch alle Lieder ohne Pause spielen.

„The Singing Neanderthals: The Origins of Music, Language, Mind, and Body“
von Steven Mithen
ist übrigens ein Buch über die Entstehung von Sprache und Musik bei uns Menschen, dem Homo sapiens – einer meiner Weihnachtsempfehlungen. Dazu später mehr.

Ich mag wie die Dingsda fliegen

Captain Beefheart alias Don van Vliet ist gestorben. Mitte der 60iger bis 1982 veröffentliche Captain Beefheart and his Magic Band zwei Hände voll Platten, die ihrer Zeit weit voraus waren und bis heute in meinen Augen zeitlos dastehen. Eine Mischung aus Blues, Punk und Free Jazz umrahmt von dem Stimmenorkan des Captain ergaben eine Mischung, die es so nirgendwo gegeben hat. Nur sein in eine Art Haßliebe verbundener Exmitschüler, Bandkollege und Nachbar Frank Zappa wußte um die Genialität und produzierte 1969 bei voller künstlerische Freiheit die vielleicht beste Platte des Captain „Trout Mask Replica“.

Zwei Videos habe ich gefunden:
Einmal 1971 in der oben beschriebenen Mischung.
[youtube http://www.youtube.com/watch?v=eFMjztFBSzM&w=460&h=365]

Und eines 11 Jahre später – das Titelstück des letzten Albums als ein Beispiel, was gefälliger scheint:
[youtube http://www.youtube.com/watch?v=iqRHr5pEIFU&w=460&h=365]

Ich zapfe Orgeln am Tresen

Ich hab‘ noch was feines – so wie alte M&M unterm Tisch:
Und ich gebe es zu nicht nur Iron Maiden gefällt mir mittlerweile – ich höre auch immer wieder seit ungelogen Jahrzehnten Deep Purple, wobei mir die 1975-Phase mit Tommy Bolin an der Gitarre, Glenn Hughes am Bass und Gesang am besten gefällt.
Aber gefunden habe ich einen Livemitschnitt von 1993 mit dem Titelstück ihrer Combackplatte von 1984 „Perfect Strangers“.
Im Lied überrascht nichts. Vielmehr, wenn man bedenkt daß es zu Beginn der 80er geschrieben wurde, fallen mir sofort die durchgehenden (16-Noten) Bassläufe auf, die ich von Genesis „Abacab“ 1981 und sogar von Frank Zappa ebenfalls von 1981 „Cocaine Desision“ kenne.
Ian Gillan singt noch richtig gut und sauber. John Lord ist schon ganz alter Rockstar, Ritchie Blackmore ist gelangweilt, aber dabei cool und klasse an seiner Fender und am genialsten ist Ian Paise, der am Schlagzeug, dem ganzen Lied einen Schwung gibt und den Laden zusammenhält mit einer kräftigen Leichtigkeit, daß es mich viel mehr „rockt“, als der Nachbarverein der Eintracht an der Tabellenspitze.
Das Lied selbst ist gut, die Strophe geht, der Übergang zum Laserunterlegten Led Zeppelin artigen Arabesken ist ein wenig steif, wie auch der Schluß.
Mir gefällt’s dennoch.

[youtube http://www.youtube.com/watch?v=1MZ_gc2eITk&fs=1&hl=de_DE]

Neuer Volkskrach

Bereits erschienen im Wonnemonat Mai sind:
Exodus: „Exhibit B-the Human Condition“
As I Lay Dying „The Powerless Rise“
und die eigentlichen Sonnentage kommen noch:
Annihilator: „Annihilator“ (21.05.)
Heaven Shall Burn: „Invictus“ (21.05.)
Danzig: „Deth Red Sabaoth“ (25.05.) (Der Schinkengott ist sehr gut bei Stimme, wie man bei youtube nachhören kann)
Nevermore: „The Obsidian Conspiracy“ (28.05.)

Lhasa del Sela

Wieder hat es eine Musiker getroffen. Am 01.01.2010 starb in Montreal
Lhasa del Sela
an Brustkrebs. Sie ist 38 Jahre geworden.
Drei CDs gibt es von ihr. Mir gefällt die zweite am besten „The Living Road“.
In drei Sprachen auf Französisch, Englisch und Spanisch sang sie. Ein kleines Persönchen auf der Bühne. Fast scheu wirkte sie. Ich habe sie 2004 in Mainz gesehen. Aber wenn sie anfing zu singen, dann verlor sich die Sanftheit oder Ängstlichkeit. Sie deklamierte ihre Lieder, konnte dennoch die Töne hauchen und stand für eine gelebte Art Weltmusik (was mit ihrer Biographie zusammenhing): ein bißchen Jazz, Kaffeehausmusik, Chanson, Tango, Rock, mexikanische Folklore.
Der Kitt war ihre Stimme. Jetzt bleibt nur die Erinnerung.

Vic Chesnutt

Zu Weihnachten ist der Singer/Songwriter Vic Chesnutt an den Folgen eines Selbstmordversuches gestorben.
Ende der 80ziger entdeckte Michel Stripe von REM ihn und nahm auf seine Kosten gleich eine CD auf, den er machte sich wenig Hoffnung, dass Vic Chesnutt noch lange Leben würde. Der Alkohol war sein ständiger Begleiter. Besoffen war er auch, als er mit 18 Jahren einen schweren Verkehrsunfall hatte. Seitdem saß er im Rollstuhl. Seine Behinderung war so stark, dass er bei einem Konzert im Frankfurter Mousonturm mehrere gefühlte Stunden brauchte um mit seinem verkrüppeltem Arm sich ein Glas Wasser zu nehmen. Ich saß weit vorne und wäre am liebsten aufgestanden, um zu helfen. Vic Chesnutt hätte es wohl nicht gefallen. Ein gekrummeltes „Verpiß Dich!“ wäre wohl noch als Liebenswürdigkeit durchgegangen. Er wusselte vor sich hin, ließ sich nach außen hin nicht auf der Ruhe bringen. Eine Hoffnung auf Schönheit verpackt in Sarkasmus, Ironie und Zynismus machte seine Lieder aus. Jede von den etwa 15 CD unter seinem und unter diversen Bandnamen kann ich empfehlen. Es gibt herrliche (Pop-)Lieder, kleine Balladen, witzige Miniaturen, ganz in der amerikanischen Country- bzw Barbecuse-Tradition geschriebene Stücke, es finden sich längere Liedfolgen, thematische Fortsetzungen, knallige Einlagen und einfache Gitarrenstücke. In den letzten Jahren waren einige sehr bekannte Musiker seine Begleiter. Mir gefallen besonders diese einfachen nur von einer Gitarre begleitend vorgetragenen Lieder. Bei meinem ersten Konzert 2001 in Marburg wünschte ich mir auf Nachfrage das erste Lied von seiner ersten Platte Isadora Duncan. Dort erzählt Vic Chesnutt mit seiner weichen, ein wenig knarrenden und sanft brüchigen Stimme, wie er von dieser Tänzerin, die zu Anfang des 20. Jahrhundert gelebt hat, träumte, dass sie beide tanzen würden. Er antwortete auf meinen Vorschlag mit einem leicht genervten „Oh God!“. Auf diese für ihn schon ollen Kamellen hatte er keine Lust. Nostalgie ist was für Idioten. Frank Zappa hätte wohl ähnliches geantwortet.
Ein großer sehr großer Verlust ist sein Tod und dennoch so lange so durchzuhalten nötigt viel Respekt.

Neue Zappa-CD

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Ein neues Konzert von Frank Zappa aus dem Jahre 1976 soll in wenigen Wochen -bestellbar online bei der Zappa Familie- erscheinen. Seine damalige Band bestand aus blutjungen Musikern und zwei schwarzen Sängern, wobei die eine (Lady Bianca) es nur wenige Wochen aushielt, da sie es nicht mehr abhaben konnte, dass die Fans zwischen der Fiktion der Texte von FZ und der Wirklichkeit der Shows nicht unterscheiden wollten: Ausziehen, ausziehen…! muß dabei noch ein eher ein harmloser Wunsch des Publikums gewesen sein.
Der Sound dieser nicht mehr unter dem Namen „Mothers of Invention“ auftretenden, sondern schlicht nach dem Meister selbst benannten Band, wurde durch die vier unterschiedlichen Haupt- und Nebensänger entscheidend geprägt: Vorne weg der gospelartige Klang der beiden schwarzen Sänger, dazu der scheinbar immer zu kippende, gepreßte Schreigesang des Schlagzeugers Terry Bozzio und darüber stehend quasi der Kitt, die Konstanz, der Kommentar Frank Zappas Gesang und Stimme.
Die Band ist natürlich, wie immer, hervorragend, auf höchstem Niveau, spielfreudig, individuell und voller Elan. Leider wurde dies zu mindestens in Deutschland nicht so gesehen. Die Band hätte kein Charisma, würde nur das Zeug runterspielen und Zappa sei eh gelangweilt und gedanklich ganz woanders, monierte damals die Zeitschrift Sounds.
Patrick O’Hearn am Fretlessbass spielt ihn -in meinen Ohren- bewußt ein klein wenig zu spät im Takt und zieht dabei die Lieder herrlich auseinander und setzt ein Gegenpol zu dem Schlagzeuger Terry Bozzio, dem heimlichen Star der Band und Liebling der Fans. Dieser trommelt sehr vordergründig unterbrochen durch ständige schnelle Breaks. Er präsentiert geradezu die Kraft dieses Instrumentes. Schließlich gibt es noch Eddie Jobson, am Keyboards und an der Violine. Er kam von Roxy Music und lässt mehr ein jazzigen Sound erklingen, eher hintergründig, dennoch vielseitig diskret den Laden zusammenhaltend. Wie überhaupt Eddie Jobson und Patrick O’Hearn mehr für eine Jazzband stehen, Terry Bozzio den klassischen Rockschlagzeuger mimt, Lady Bianca sich bei jedem Lied neu entscheidet, ob sie in der Kirche singt oder in der Jazzkneipe und Ray White folgt, wo auch immer man in ästhetisch hinschickt.
Und der Meister selbst? Er brilliert sei es im bekannten Eröffnungslied über Schweißfüße, im coolen Rapstil (1976!) im bis dahin unveröffentlichen „Stranded In The Jungle“, er beherrscht die Rhythmusgitarre selbstverständlich im fast schon punkartigen „Wind Up Working in Gastation“. Und seine Sologitarre? Da muß ich mir die Tränen vor Begeisterung, Rührung, Könnerschaft und was weiss ich, verstohlen wegwischen. Obwohl in den einschlägigen Internetseiten der Zappa-Fachfreaks der Gipfel seine Gitarrenarbeit eher für 1978 und 1981/82 analysiert wird, ist dies abhängig von der Tagesform und die ist an diesem 29.11.1976 in Philadelphia sehr gut. Sehr schön sind auch die verschiedenen Gitarrensounds und das Gefühl sich Zeit bei der Musik (ich meine beim Musikmachen) zu nehmen.
Bei der Liederauswahl ist für jeden etwas dabei. Es finden sich die kurzen knappen, die ewig langen, die Instrumentalstücke, die Zappaklassiker und noch ein paar eher untypische Lieder auf der Doppel-CD.

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