Der singende Neanderthaler, nicht aus einem Dorf bei Düsseldorf, sondern aus Essen

„Wollt ihr euch gegenseitig umbringen?“ schreit Mille, Chef der Essener Trashmetal-Band „Kreator“ mir in der gut gefüllten Gießener Messehalle als Ankündigung eines der Klassiker aus den 80ern (ich habe vergessen welcher, vielleicht „Extreme Aggression“, „Endless Pain“ oder „Pleasure To Kill“) entgegen.
Natürlich nicht, denke ich -wobei, wenn ich meinen Vordermann anschaue, dessen optische Biederkeit (sein Bart ist wie ein Atoll um seinen Mund gewachsen und erinnert mich an irgendetwas) nur durch seine Kutte mit Stickern von vor zwanzig Jahren und einem Lautern-Wappen hintergangen wird und der ständig hektisch entweder an seinem Bier nippt, sich versucht zu unterhalten, genau vor mir bangt oder mittels Teufelsgruß den gestreckten Arm der Band entgegen streckt, komme ich ins Grübeln.
Und noch mehr komme ich ins Grübeln, wenn ich die vielen Armeehosen und die prassenden schweren Schuhe dazu sehe. Die Haare des fast zu 90% ausschließlich aus Männern bestehenden Publikums werden weniger: erblich bedingter Haarausfall. Gut, habe ich auch, damit muss man leben, denke ich weiter. Aber wie kann auf den Metal-Kutten, der FC Bayern neben Manowar auch Iron Maiden oder Slayer glänzen? Ich weiß, alle gehören zu den ganz Großen ihrer Branche, sind in ihren politischen Aussagen (außer Iron Maiden) sehr konservativ und machen es mit Aktien (Iron Maiden Ende der 90er mittels einer Anleihe und der FC Bayern mittels Anteile an Adidas), aber musikalisch gibt es große Unterschiede. Gut, denke ich wieder: Hier sind wir ja alle Brüder und eine paar weniger Schwestern, die Bier trinken, keinen Bock haben. am Sonntag zu den Eltern zum Mittagessen zu gehen und sonst einfach gut drauf sind und immer wieder gerne in das rhythmische Hey, Hey, Hey der Sänger einstimmen.
Vier Bands (Suicidal Angels, Death Angel, Exodus, Kreator) spielen für 30 €. In erster Linie Männer in den Vierzigern. Der Sound ist mäßig. Es ist nicht zu laut, aber dafür das Schlagzeug. Immer wieder verzerren die kleinen Trommeln. Die beiden Gitarren ergänzen sich nicht wie auf den CDs. Sie „breien“ sich wie dicker Milchreis zu. Den Bass konnte ich nur an Stellen hören, wo er alleine spielt. Der Gesang ist eine Art Schreien. Ich verstehe nur Bruchstücke.
Die Ansagen bestehen daraus, dass Gießen begrüßt wird, ob alle noch da sind und dass heute hier mit diesem Publikum das geilste Konzert der Tour 2010 ist.
Ich kann die Lieder kaum unterscheiden. Die CDs der Band sind viel besser. Hier erkennt man die Struktur, hier ist die Dynamik da und hier erkennt man eine Dramaturgie. Auf dem Konzert geht alles unter, wie ein Topf mit Nudeln, der bei zu heißer Flamme überkocht und in dem schließlich kein Wasser mehr ist.
Zu ersten Band war ich zu spät. „Death Angel“ erschienen mir am musikalisch vielseitigsten, „Exodus“ war am aggressivsten, „Kreator“ hatte noch den besten Sound, eine gewisse Bühnenshow, aber mit weitem Abstand die peinlichsten Ansagen.
Was bleibt von Sex and Drugs and Rock and Roll:
Erstes kaum zweigeschlechtlich möglich, da keine Frauen da sind, Bier war ausreichend vorhanden, und Musik klingt in meinen Ohren anders. Ich habe Metal auch schon mit gutem Sound gehört, und ehe man nur Schwachsinn erzählt oder die billigsten Rituale bedient, dann kann auch alle Lieder ohne Pause spielen.

„The Singing Neanderthals: The Origins of Music, Language, Mind, and Body“
von Steven Mithen
ist übrigens ein Buch über die Entstehung von Sprache und Musik bei uns Menschen, dem Homo sapiens – einer meiner Weihnachtsempfehlungen. Dazu später mehr.