Schrecklicher Lieder – 03 – Geschrieben in der DDR

Die Willkür und zum Schluss das ohnmächtige Treten der „DDR-Organe“ nach allem, was sich nicht in ihren Augen loyal verhielt, machte aus dem Beobachten eines Mauerseglers einen staatsfeindlichen Akt. Ein Mauersegler fliegt über Mauern. Für jeden DDR-Bürger war die Mauer in Berlin und an der Grenze zur BRD unüberwindbar. Selbst eine Reise in die sozialistischen Bruderländer nach Osteuropa war ein bürokratische Akt und nicht per se möglich.
Wörter, wie „Fliegen“, „Mauer“ oder „Flucht“, Bezüge zu wirtschaftlichen Engpässen, Stichwort „Banane“ oder „Badezimmer-Fliesen“ wurden von der Zensur gestrichen oder mussten geändert werden. Oder, im Lauf der Zeit, funktionierte die Selbstzensur der Autoren. Man wusste, was geht und was nicht. Abhängig vom politischen Kurs der DDR und abhängig von den jeweiligen Funktionären.
So entstand eine eigene Sprache in Texten und im Reden miteinander. Texte, beispielsweise in der DDR-Popmusik, formulierten, um den heißen Brei herum und waberten in Plattitüden. Ironie, als Tendenz den Texten eine Mehrdeutigkeit zu geben, war schwer und gefährlich.
Hier ein typisches Beispiel der Band „Karussell“ aus dem Jahre 1987. Die Autorin heißt Gisela Steineckert, die sich bis heute zu DDR bekennt.
Nach meiner Lesart ist der Text frei von jeder Ironie, vielmehr verkörpert er eine Art „DDR-Kuschligkeit“.

Als ich fortging“,

Als ich fortging war die Straße steil, 
kehr wieder um.
 Nimm an ihrem Kummer teil,
 mach sie heil.
Als ich fortging war der Asphalt heiß, 
kehr wieder um.
 Red ihr aus um jeden Preis, 
was sie weiß.
Nichts ist unendlich, so sieh das doch ein. 
Ich weiß du willst unendlich sein,
 schwach und klein.
Feuer brennt nieder, wenn keiner es nährt. 
Kenn ja selber, was dir heut widerfährt.
….

Das schreckliche Lied vom „Blauen Planet“ reiht sich brav in diesen Kontext ein. Es ist voller Bezüge und Muster, wie man sich bei den Kulturfunktionären zu Beginn der 80er ein Leben in der DDR vorstellte. Die allgemeine ideologische Linie wird ins Private gespiegelt, verpackt mit populären Begriffen (Blauer Planet) und Themen (Angst vor 3. Weltkrieg). Die Musik massentauglich, eingängig, nicht wirklich neu, aber keinesfalls alt, war schließlich der Überbringer der guten Nachricht vom Kampf für Frieden und Sozialismus.

Blauer Planet
= erster Kosmonaut Juri Gagarin beschreibt seinen Blick vom Raumschiff auf Erde
„Ich sehe die Erde! Ich sehe die Wolken, es ist bewundernswert, was für eine Schönheit!“
Aussage war in der DDR gegenwärtig und gewürzt mit Technikbegeisterung (Fortschritt) ohne zu hinterfragen
= Blauer Planet ist positiv besetzt, wie Farbe Blau (FDJ-Hemd, Meer, Himmel)

Tanzt unsere Welt
= unsere Welt, geteilt in zwei Gesellschaftssysteme, Westen, der böse ist und alles tut, um unser Gesellschaftssystem, den Sozialismus, der gut, richtig und wissenschaftlich begründet ist, zu zerstören
mit sich selbst schon im Fieber?
= unsere gesamte Welt, könnte, wenn sie, eigentlich der Westen, so weitermacht, so krank werden, dass sie nicht bemerkt, dass sie sich selbst vernichtet
Liegt unser Glück nur im Spiel der Neutronen?
(ursprünglich anstatt Neutronen Dämonen, von der DDR Zensur geändert, nach 1989 alte Version)
= Dämonen lässt Mehrdeutigkeit zu, wobei das gesamte Lied Zustand der Bedrohung und Angst beschreibt (irrational), welcher nicht durch Irrationalität verhindert werden kann.
= Neutronenbombe, eine Erfindung des Westens, des so lächerlichen Schauspielers als Präsident Ronald Reagens
Wird dieser Kuss und das Wort, das ich dir gestern gab
= Rückgriff auf erste Strophe: erst der Tanz, dann der Kuss und schließlich das jJa-Wort
Schon das Letzte sein?
= Schmusi-Ansprache für junge Leute, hochtrabend getextet, wiederum sind Endzeitszenarios (Angst vor Drittem Weltkrieg) damals in DDR gegenwärtig, gepaart mit der geteilten DDR-Welt in privat und öffentlich
Wird nur noch Staub und Gestein ausgebrannt alle Zeit
Auf der Erde sein?

= Beschreibung, wieder etwas hochtrabend, eines Szenario nach einem Atomkrieg
= populärer Verweis auf DDR-Science-Fiktion-Film „Staub der Sterne“, 1976“
Uns hilft kein Gott, unsere Welt zu erhalten
= Verweis auf „sinnlose“ Aktionen der oppositionellen, zumeist kirchlichen Friedensbewegung in der DDR („Schwerter zu Pflugscharen“)
Fliegt morgen früh um halb drei nur ein Fluch und ein Schrei
Durch die Finsternis?
Muss dieser Kuss und das Wort, was ich dir gestern gab,
Schon das Letzte sein?
Soll unser Kind, das die Welt noch nicht kennt,
Alle Zeit ungeboren sein?

= in der DDR wurde im Vergleich zum Westen in wesentlich jüngeren Jahren Kinder bekommen, was Staat unterstütze, ist also reale Beschreibung eines jungen Paares mit gerade 19 oder 20 Jahren, die ein Kind bekommen und stellt zusammenfassend das vermeintliche sozialistische Glück einer jungen Beziehung, ausgedrückt durch Tanz-Kuss-Wort als scheinbar dar, weil die Bedrohung nachts, wenn alles schläft, unaufhaltsam kommen könnte, wenn man nichts dagegen tut
Uns hilft kein Gott unsere Welt zu erhalten
= und weil es dem Texter, der brav dem DDR-Tenor folgt, wichtig erscheint, wird zum zweiten Mal betont, dass es zu dieser Bedrohung keine Alternative gibt, viel mehr gilt es, das junge Glück auf der DDR-Erde zu beschützen, indem man gegen die Aufrüstung (des Westens) auftritt

 

Wie vermengt man das sogenannte Private im Sozialismus zum Kampf für den Frieden?
Welt/Blauer Planet/ Praxis gewordene Theorie der Welterklärung tanzt im Fortschritt zum Kommunismus
Fieber (Dämonen/Neutronen=Kapitalismus) unterbricht Tanz
Glück Ist erfahrbar/erkämpfbar/unaufhaltsam als Sozialismus und kein Spiel
(Falsch)-Spiel mit vollen Einsatz verbrennt Tanz, Kuss und Wort zu Staub und Gestein
Was tun?
Gott als Alternative hilft nicht verursacht Gegenteil
Nachts in der Finsternis anstatt zu zweit kommt die Gefahr/Dämonen/Neutronen
Gefahr als Fluch des Kapitalismus als alles  verschlingende Moloch der vor nichts zurückschreckt
Was also hilft Dem Ungeborenen nach dem Ja-Wort zu schützen
Gott als Alternative hilft nicht verursacht Gegenteil
Ausweg ist Kampf für DEN FRIEDEN gegen die VERURSACHER
ist Kampf damit für DEN SOZIALISMUS gegen den KAPITALISMUS