Kategorie: Früher

Früher -in der DDR- haben die Erdbeeren besser geschmeckt und die Bäckerläden waren herrlich, sonst war nichts gut

Ruhm und Ehre einem gefallenen Helden der DDR, 2. Teil

Ruhm und Ehre einem gefallenen Helden der DDR, 2. Teil, Lieber Thomas, Spielfilm
Der Starke ist am mächtigsten allein (Schiller, Wilhelm Tell, 1. Akt, Dritte Szene)

Mit der gleichen Schauspielerin Jella Haase geht es auch anders.
Lieber Thomas
u.a. mit Jella Haase, die die Hauptfreundin des Dichters spielt
Spielfilm, 2021
Erzählt wird die Geschichte des Schriftstellers Thomas Brasch (1945-2001),
der in beiden deutschen Staaten scheiterte. Seine Versuche dahingehend erinnern an die vor 50 Jahren verstorbene Schriftstellerin Brigitte Reimann mit ihren Versuchen um Anerkennung in der DDR.
Verantwortlich für sein Scheitern war die offensichtliche Umkehrung der angestrebten, angeblich in der DDR umgesetzten, schönen neuen Welt. Für den real existierenden Sozialismus war jede Lüge, Spitzlei, Borniertheit, Falschheit und alles, was einem noch so Schlechtes einfallen würde, recht und billig, um sich zu behaupten. Umzingelt von den kapitalistischen Feinden des nichtsozialistischen Auslandes, die nicht davor zurückschreckten, mit den Hitlerfaschisten zu paktieren, musste die DDR -so wurde es pausenlos begründet- sich schützen, indem sie drohte, zensierte, verbot, einsperrte. Mit zunehmendem Alter der Funktionäre entpuppte sich die DDR als biedere Kleingartenidylle, wo über die eigene Hecke gucken verboten war und mit Freiheitsstrafen bestraft wurde.
Du musst Dich entscheiden, bist Du für oder gegen diesen Staat – wurde ich in jungen Jahren gefragt. Und mir fällt bis heute, auf dessen Habenseite, nur die Bäcker mit ihrer Vielzahl von Blechkuchen und die viel besser schmeckenden Erdbeeren ein. Der Rest ist ein pausenloses Geschrei meinerseits, wie Scheiße dieses Land gewesen ist und was es hinterlassen hat. Der sozialistische Alptraum in der DDR ist vorbei. Auferstandene Erinnerungsfetzen, seiner irrsinnigen Existenz-Begründung, werden heute, vom Mutterland des Sozialismus, den Menschen in der Ukraine eingebombt. Der Genosse Zar im Kreml nennt dies Befreiung.
Der Kapitalismus hält dagegen, ist aber dabei ganz schön im Stress. Es gibt noch andere Dinge, die nicht laufen. Aber alles wird eingetütet, verwertet, im Zweifel so verändert, das es passt.
Für Thomas Brasch gab es zu Anfang im Westen Anerkennung. Doch fühlte es sich für ihn wie falsches Lob an. Er wurde als Feigenblatt benutzt. Er versuchte sich gegen die falsche DDR und gegen falsches Lob aus der BRD zu behaupten. Sein Widerstand hieß Schreiben. Sein Treibstoff waren Alkohol, Kippen, später Koks. Nichts sagen zu lassen. Auch wenn es denen nicht entspricht, weil es nicht geht, dass Dir im Osten, wie im Westen andauernd irgend jemand sagt, was Du machen sollst. Dieser Eigensinn ist im Osten immer noch recht ausgeprägt. Man reagiert „allergisch“ auf die unpersönliche dritte Person Einzahl in Form von Verallgemeinerungen, Aufforderungen oder Verhaltensnormen. Das macht man so, das sagt man so, dies weiss man doch, ist keine gemeinsame Sprache. Erfahrungen und Perspektiven sind verschieden. Meine kettenrauchende Oma verpackte ihre Aufforderung, dass jemand Kaffee für sie machen sollte mit der Frage, hast Du auch so einen Kaffeedurst.
Nein zu sagen, kann man lernen. Nachfragen kann man lernen. Mehr Teilen lernen, wäre mein Vorschlag.
Thomas Brasch ist ein Beispiel und dass der Widerstandsfähige nicht gezähmt werden kann. Die vielen Hilfsstoffe für seine inneren und äußeren Wunden beendeten sein Leben zu früh.
Er hat es ausgehalten, solange er konnte. Sein Werk gibt darüber Auskunft und sollte gelesen werden.
In „Lieber Thomas“ erfährt man viel über die DDR und einen ihrer Helden und nichts über Kaugummi.

Der Film sollte bis zum 14.03.23 auf Arte laufen.
In der Zentralbibliothek kann man ihn sich ausleihen oder man streamt ihn beispielsweise über Amazon/Prime in.

Trailer

Dazu ergänzend, ist der Podcast des Stasi-Unterlagen-Archivs.
„111 Kilometer Akten. Der offizielle Podcast zum Stasi-Unterlagen-Archiv“

Sachlich, dezent eigene Erfahrungen einbringend, ohne Befindlichkeiten, Albernheiten und Gelächter, hoffentlich ohne neues Modewort wie Resilienz, ist dieser Podcast eine interessante Ergänzung zum Film und ganz allgemein, um sich zu erinnern oder kennenzulernen, was für ein Scheißland die DDR gewesen ist und was für Helden sie hinterließ.

Der Thomas-Brasch-Film – das Drehbuch und die Akten
Folge 47 vom 17. November 2021

Ruhm und Ehre einer gefallenen Heldin der DDR, 1. Teil

Ruhm und Ehre einer gefallenen Heldin der DDR, 1. Teil, Kleo, Serie auf Netflix
Der Starke ist am mächtigsten allein (Schiller, Wilhelm Tell, 1. Akt, Dritte Szene)

Kleo
mit Jella Haase
Serie, 2022 auf Netflix, die 2. Staffel ist in Planung
Kaugummi-Serie über Umgang mit DDR-Phanthom-Schmerzen in der Wendezeit

Die Serie ist so, als ob gefragt würde, spiegeln die Menschen am Tresen der Vowi nach Mitternacht die Wirklichkeit in Deutschland wider.
Natürlich nicht, wäre eine Antwort. Außerdem sind viele stark angeschnackelt. Das macht manche Schranke wirkungslos, hilft aber, sich keine Gedanken zu machen.
Schon irgendwie, wäre eine andere Antwort. Der Alkohol ist wirkungsmächtige Medizin, um manches Versteckte, Verdrängte nach Mitternacht auf die Welt zu bringen. Bei Tageslicht wäre ich vorsichtiger damit. Man sieht mehr.

Somit ist der Tresen um Mitternacht, wie die Serie, ein ganz kleiner Teil der Wirklichkeit. Er ist eine Matrojoschka (Schachtelpuppe), die Figur um Figur, im Inneren versteckt, dabei immer kleiner wird, an Bedeutung verliert und dennoch Wirkung erzielt.

Nebensatz:
Elsterglanz aus dem Mansfelder Land erklären, was Matrojoschka-Autismus ist.

Das die Serie in Erinnerung bleiben könnte, liegt an der Hauptdarstellerin Jella Haase. Ihre Präsens, ihr Gesicht, ihre Kraft, ihre Sprache geben der Serie den Bums. Die DDR-Geschichte ist Staffage. Verpackt als bunte Kaugummi-Blase. Eine Erfindung, sage ich. Die DDR hatte nichts Leichtes. Mehr Sauerkraut oder Saure Gurke als dicker mit Sahne gefüllter Windbeutel.
In Leipzig, beispielsweise, gab es nichts Buntes. Schlechte Luft, graue Wolkendecke, Einschusslöcher noch Jahrzehnte nach dem Krieg, Phenolschaum auf dem Elsterflutbecken, an deren Seitenärmchen die Reste der Auenwälder vermoderten. Hier vergammelten im wahrsten Sinne die Ideale einer schönen neuen Welt. Heute sind wir Erben, die nichts außer Schuldscheine haben.
In der Serie sind die Schuldscheine Koffer voller Geld. Böses Geld. Westgeld. Kaugummi-Geld. Um Geld ging es doch nie im Sozialismus, sondern um die Bedürfnisse des Menschen. Und da es in der DDR hin und wieder das Bedürfnis nach Kaugummi gab, konnte man gegen Westgeld im Intershop drei verschiedene West-Kaugummi-Sorten von Wrigley’s kaufen. Mit denen gingen Blasen wirklich gut. Der Film verwechselt die Erinnerung von Westkaugummi-Blasen mit der Wirklichkeit von Sauren Gurken. Diese gab es immer im Fass oder Glas. Kaugummi dagegen gab es so selten, dass er sich verselbstständigte als unerreichter Bestandteil des Glücks im Paradies im Westen.
Schon gut, ist ja nur ein Film. Der Duft des Westen, der festklebt. Schwer zu erklären. Vielleicht heute vergleichbar mit der Wirkung der spanischen Enklaven Ceuta und Melilla in Marokko. Alle, die von Süden kommen, sehen die Schaufenster Europas, einer Welt, die selbst im schlechten Zustand besser scheint, als die alte Welt. Mir erging es so. Ich kann es bestätigen. Nicht vergleichbar im Lebensrisiko, weil ich weiß und DDR-Deutscher war. Die Nichtanerkennung der DDR durch die BRD ermöglichte, dass wir alle nicht zur Ausländerbehörde, sondern zur Meldestelle mussten, um Ausweis und Begrüßungsgeld abzuholen.

Schmerzen über Schmerzen

Mit so was habe ich gespielt. Vor Jahrzehnten.
„Bleib ruhig! Ist vorbei. Der Kram liegt im Keller.
Zur Erinnerung. Die Geschichte ist zu Ende.“
Zerfallszeit – zwei drei Generationen. Zerfallsart – keine Ahnung.
Phantom-Schmerzen könnten bleiben. Meinte ich.
Auferstandene Erinnerungsfetzen, dieser irrsinnigen Gespenstergeschichten, werden heute, vom Mutterland des Sozialismus,
den Leuten in der Ukraine näher gebracht.
Der Genosse Zar im Kreml nennt es Befreiung.
Er feiert nach einem Jahr mit einem dreifachen Hurra.
Mein dreifacher Ruf geht an die,
welche es erleiden und aushalten müssen.

Und was tue ich danach?
Rittersport Marzipan essen?
Frischen Pommes in Metro oder Fegro kaufen?
Mit Stinkfinger am russischen Konsulat auf dem Oeder Weg auf- und ablaufen? Eine Petitionen für Frieden unterschreiben, auch, wenn einige dabei, ganz- und gar nicht meine Kumpels sind?
Geld für einen Panzer sammeln?
Niemanden glauben?
Die Ohren zuhalten?
Viktor Orban als Vermittler preisen?
Wenigstens einen Klassenstandpunkt bilden?
Nicht immer eine Frage mit einer Frage beantworten.

Wundern und innehaltend, Teil 2

Popmusikalisch, wie auf der Weltenbühne, endete viel schon um 1977. Das Neue brauchte etwas Zeit, ehe es von allen Spatzen getschilpt wurde:
Die Scorpions hatten mit „Wind of Change“ dem Kleingartensozialismus in Osteuropa die Leichtigkeit der kapitalistischen Freiheit vorgepfiffen. Die Lieder im Kleingarten waren öde, uncool und offensichtlich falsch. Es wurde gelogen, geschönt und die Wirklichkeit verbogen. Es wurde so schlimm, dass keiner singen mochte. Der Rest ist Geschichte. Popmusikalisch ballerte der neoliberale Kapitalismus mit der Vereinnahmung von Punk und Techno zurück und zwar so sehr, dass sich alle Metallarbeiter die Haare abschnitten (Wer kann zwei Bands nennen?) und darüberhinaus Jethro Tull (Was ist das?) den Grammy Award for Best Hard Rock/Metal Performance Vocal or Instrumental gewann.
Heute, Jahrzehnte später, gibt es sie noch alle. Digitaler, verfügbarer, austauschbarer, verwertbarer, altersloser. Ein, zwei von denen leben auf einer musikalischen Insel, zur Festung ausgebaut, uneinnehmbar. Sie spielten damals den Soundtrack der Entfremdung, der sich in Bellen und Heulen von Hunden, keine menschlichen Laute weit und breit, verdichtete. (Welche Band vertonte 1977 indirekt den Roman „1984“ von George Orwell?)
Ich muss, nach wie vor, so persönlich es mir leid tut, weil mir die Worte fehlen, vor dem Kapitalismus salutieren. Dort kann ich wenigstens in der Zentralbibliothek die Bücher ausleihen, die in der Kleingartensozialismus-Bücherei mit dem Vermerk „Geheim“ der Allgemeinheit vorgehalten wurden, beispielsweise George Orwell „1984“.
Auch deshalb bin ich häufiger auf der Töngesgasse in der Zentralbibliothek der Stadtbücherei Frankfurts, wo unweit das Foto aufgenommen wurde, was so nahtlos für den Kapitalismus steht, weil er es sich leisten kann,
in St. Bartholemus über seine Seelenlosigkeit zu klagen,
im MMK ihn künstlerich bloẞzustellen,
in der Stadtbibliothek über seine Verwerfungen zu lesen,
um schlieẞlich den teuersten Döner Frankfurts bei Ton Bull gegenüber zu kaufen.
Ein schöner Tag im Kapitalismus!

Wundern und innehaltend, Teil 1

Welche drei öffentlich zugängliche Gebäude in der Innenstadt von Frankfurt könnt Ihr auf dem Foto erkennen?
In allen drei Gebäuden kann man sich wundern, innehalten und es ist normalerweise nicht laut.

Das Foto wurde zwischen den Jahren auf der Töngesgasse aufgenommen. Wir waren auf dem Nachhauseweg nach einem Besuch des 2021 eröffneten neusten Museums in Frankfurt (Welches, ihr Banausen?) hungrig geworden. Sofort wurde der teuerste, angeblich beste Döner Frankfurts Ton Bull auf der Töngesgasse angepeilt. Ich hatte, wie so oft in meiner kleinen Welt, in der immer mehr Vergangenes als die schreckliche Zukunft eine Rolle spielt, noch nie von diesen Preis-Leistungs-Verhältnis gehört.
Meine letzter Döner wurde Ecke Batton/Lange Straße im Dezember 1989 vom Dönerspieß geschnitten. Für insgesamt DM 5,- erhielt ich dazu eine Coca-Cola und einen Snickers. Zum Nachtisch gab es eine Pall Mal ohne Filter.

Das Begrüßungsgeld und das Sozialamt sorgten für genügend Scheine im alten Portmonee. Ich konnte im Kolpinghaus, einer katholischen Übernachtungsheim in der Lange Straße, meine ersten Nächte in der Freiheit (Welche Freiheit meine ich?) unweit der Breite Gasse, die moralische Verkommenheit des real existierenden Kapitalismus, nicht mit meinen beiden Zimmergenossen aus Polen ausprobieren, ablehnen oder wenigstens bereden. Wir verstanden uns nicht. Russisch, was alle gekonnt hätten, galt, wie heute, nicht als ministrabel. War die Wahrheit doch, was ich „drüben“ in der Schule, als ich noch nicht in der Freiheit war, gelernt hatte. Ich studierte in der Gräfstraße, um mehr zu erfahren. Wenn ich fleißig gewesen wäre, hätte ich alles gelernt, was bis dahin geschah, weil mehr sollte nicht passieren. Der Weltgeist bzw. der Weltmarkt hatte sich gegen den Trabant aus Zwickau für den Volkswagen aus Wolfsburg entschieden. Und dieser, erstmal wachgerufen, sollte sich nie mehr ändern, war am Ende, wurde proklamiert. Er wandelte sich früher von sozial zu liberal. Er integrierte den Osten nach 1989 im neoliberalen Gewand. Heute ist er digital außer in Kneipen, wo der Warenaustausch über Geld weiterhin analog stattfindet. Bestandsschutz bis zur Rente. Nicht mehr lange.

Letzte Kleine Küche 2022

Wenn Zeit bleibt, könnte es auf den Wissenschaftsseiten der Vowi zum Jahresabschluss einen Text über diesen ästhetischen Rausch am Beispiel der sieben Todsünden
Hochmut, Geiz, Wollust, Zorn, Völlerei, Neid und Faulheit geben.
Ausgangspunkt sind die Foto-Ausstellung „Wirte im Lockdown“, die Tour-Ankündigung einer Sängerin, eine Serie in der ARD „Eldorado-KaDeWe“, das Vierphasen-Model eines Fußballspieles von Louis van Gaal, natürlich mit zunehmenden Alter die eigene Vergangenheit, ein Foto, sowie dem Wunsch mit einer Tätowierung das neue Jahr zu beginnen.
Aber erstmal schnipple ich mit Kolo Fabuani Rotkraut.

Im nächsten Jahr am 03.01.23 geht’s weiter.
Die Vowi hat am 24., 25., 26.12.22 und am 01.01.23 zu.
Am 28. und 31.12. gibt es -aus gutem Grund- geschlossene Gesellschaften.

Petite Cuisine, 11.10.22

In einem Land vor unserer Zeit

„In einem Land, was es nicht mehr gibt“
heißt ein neuer Kino-Film, der im Sommer 1989 in der DDR spielt. Darin wird die Geschichte einer sehr jungen Frau erzählt, die, ganz Kind ihrer Zeit, den damaligen staatlichen Zwängen hinterfragt. Sie wird zufällig fotografiert, als „Mannequin“ entdeckt, um wenig später in der einzigsten DDR-Modezeitschrift abgelichtet zu werden. Der politische Strudel der letzten Monate der DDR ist allgegenwärtig. Der Film versucht die DDR anders zu erzählen. Der persönliche Alltag steht neben einer dem real existierenden Sozialismus nicht zugetrauten Modernität gegenüber. Der Alltag, die Nischen des Alltages und die Nischen bestimmter sozialer Gruppen, welche relativ unabhängig von staatlichen Gesetzen existierten, sind die Hauptorte der Erzählung.
Auf dem Filmplakat und einem Standfoto steht und sitzt die Protagonistin des Filmes im bauchfreien Oberteil.
Daran konnte ich mich gar nicht erinnern, dass die „Mädels“ so rumgerannt sind, fiel mir, sofort in die alte ossische Denke zurückverfallend, ein. Hatte ich vielleicht übersehen oder vergessen. Ich fragte meine Frau. Sie hätte damals so was nicht getragen. Und ihres Wissens kam dies erst später in den 90er auf, meinte sie. Auf DDR-Modefotos aus dieser Zeit fand ich im Netz keine Betätigung. Auf den Fotos, die ich aus dieser Zeit habe, ebenso wenig. Das unten stehende Foto einer „Fete“ zum Ein- oder Auszug, deshalb konnten die Wände bemalt werden, ist um 1986 oder etwas danach aufgenommen und zeigt innerhalb der Gruppe drei junge Frauen, die nichts Bauchfreies angezogen hatten. Kann Zufall sein, kann sein, dass der Film besonders modern sein wollte, kann aber auch sein, dass man die gefühlt so angestaubte Langeweile der DDR mit „Zeitgeist“, wegzuretuschieren versucht. Dieser wirkt aktuell zeitlos, weil alle es genau so heute tragen oder irgendwie so aussehen könnten. Und schon könnte ein Interesse geweckt sein.

Petite Cuisine, 19.04.22

Nachtrag zum Spiel der Eintracht gegen Union.
Es geht nicht um unsere schlechte SGE am Sonntag, sondern um vergangene Zeit. Vor etwa fünfunddreißig Jahren in der DDR-Oberliga-Saison 1987/88, als mancher auf dem Kopf mehr Haare hatte oder vorne kurz und hinten lang trug, hielt Union im letzten Spiel gegen Karl-Marx-Stadt die Klasse.
Ein Dokumentarfilm der DEFA (DDR-Filmstudio) zeigt davon ausgehend unfreiwillig die Gemengelage der späten DDR. Noch wird alles gedeckelt, mindestens wird es versucht, durch die Staatsmacht. Aber kaum fällt der Deckel wenige Monate später, implodiert das alte System wirtschaftlich und moralisch. Die Reste werden treuhänderisch kapitalistisch verwertet.
Viele Gedeckelte sind resigniert in den Westen abgehauen, wie ich.
Oder die wenigen aus moralischen Gründen Gebliebenen, sahen sich verwundert um, weil ihre demokratischen Diskussionsforen, kaum geschaffen innerhalb von Tagen, politisch obsolet waren.
Oder die vielen unentschlossenen, angepassten, ängstlichen, nörgelnden Gebliebenen interessierten sich ausschließlich für Videorekorder, Marlboro und Westautos.
Oder die jungen Gebliebenen – in Wirklichkeit Verlassenen – schlugen auf alles mit allem ein, weil die roten Linien verblassten, die Warnschilder eingetreten waren. Eigentlich aber entpuppte sich die Kindheit als samtene Hölle, und die Zukunft war ungewiss. Einer, der diese Wucht von beiden Seiten an den gleichen Orten meiner Kindheit, die ich eine paar Jahre älter vorher verlassen hatte, erlebt hat, fasste diese Zeit um 1990 im Titel seines Romanes „Als wir träumten“ zusammen.
Dies alles lässt die Doku erahnen: DDR-Muff, Bierseligkeit, Vereinsmeierei, Empörung, Aggressivität, Religiosität.
Diese Vergangenheit, im Form der Hymne von Nina Hagen und der DDR-Geschichte des sich in meinem Alter befindlichen Union-Präsidenten Dirk Zingler spielt bis heute eine gewisse Rolle. Interessiert immer weniger. Mich schon.

… und freitags in die „Grüne Hölle“
DEFA-Dokumentarfilm, 1989, Regie: Ernst Cantzler
Am 28. Mai 1988, nachmittags, passierte in Karl-Marx-Stadt (heute Chemnitz) das Wunder: in der allerletzten Minute des letzten Punktspiels der Oberliga-Saison rettete sich der 1. FC Union mit dem einen Siegtor zum 3:2 vor dem Abstieg. Während der Oberliga-Saison 1987/1988 begleitet ein Filmteam der DEFA einen der zahlreichen Fanclubs des 1. FC Union Berlin mit der Kamera. Der Film zeigt viele persönliche Momente zwischen Sieg und Niederlage. Eine imposante Dokumentation – nicht nur für Fußballfans.

Info über die Doku

Podcast aus Unionumfeld über die Doku

Union Präsident Dirk Zingler erklärt, warum er als Jugendlicher, anstatt den verpflichteten anderthalb Jahre Wehrdienst bei der DDR-Armee, sich freiwillig einen dreijährigen Wehrdienst beim Wachregiment des Ministerium für Staatssicherheit angetan hat.

Zeitgleiche Aufnahme einer Gesprächsrunde bei Union 06, dem Westberliner Ableger von Union mit viel Lokalkolorit und zu viel Geschichten und Namen. Erinnert an Tresengespräche der Vowi, wenn es um die Eintracht geht, dennoch im Ton gar nicht weit weg.

Petite Cuisine, 18.11.21

1977, im Ferienlager als Thälmann-Pionier

Wer es sich nicht vorstellen kann, es vergessen, es nie interessiert, es nie geglaubt hat oder einfach zu jung ist, wie es Drüben, im Osten, in der Zone, in der Tätära, in dem Drecksland, im Arbeiter und Bauern Paradiesso war, kann sich jetzt im Kino den Film „Lieber Thomas“ ansehen. Es ist die Lebensgeschichte des Schriftstellers und Filmemachers Thomas Brasch. Ein charismatischer Typ, aus einer untypisch typischen DDR-Familie, dessen Eltern und Geschwister das „Leben“ in der DDR im wahrsten Sinne ausgelöffelt haben. Ob es geschmeckt hat, darüber gehen die Meinungen auseinander. Neben der sehr interessanten (neudeutsch spannenden) Figur des Künstlers Thomas Brasch, erzählt der Film, wie er mit Druck, Repression, Verratsvorwurf, Vertreibung, moralischen Dilemma und Verlust der Heimat umgegangen ist. Im Bewusstsein dabei zu scheitern, lieber zu viel als zu wenig „zu leben“, im Zweifel mit Drogen, balancierte er im Schneckentempo, meistens aber im Galopp, durch sein Leben.


Trailer Lieber Thomas

https://youtu.be/Zks9K9ylZuo


Lebensgefährtin und Stieftochter lesen Brasch

 https://youtu.be/0JDd8P5er5o

Thomas Brasch erhält den Bayerischen Filmpreis 1981 mit mittleren Eklat und Franz Josef Strauß

https://youtu.be/bYX-tY_pnu0