Kategorie: Früher

Früher -in der DDR- haben die Erdbeeren besser geschmeckt und die Bäckerläden waren herrlich, sonst war nichts gut

Schreckliche Lieder – 04 – Geboren in der DDR

„Setzen Sie sich!
Sie wissen, warum Sie hier sind?
Meine alte Klassenlehrerin aus der Grundschule, meine jetzige Klassenlehrerin und der Direktor meiner Oberschule, sowie eine mir unbekannte Person erwarteten mich im Direktorenzimmer.
„Ihre negative und zunehmend feindliche Haltung gegenüber der DDR drückt sich ja nicht nur in ihrem Äußern aus.
Ich frage Sie ganz direkt.
Wie stehen Sie zu unserem sozialistischen Staat?
Muss ich Ihre Abneigung, den Dreijährigen Ehrendienst bei der Nationalen Volksarmee im Zusammenhang mit kirchlich pazifistischen Aktionen, der mittlerweile verbotenen Aktion „Schwerter zu Pflugscharen“ betrachten?
Sie kennen doch das Gedicht von Wilhelm Busch ‚Bewaffneter Friede‘?
In diesen Zeiten, wo der Westen massivst aufrüstet und sich in der BRD Hundert Tausende entgegenstellen, um wie im Herbst vorletzten Jahres in Bonn dagegen zu demonstrieren, negieren sie die Funktion und die Bedeutung des Ehrendienstes in der Nationalen Volksarmee der Deutschen Demokratischen Republik.
Sie wollen als Schüler der Erweiterten Oberschule Karl Marx eines Tages studieren, um danach in unserem Land in einer leitenden Funkion wirken.
Mit dieser Einstellung schaden sie nicht nur dem Friedenswillen unseres Staates, sie schaden sich und helfen den Kriegstreibern im Westen.
Gehen Sie in sich! Überlege Sie sich, was Sie tun! Überlegen Sie, was für Konsequenzen Ihr Auftreten hat.
Sie wissen, dass ihre Oma, die in leitender Funktion an der Universität dieser Stadt arbeitet, ihre politischen Äußerungen nicht gut heißt.
Sie schaden ihr.
Sie gebrauchen Ausdrücke, die nichts mit der Wissenschaft des Marxismus-Leninismus zu tun haben.
Wenn Sie die Ansprache hier als Warnung verstehen und sich selbst hinterfragen, um selbstkritisch ihren falschen Standpunkt dialektisch zu betrachten, dann wären Ihnen sehr geholfen.
Ich rede hier nicht, dass sie sich für Drei Jahre zur Nationalen Volksarmee verpflichten.
Ich meine hier ihre Ablehnung der Gesellschaft für Sport und Technik, wo sie eine Art vormilitärische Ausbildung erhalten, aber genauso den Umgang mit Disziplin und Gehorsam erlernen. Den Führerschein gibt es obendrauf.
Ich meine ebenso ihre individuellen Einstellungen, die nicht zur Lebenseinstellung eines jungen Menschen in der DDR passen. Keiner ihrer Klassenkameraden unterstützt Sie. Sie sind allein.
Viele der wohl sicher von ihnen gehörten Unterhaltungskünstler im Westen wenden sich in ihren Liedern gegen diese schrecklichen Waffen.
Und nun droht der amerikanische Präsident mit der Neutronenbombe.
Und Sie finden, dass sie mit pazifistischen Aussagen einer solchen Drohung, ich spreche hier von der Gefahr des Dritten Weltkrieges, ernsthaft entgegentreten. Nicht die Bruderländer des Warschauer Vertrages haben das Wettrüsten losgetreten.
Ganz allein die Nato und der Ex-Kanzler Schmidt.
Für diesen sind ja wir – die Kommunisten – nach wie vor der schlimmste Feind. Als ob es den Hitlerfaschismus nicht gegeben hätte. Aber gut, das kennen wir ja seit der USPD. „Wer hat uns verraten? Sozialdemokraten!“ und natürlich die jetzige Bonner Regierung, wo Revanchismus und Finanzkapitalismus Hand in Hand mit den multinationalen Rüstungskonzernen gehen.
Bundeskanzler Kohl wird ja auch in einem Mercedes durch Westdeutschland chauffiert. Diesem bundesdeutschen Vorzeige-Konzern, der unter der Leitung natürlich eines Sozialdemokraten neben einem Auto, indem schon Adolf Hitler gefahren wurde, auch alle möglichen Rüstungsgüter hergestellt werden. Von nichts kommt nichts. Wie abgrundtief ist die Dekadenz des Westens.
Und dies finden Sie gut?
Der Kampf der Arbeiterklasse und ihrer verbündeten Schichten unter der Führung der Sozialistischen Einheitspartei Deutschland gegen diesen ausbeuterischen Kapitalismus, gegen seine Dekadenz und gegen seine blutigen Kriege in Asien, Afrika und Latein- und Südamerika wollen sie hinterfragen?
Der amerikanische Präsident, dieser zweitklassige Western-Schauspieler, kann nur daran gehindert werden, den roten Knopf zu drücken, wenn wir stark genug gerüstet sind. Demonstrationen gegen die Aufrüstung, wie in Bonn und in ganz Westeuropa, werden noch geduldet. Bis da die Panzer rollen, ist nur eine Frage der Zeit.
Und Sie sind sich nicht im klaren, dass Sie mit ihren dahingesagten Parolen nicht nur den Weltfrieden gefährden, sondern unseren opferreichen Kampf 1933-45 als sinnlos erscheinen lassen.
Sie müssen sich entscheiden:
Sind Sie für oder gegen diesen Staat?“

Schrecklicher Lieder – 03 – Geschrieben in der DDR

Die Willkür und zum Schluss das ohnmächtige Treten der „DDR-Organe“ nach allem, was sich nicht in ihren Augen loyal verhielt, machte aus dem Beobachten eines Mauerseglers einen staatsfeindlichen Akt. Ein Mauersegler fliegt über Mauern. Für jeden DDR-Bürger war die Mauer in Berlin und an der Grenze zur BRD unüberwindbar. Selbst eine Reise in die sozialistischen Bruderländer nach Osteuropa war ein bürokratische Akt und nicht per se möglich.
Wörter, wie „Fliegen“, „Mauer“ oder „Flucht“, Bezüge zu wirtschaftlichen Engpässen, Stichwort „Banane“ oder „Badezimmer-Fliesen“ wurden von der Zensur gestrichen oder mussten geändert werden. Oder, im Lauf der Zeit, funktionierte die Selbstzensur der Autoren. Man wusste, was geht und was nicht. Abhängig vom politischen Kurs der DDR und abhängig von den jeweiligen Funktionären.
So entstand eine eigene Sprache in Texten und im Reden miteinander. Texte, beispielsweise in der DDR-Popmusik, formulierten, um den heißen Brei herum und waberten in Plattitüden. Ironie, als Tendenz den Texten eine Mehrdeutigkeit zu geben, war schwer und gefährlich.
Hier ein typisches Beispiel der Band „Karussell“ aus dem Jahre 1987. Die Autorin heißt Gisela Steineckert, die sich bis heute zu DDR bekennt.
Nach meiner Lesart ist der Text frei von jeder Ironie, vielmehr verkörpert er eine Art „DDR-Kuschligkeit“.

Als ich fortging“,

Als ich fortging war die Straße steil, 
kehr wieder um.
 Nimm an ihrem Kummer teil,
 mach sie heil.
Als ich fortging war der Asphalt heiß, 
kehr wieder um.
 Red ihr aus um jeden Preis, 
was sie weiß.
Nichts ist unendlich, so sieh das doch ein. 
Ich weiß du willst unendlich sein,
 schwach und klein.
Feuer brennt nieder, wenn keiner es nährt. 
Kenn ja selber, was dir heut widerfährt.
….

Das schreckliche Lied vom „Blauen Planet“ reiht sich brav in diesen Kontext ein. Es ist voller Bezüge und Muster, wie man sich bei den Kulturfunktionären zu Beginn der 80er ein Leben in der DDR vorstellte. Die allgemeine ideologische Linie wird ins Private gespiegelt, verpackt mit populären Begriffen (Blauer Planet) und Themen (Angst vor 3. Weltkrieg). Die Musik massentauglich, eingängig, nicht wirklich neu, aber keinesfalls alt, war schließlich der Überbringer der guten Nachricht vom Kampf für Frieden und Sozialismus.

Blauer Planet
= erster Kosmonaut Juri Gagarin beschreibt seinen Blick vom Raumschiff auf Erde
„Ich sehe die Erde! Ich sehe die Wolken, es ist bewundernswert, was für eine Schönheit!“
Aussage war in der DDR gegenwärtig und gewürzt mit Technikbegeisterung (Fortschritt) ohne zu hinterfragen
= Blauer Planet ist positiv besetzt, wie Farbe Blau (FDJ-Hemd, Meer, Himmel)

Tanzt unsere Welt
= unsere Welt, geteilt in zwei Gesellschaftssysteme, Westen, der böse ist und alles tut, um unser Gesellschaftssystem, den Sozialismus, der gut, richtig und wissenschaftlich begründet ist, zu zerstören
mit sich selbst schon im Fieber?
= unsere gesamte Welt, könnte, wenn sie, eigentlich der Westen, so weitermacht, so krank werden, dass sie nicht bemerkt, dass sie sich selbst vernichtet
Liegt unser Glück nur im Spiel der Neutronen?
(ursprünglich anstatt Neutronen Dämonen, von der DDR Zensur geändert, nach 1989 alte Version)
= Dämonen lässt Mehrdeutigkeit zu, wobei das gesamte Lied Zustand der Bedrohung und Angst beschreibt (irrational), welcher nicht durch Irrationalität verhindert werden kann.
= Neutronenbombe, eine Erfindung des Westens, des so lächerlichen Schauspielers als Präsident Ronald Reagens
Wird dieser Kuss und das Wort, das ich dir gestern gab
= Rückgriff auf erste Strophe: erst der Tanz, dann der Kuss und schließlich das jJa-Wort
Schon das Letzte sein?
= Schmusi-Ansprache für junge Leute, hochtrabend getextet, wiederum sind Endzeitszenarios (Angst vor Drittem Weltkrieg) damals in DDR gegenwärtig, gepaart mit der geteilten DDR-Welt in privat und öffentlich
Wird nur noch Staub und Gestein ausgebrannt alle Zeit
Auf der Erde sein?

= Beschreibung, wieder etwas hochtrabend, eines Szenario nach einem Atomkrieg
= populärer Verweis auf DDR-Science-Fiktion-Film „Staub der Sterne“, 1976“
Uns hilft kein Gott, unsere Welt zu erhalten
= Verweis auf „sinnlose“ Aktionen der oppositionellen, zumeist kirchlichen Friedensbewegung in der DDR („Schwerter zu Pflugscharen“)
Fliegt morgen früh um halb drei nur ein Fluch und ein Schrei
Durch die Finsternis?
Muss dieser Kuss und das Wort, was ich dir gestern gab,
Schon das Letzte sein?
Soll unser Kind, das die Welt noch nicht kennt,
Alle Zeit ungeboren sein?

= in der DDR wurde im Vergleich zum Westen in wesentlich jüngeren Jahren Kinder bekommen, was Staat unterstütze, ist also reale Beschreibung eines jungen Paares mit gerade 19 oder 20 Jahren, die ein Kind bekommen und stellt zusammenfassend das vermeintliche sozialistische Glück einer jungen Beziehung, ausgedrückt durch Tanz-Kuss-Wort als scheinbar dar, weil die Bedrohung nachts, wenn alles schläft, unaufhaltsam kommen könnte, wenn man nichts dagegen tut
Uns hilft kein Gott unsere Welt zu erhalten
= und weil es dem Texter, der brav dem DDR-Tenor folgt, wichtig erscheint, wird zum zweiten Mal betont, dass es zu dieser Bedrohung keine Alternative gibt, viel mehr gilt es, das junge Glück auf der DDR-Erde zu beschützen, indem man gegen die Aufrüstung (des Westens) auftritt

 

Wie vermengt man das sogenannte Private im Sozialismus zum Kampf für den Frieden?
Welt/Blauer Planet/ Praxis gewordene Theorie der Welterklärung tanzt im Fortschritt zum Kommunismus
Fieber (Dämonen/Neutronen=Kapitalismus) unterbricht Tanz
Glück Ist erfahrbar/erkämpfbar/unaufhaltsam als Sozialismus und kein Spiel
(Falsch)-Spiel mit vollen Einsatz verbrennt Tanz, Kuss und Wort zu Staub und Gestein
Was tun?
Gott als Alternative hilft nicht verursacht Gegenteil
Nachts in der Finsternis anstatt zu zweit kommt die Gefahr/Dämonen/Neutronen
Gefahr als Fluch des Kapitalismus als alles  verschlingende Moloch der vor nichts zurückschreckt
Was also hilft Dem Ungeborenen nach dem Ja-Wort zu schützen
Gott als Alternative hilft nicht verursacht Gegenteil
Ausweg ist Kampf für DEN FRIEDEN gegen die VERURSACHER
ist Kampf damit für DEN SOZIALISMUS gegen den KAPITALISMUS

Schrecklicher Lieder – 02 – Ich kann gar nicht so viel fressen, wie ich kotzen möchte

Ich kann gar nicht so viel fressen, wie ich kotzen möchte
(Geflügeltes Wort von Max Liebermann)

Anfang der 80er war ich, sehr jung, bei einer „Fete“ in Weimar. Ich kann mich nur an eine Szene von damals erinnern. Ich musste mal, ging’s auf’s Klo und über dem Pissoir stand mit gespreizten Beinen jemand, um zu pinkeln. Ich brauchte etwas bis ich verstand, warum da jemand so pinkelte. Es war eine, in meiner damaligen Sprache ausgedrückt, „Punkerin“.
Ganz sicher haben wir in Weimar Musik gehört. Vielleicht spielten Bands. Ganz sicher hörten wir nicht die Musik der etablierten, von Staats wegen protegierten DDR-Bands. Und über eine dieser Bands gleich mehr.
Wir waren in unterschiedlichen Art und Weisen nicht konform mit den Vorstellungen der DDR-Oberen. Wir sahen anders aus. Wir hörten andere Musik. Wir lasen die alten Bücher anders und verbotene dazu. Wir benahmen uns anders. Und schließlich hatten wir andere Meinungen von Geschichte, Gegenwart und Zukunft der DDR. Und letztendlich, weil wir, in einer Nische lebend, dennoch immer mit dem Staat uns auseinander setzten mussten, weil er uns, wenn schon nicht „raus“, nicht wenigstens „in Ruhe“ ließ, dachten und redeten wir unablässig, wir wir es und ob wir es hier aushalten könnten, ohne uns aufzugeben. Unsere eigene Sprache, die sich aus der Zeit, unserem Alter und der besonderen Situation des Lebens in der DDR gebildet hatte, klingt heute sehr fern. Wohl für viele jüngere ähnlich fern, wie für mich, als ich meine Großmutter fragte, weil sie mir als Kind so alt erschien, ob sie ganz früher mal Urmensch gewesen sei. Dennoch Begriffe, wie „Zone“ für DDR, „Abhauen“ für Ausreise ohne Wiederkehr aus der DDR, „für oder gegen den Staat“ rauchen, je nachdem, wo das Wappen auf der Zigarette war, geben lakonisch, schnoddrig, dennoch klar unseren Alltag wieder.
Sie oder wir. Nicht wir stellten diese Aussage in den Raum. Vielmehr drängte man uns so lange, am liebsten in jungen Jahren, bis uns nichts mehr übrig blieb als zu sagen, alles andere muss besser sein als dieser Staat, dem faktisch jedes Mittel recht war, uns zu brechen. 1987 wurde in der DDR die Todesstrafe abgeschafft. 1981 wurde nicht weit von meiner Wohnung in Leipzig in der Justizvollzugsanstalt Leipzig in der Bernhard-Göring-Straße der letzte Mensch per Unerwartetem Nahschuss hingerichtet.

Es gab also jene und es gab uns.
Eine derjenigen war die Band „Karat“. Eigentlich ist eine Erwähnung dieser Band banal. Keiner von uns nahm ihre Lieder ernst. Weder ihre deutschen Texte noch ihre, dem populären Zeitgeist des Westens hinterherrennenden, meistens ein paar Jahre zu späten, musikalischen Versuche, sollten Bestand haben, dachten wir, denn leider war dem nicht so. Die Band existiert immer noch. Ihre Akteure sind teilweise über siebzig und da der Sänger verstarb, singt dessen Sohn.
Ein Liedchen, bis heute gerne gespielt, heißt „Blauer Planet“:

Blauer Planet
Autoren: Ulrich Swillms, Norbert Kaiser

Tanzt unsere Welt mit sich selbst schon im Fieber?
Liegt unser Glück nur im Spiel der Neutronen?
(ursprünglich anstatt Neutronen Dämonen, von der DDR Zensur geändert, nach 1989 alte Version)
Wird dieser Kuss und das Wort, das ich dir gestern gab
Schon das Letzte sein?
Wird nur noch Staub und Gestein ausgebrannt alle Zeit
Auf der Erde sein?
Uns hilft kein Gott, unsere Welt zu erhalten
Fliegt morgen früh um halb drei nur ein Fluch und ein Schrei
Durch die Finsternis?
Muss dieser Kuss und das Wort, was ich dir gestern gab
Schon das Letzte sein?
Soll unser Kind, das die Welt noch nicht kennt
Alle Zeit ungeboren sein?
Uns hilft kein Gott unsere Welt zu erhalten

Eingängig. Passend zu dem musikalischen Geist der Zeit. Ein sehr trockener, etwas dünner Grundbeat wird umspielt von einem Basssyntheziser. Hat Disco-Qualität, die zum Mitklatschen gut geeignet ist. Die Gitarre schafft einen Gegenpol, weil sie spielerisch und im Klang fremd wirkt. Der Schlagzeug-Break in der Mitte erinnert an Phil Collins „In the Air Tonight!“, Anfang 1981 erschienen.
Das Lied war ein Auftragswerk zu einem Konzert für den Weltfriedenstag am 1. September 1981 in der Hauptstadt der DDR Berlin.
Anfang der 80er herrschte zwischen Ost und West der Kalte Krieg. Der Westen, insbesondere die USA, versuchte unter ihrem konservativen Präsidenten Ronald Reagan den Osten tot zu rüsten. Mittels der gegenseitigen nuklearen Bedrohung drohte bei Ausbruch eine Katastrophe. Verunsicherung, Angst, Endzeitstimmung, Ausweglosigkeit, Perspektivlosigkeit waren keine Möglichkeiten einer Jugend, vielmehr waren sie ein weit verbreiterte Zustand. Wer wollte in dieser Welt leben oder gar Kinder in sie hineinsetzen. Durchaus vergleichbar mit heute. Auch heute schwebt die nukleare Bedrohung Russlands im Krieg gegen die Ukraine an alle, die mit Waffen der Ukraine helfen. Und heute schwebt die allgemeine Angst vor den Gefahren der Klimaveränderung über allen. Vor vierzig Jahren gab es die Warnungen ebenso, nur waren sie nicht allgemeiner Konsens wie heute.
Damals ging es um die SS-20-Raketen der Sowjetunion, welche die Hauptstädte des Westens innerhalb von Minuten zerstören würde.
Die Antwort des Westens war der Nato-Doppelbeschluss, und eine Art Superwaffe, die Neutronenbombe.
Der Osten versuchte mit allen Mitteln dagegenzuhalten und stellte sich als Friedensengel dar, u.a. mit dem Lied zu Picassos „kleiner weißen Friedenstaube“.
Kulturell wurde mit dem musikalischen Popzeitgeist des Westens an der Kulturfront in Ost und West Betrieb gemacht. Das Lied von Karat „Der blaue Planet“ ist ein Beispiel für verschiedenste, textlich ähnlich gelagerten Lieder der etablierten Popmusik in der DDR. Inhaltlich ist es immer das Gleiche. Schuld ist der Westen und alles könnte doch ganz einfach sein, wenn man den gesunden, allerdings nach DDR-Lesart Menschen-Verstand, anwenden würde. Ein bisschen DDR-Frieden kann doch nicht so schwer sein, denn für Frieden und gegen Krieg sind wir doch alle.
In besagten Lied soll die DDR-Kultur-Zensur in dem ursprünglichen Text eingegriffen haben. Der Vorwurf war, die Sprache sei zu unspezifisch. Das Böse, sprich der US-Imperialismus, musste noch erwähnt werden. Deshalb änderte man in der zweiten Zeile das Wort Dämonen in Neutronen um. Passte gut, den jeder fand die Versuche einer Neutronenbombe schlecht.
Dann gab es noch einen Bezug, was bei der Beschreibung der Erde vom Weltall aus, jeder DDR-Bürger verstand. Juri Gagarin, der erste Kosmonat beschrieb bei seinem ersten Versuch:
„Ich sehe die Erde! Ich sehe die Wolken, es ist bewundernswert, was für eine Schönheit!“
Der erste Verweis ist also die Schönheit des Planeten Erde, wie sie ein Sowjetmensch, der nicht an Gott glaubt, wirklich als erster Mensch gesehen hat. Und jetzt wird es gemein. Jeweils als eine Art Abschluss gib es einen verbalen Faustschlag gegen die Opposition im eigenen Land.
Und da hatte sich emotional nicht viel geändert zu Wilhelm Zwei, als er 1914 zum 1. Weltkrieg ausrief, nur noch Deutsche zu kennen, die natürlich für den Krieg sind. Wer dagegen ist, kann nur ein Verräter, ein Vaterlandsverräter sein. Und im Text bei Karat ist es nicht viel anders. Wer mit irgendwelchen der Bibel entnommenen Zitaten für den Frieden und für die Abrüstung in Ost und West wirbt, muss ein Irrer oder ein DDR (Vaterlands)-Verräter sein.
Zusammengefasst klaubt man ein paar Allgemeinplätze in einer Art lyrischen Sprache zusammen, die niemandem weh tut. Waffen sind immer blöde, vor allem, wenn sie auf einen selbst gerichtet sind. Man nimmt noch einen Querverweis, der in der DDR als bekannt vorausgesetzt werden kann, hinzu und grenzt sich klar vom Nichtstun (Beten oder Pazifismus) ab. Fertig ist die Friedenshymne. Tut nicht weh. Musikalisch einigermaßen auf Westniveau. Ist nicht zu dämlich und kann dazu noch Extrapunkte einfahren, indem man der Friedens-Konkurrenz im eigenen Land ans Bein pinkelt. Denn die DDR und ihre sozialistischen Bruderländer treten doch offensichtlich für den Weltfrieden ein. Sie wollen gar nicht sich am Rüstungswettlauf beteiligen. Werden vom Westen dazu gedrängt. Wer das Gegenteil behauptet, lügt, denn der Marxismus (gleichgesetzt mit DDR) ist allmächtig, weil er wahr ist.

Und nun nach all den Jahren, sehe ich Plakate dieser Band. Sie spielen tatsächlich im April in Offenbach.
Und ich sehe Leute ernsthaft mit der alten, so falschen, so hinterrotzigen DDR-Symbolik, der „kleinen weißen Friedenstaube“, ernsthaft für eine Ende des Krieges in der Ukraine demonstrieren.
Ich verstehe es nicht. Drehe mich angewidert weg und denke, ihr könnt mich mal. Ein Glück, dass ich nicht so geworden bin wie ihr.
Vielleicht sollte ich mich auf eines der Instrumente der Band im April festkleben, um zu erinnern, zu warnen und nicht zu vergessen. Mach ich brav nicht. Vielmehr erzähle ich es hier und ertrag es.
Und zum Pinkeln auf Männerpissoirs in der klassischen „Pullermann pullert im Stehen“ kann ich nur sagen, dass dort mehr übrig bleibt, als bei der klassischen „Pulli pullert im Sitzen/Hocken“ auf dem Klo.
Putze mit jahrzehntelanger Erfahrung.

Schrecklicher Lieder – 01 – Ich klebeualisiere

Habe vor meiner Haustüre Plakat einer uralten DDR-Gruppe entdeckt.
Die gibt es noch und sie spielen wirklich die Tage in Offenbach.
Schlaffei fand Gruppe gut und schlagerte „Über Sieben Brücken…“ nach.
Mein Problem ist, dass sie gleiche Lieder, wie vor 40 Jahren singt.
Staatsloyale Sentimentalitäten verpackt in Allerweltsfloskeln.
Ist heute vergessen oder wird verklärt, wie etwa:
war doch alles gar nicht schlimm, mussten doch auch leben,
und haben, wie die drüben, ebenso was geleistet.
Ich „klebualisiere“ mich deshalb an,
um zu erinnern, zu protestieren und aufzurütteln,
dass es so nicht war.
Ich weiß es. War ja da.
Von diesem Scheiß-Land mit seinen Scheiß-Funktionären und deren Scheiß-Ausreden bleiben mir Muckefuck und schreckliche Lieder in Erinnerung, von einem werde ich hier erzählen, in mehr Worten als gedacht.

01 Schrecklicher Lieder – 01 – Ich klebeualisiere
02 Schrecklicher Lieder – 02 – Ich kann gar nicht so viel fressen, wie ich kotzen möchte
03 Schreckliche Lieder – 03 – Geschrieben in der DDR
04 Schreckliche Lieder – 04 – Geboren in der DDR
05 Schreckliche Lieder – 05 – Fussnoten

Ruhm und Ehre einem gefallenen Helden der DDR, 2. Teil

Ruhm und Ehre einem gefallenen Helden der DDR, 2. Teil, Lieber Thomas, Spielfilm
Der Starke ist am mächtigsten allein (Schiller, Wilhelm Tell, 1. Akt, Dritte Szene)

Mit der gleichen Schauspielerin Jella Haase geht es auch anders.
Lieber Thomas
u.a. mit Jella Haase, die die Hauptfreundin des Dichters spielt
Spielfilm, 2021
Erzählt wird die Geschichte des Schriftstellers Thomas Brasch (1945-2001),
der in beiden deutschen Staaten scheiterte. Seine Versuche dahingehend erinnern an die vor 50 Jahren verstorbene Schriftstellerin Brigitte Reimann mit ihren Versuchen um Anerkennung in der DDR.
Verantwortlich für sein Scheitern war die offensichtliche Umkehrung der angestrebten, angeblich in der DDR umgesetzten, schönen neuen Welt. Für den real existierenden Sozialismus war jede Lüge, Spitzlei, Borniertheit, Falschheit und alles, was einem noch so Schlechtes einfallen würde, recht und billig, um sich zu behaupten. Umzingelt von den kapitalistischen Feinden des nichtsozialistischen Auslandes, die nicht davor zurückschreckten, mit den Hitlerfaschisten zu paktieren, musste die DDR -so wurde es pausenlos begründet- sich schützen, indem sie drohte, zensierte, verbot, einsperrte. Mit zunehmendem Alter der Funktionäre entpuppte sich die DDR als biedere Kleingartenidylle, wo über die eigene Hecke gucken verboten war und mit Freiheitsstrafen bestraft wurde.
Du musst Dich entscheiden, bist Du für oder gegen diesen Staat – wurde ich in jungen Jahren gefragt. Und mir fällt bis heute, auf dessen Habenseite, nur die Bäcker mit ihrer Vielzahl von Blechkuchen und die viel besser schmeckenden Erdbeeren ein. Der Rest ist ein pausenloses Geschrei meinerseits, wie Scheiße dieses Land gewesen ist und was es hinterlassen hat. Der sozialistische Alptraum in der DDR ist vorbei. Auferstandene Erinnerungsfetzen, seiner irrsinnigen Existenz-Begründung, werden heute, vom Mutterland des Sozialismus, den Menschen in der Ukraine eingebombt. Der Genosse Zar im Kreml nennt dies Befreiung.
Der Kapitalismus hält dagegen, ist aber dabei ganz schön im Stress. Es gibt noch andere Dinge, die nicht laufen. Aber alles wird eingetütet, verwertet, im Zweifel so verändert, das es passt.
Für Thomas Brasch gab es zu Anfang im Westen Anerkennung. Doch fühlte es sich für ihn wie falsches Lob an. Er wurde als Feigenblatt benutzt. Er versuchte sich gegen die falsche DDR und gegen falsches Lob aus der BRD zu behaupten. Sein Widerstand hieß Schreiben. Sein Treibstoff waren Alkohol, Kippen, später Koks. Nichts sagen zu lassen. Auch wenn es denen nicht entspricht, weil es nicht geht, dass Dir im Osten, wie im Westen andauernd irgend jemand sagt, was Du machen sollst. Dieser Eigensinn ist im Osten immer noch recht ausgeprägt. Man reagiert „allergisch“ auf die unpersönliche dritte Person Einzahl in Form von Verallgemeinerungen, Aufforderungen oder Verhaltensnormen. Das macht man so, das sagt man so, dies weiss man doch, ist keine gemeinsame Sprache. Erfahrungen und Perspektiven sind verschieden. Meine kettenrauchende Oma verpackte ihre Aufforderung, dass jemand Kaffee für sie machen sollte mit der Frage, hast Du auch so einen Kaffeedurst.
Nein zu sagen, kann man lernen. Nachfragen kann man lernen. Mehr Teilen lernen, wäre mein Vorschlag.
Thomas Brasch ist ein Beispiel und dass der Widerstandsfähige nicht gezähmt werden kann. Die vielen Hilfsstoffe für seine inneren und äußeren Wunden beendeten sein Leben zu früh.
Er hat es ausgehalten, solange er konnte. Sein Werk gibt darüber Auskunft und sollte gelesen werden.
In „Lieber Thomas“ erfährt man viel über die DDR und einen ihrer Helden und nichts über Kaugummi.

Der Film sollte bis zum 14.03.23 auf Arte laufen.
In der Zentralbibliothek kann man ihn sich ausleihen oder man streamt ihn beispielsweise über Amazon/Prime in.

Trailer

Dazu ergänzend, ist der Podcast des Stasi-Unterlagen-Archivs.
„111 Kilometer Akten. Der offizielle Podcast zum Stasi-Unterlagen-Archiv“

Sachlich, dezent eigene Erfahrungen einbringend, ohne Befindlichkeiten, Albernheiten und Gelächter, hoffentlich ohne neues Modewort wie Resilienz, ist dieser Podcast eine interessante Ergänzung zum Film und ganz allgemein, um sich zu erinnern oder kennenzulernen, was für ein Scheißland die DDR gewesen ist und was für Helden sie hinterließ.

Der Thomas-Brasch-Film – das Drehbuch und die Akten
Folge 47 vom 17. November 2021

Ruhm und Ehre einer gefallenen Heldin der DDR, 1. Teil

Ruhm und Ehre einer gefallenen Heldin der DDR, 1. Teil, Kleo, Serie auf Netflix
Der Starke ist am mächtigsten allein (Schiller, Wilhelm Tell, 1. Akt, Dritte Szene)

Kleo
mit Jella Haase
Serie, 2022 auf Netflix, die 2. Staffel ist in Planung
Kaugummi-Serie über Umgang mit DDR-Phanthom-Schmerzen in der Wendezeit

Die Serie ist so, als ob gefragt würde, spiegeln die Menschen am Tresen der Vowi nach Mitternacht die Wirklichkeit in Deutschland wider.
Natürlich nicht, wäre eine Antwort. Außerdem sind viele stark angeschnackelt. Das macht manche Schranke wirkungslos, hilft aber, sich keine Gedanken zu machen.
Schon irgendwie, wäre eine andere Antwort. Der Alkohol ist wirkungsmächtige Medizin, um manches Versteckte, Verdrängte nach Mitternacht auf die Welt zu bringen. Bei Tageslicht wäre ich vorsichtiger damit. Man sieht mehr.

Somit ist der Tresen um Mitternacht, wie die Serie, ein ganz kleiner Teil der Wirklichkeit. Er ist eine Matrojoschka (Schachtelpuppe), die Figur um Figur, im Inneren versteckt, dabei immer kleiner wird, an Bedeutung verliert und dennoch Wirkung erzielt.

Nebensatz:
Elsterglanz aus dem Mansfelder Land erklären, was Matrojoschka-Autismus ist.

Das die Serie in Erinnerung bleiben könnte, liegt an der Hauptdarstellerin Jella Haase. Ihre Präsens, ihr Gesicht, ihre Kraft, ihre Sprache geben der Serie den Bums. Die DDR-Geschichte ist Staffage. Verpackt als bunte Kaugummi-Blase. Eine Erfindung, sage ich. Die DDR hatte nichts Leichtes. Mehr Sauerkraut oder Saure Gurke als dicker mit Sahne gefüllter Windbeutel.
In Leipzig, beispielsweise, gab es nichts Buntes. Schlechte Luft, graue Wolkendecke, Einschusslöcher noch Jahrzehnte nach dem Krieg, Phenolschaum auf dem Elsterflutbecken, an deren Seitenärmchen die Reste der Auenwälder vermoderten. Hier vergammelten im wahrsten Sinne die Ideale einer schönen neuen Welt. Heute sind wir Erben, die nichts außer Schuldscheine haben.
In der Serie sind die Schuldscheine Koffer voller Geld. Böses Geld. Westgeld. Kaugummi-Geld. Um Geld ging es doch nie im Sozialismus, sondern um die Bedürfnisse des Menschen. Und da es in der DDR hin und wieder das Bedürfnis nach Kaugummi gab, konnte man gegen Westgeld im Intershop drei verschiedene West-Kaugummi-Sorten von Wrigley’s kaufen. Mit denen gingen Blasen wirklich gut. Der Film verwechselt die Erinnerung von Westkaugummi-Blasen mit der Wirklichkeit von Sauren Gurken. Diese gab es immer im Fass oder Glas. Kaugummi dagegen gab es so selten, dass er sich verselbstständigte als unerreichter Bestandteil des Glücks im Paradies im Westen.
Schon gut, ist ja nur ein Film. Der Duft des Westen, der festklebt. Schwer zu erklären. Vielleicht heute vergleichbar mit der Wirkung der spanischen Enklaven Ceuta und Melilla in Marokko. Alle, die von Süden kommen, sehen die Schaufenster Europas, einer Welt, die selbst im schlechten Zustand besser scheint, als die alte Welt. Mir erging es so. Ich kann es bestätigen. Nicht vergleichbar im Lebensrisiko, weil ich weiß und DDR-Deutscher war. Die Nichtanerkennung der DDR durch die BRD ermöglichte, dass wir alle nicht zur Ausländerbehörde, sondern zur Meldestelle mussten, um Ausweis und Begrüßungsgeld abzuholen.

Schmerzen über Schmerzen

Mit so was habe ich gespielt. Vor Jahrzehnten.
„Bleib ruhig! Ist vorbei. Der Kram liegt im Keller.
Zur Erinnerung. Die Geschichte ist zu Ende.“
Zerfallszeit – zwei drei Generationen. Zerfallsart – keine Ahnung.
Phantom-Schmerzen könnten bleiben. Meinte ich.
Auferstandene Erinnerungsfetzen, dieser irrsinnigen Gespenstergeschichten, werden heute, vom Mutterland des Sozialismus,
den Leuten in der Ukraine näher gebracht.
Der Genosse Zar im Kreml nennt es Befreiung.
Er feiert nach einem Jahr mit einem dreifachen Hurra.
Mein dreifacher Ruf geht an die,
welche es erleiden und aushalten müssen.

Und was tue ich danach?
Rittersport Marzipan essen?
Frischen Pommes in Metro oder Fegro kaufen?
Mit Stinkfinger am russischen Konsulat auf dem Oeder Weg auf- und ablaufen? Eine Petitionen für Frieden unterschreiben, auch, wenn einige dabei, ganz- und gar nicht meine Kumpels sind?
Geld für einen Panzer sammeln?
Niemanden glauben?
Die Ohren zuhalten?
Viktor Orban als Vermittler preisen?
Wenigstens einen Klassenstandpunkt bilden?
Nicht immer eine Frage mit einer Frage beantworten.

Wundern und innehaltend, Teil 2

Popmusikalisch, wie auf der Weltenbühne, endete viel schon um 1977. Das Neue brauchte etwas Zeit, ehe es von allen Spatzen getschilpt wurde:
Die Scorpions hatten mit „Wind of Change“ dem Kleingartensozialismus in Osteuropa die Leichtigkeit der kapitalistischen Freiheit vorgepfiffen. Die Lieder im Kleingarten waren öde, uncool und offensichtlich falsch. Es wurde gelogen, geschönt und die Wirklichkeit verbogen. Es wurde so schlimm, dass keiner singen mochte. Der Rest ist Geschichte. Popmusikalisch ballerte der neoliberale Kapitalismus mit der Vereinnahmung von Punk und Techno zurück und zwar so sehr, dass sich alle Metallarbeiter die Haare abschnitten (Wer kann zwei Bands nennen?) und darüberhinaus Jethro Tull (Was ist das?) den Grammy Award for Best Hard Rock/Metal Performance Vocal or Instrumental gewann.
Heute, Jahrzehnte später, gibt es sie noch alle. Digitaler, verfügbarer, austauschbarer, verwertbarer, altersloser. Ein, zwei von denen leben auf einer musikalischen Insel, zur Festung ausgebaut, uneinnehmbar. Sie spielten damals den Soundtrack der Entfremdung, der sich in Bellen und Heulen von Hunden, keine menschlichen Laute weit und breit, verdichtete. (Welche Band vertonte 1977 indirekt den Roman „1984“ von George Orwell?)
Ich muss, nach wie vor, so persönlich es mir leid tut, weil mir die Worte fehlen, vor dem Kapitalismus salutieren. Dort kann ich wenigstens in der Zentralbibliothek die Bücher ausleihen, die in der Kleingartensozialismus-Bücherei mit dem Vermerk „Geheim“ der Allgemeinheit vorgehalten wurden, beispielsweise George Orwell „1984“.
Auch deshalb bin ich häufiger auf der Töngesgasse in der Zentralbibliothek der Stadtbücherei Frankfurts, wo unweit das Foto aufgenommen wurde, was so nahtlos für den Kapitalismus steht, weil er es sich leisten kann,
in St. Bartholemus über seine Seelenlosigkeit zu klagen,
im MMK ihn künstlerich bloẞzustellen,
in der Stadtbibliothek über seine Verwerfungen zu lesen,
um schlieẞlich den teuersten Döner Frankfurts bei Ton Bull gegenüber zu kaufen.
Ein schöner Tag im Kapitalismus!

Wundern und innehaltend, Teil 1

Welche drei öffentlich zugängliche Gebäude in der Innenstadt von Frankfurt könnt Ihr auf dem Foto erkennen?
In allen drei Gebäuden kann man sich wundern, innehalten und es ist normalerweise nicht laut.

Das Foto wurde zwischen den Jahren auf der Töngesgasse aufgenommen. Wir waren auf dem Nachhauseweg nach einem Besuch des 2021 eröffneten neusten Museums in Frankfurt (Welches, ihr Banausen?) hungrig geworden. Sofort wurde der teuerste, angeblich beste Döner Frankfurts Ton Bull auf der Töngesgasse angepeilt. Ich hatte, wie so oft in meiner kleinen Welt, in der immer mehr Vergangenes als die schreckliche Zukunft eine Rolle spielt, noch nie von diesen Preis-Leistungs-Verhältnis gehört.
Meine letzter Döner wurde Ecke Batton/Lange Straße im Dezember 1989 vom Dönerspieß geschnitten. Für insgesamt DM 5,- erhielt ich dazu eine Coca-Cola und einen Snickers. Zum Nachtisch gab es eine Pall Mal ohne Filter.

Das Begrüßungsgeld und das Sozialamt sorgten für genügend Scheine im alten Portmonee. Ich konnte im Kolpinghaus, einer katholischen Übernachtungsheim in der Lange Straße, meine ersten Nächte in der Freiheit (Welche Freiheit meine ich?) unweit der Breite Gasse, die moralische Verkommenheit des real existierenden Kapitalismus, nicht mit meinen beiden Zimmergenossen aus Polen ausprobieren, ablehnen oder wenigstens bereden. Wir verstanden uns nicht. Russisch, was alle gekonnt hätten, galt, wie heute, nicht als ministrabel. War die Wahrheit doch, was ich „drüben“ in der Schule, als ich noch nicht in der Freiheit war, gelernt hatte. Ich studierte in der Gräfstraße, um mehr zu erfahren. Wenn ich fleißig gewesen wäre, hätte ich alles gelernt, was bis dahin geschah, weil mehr sollte nicht passieren. Der Weltgeist bzw. der Weltmarkt hatte sich gegen den Trabant aus Zwickau für den Volkswagen aus Wolfsburg entschieden. Und dieser, erstmal wachgerufen, sollte sich nie mehr ändern, war am Ende, wurde proklamiert. Er wandelte sich früher von sozial zu liberal. Er integrierte den Osten nach 1989 im neoliberalen Gewand. Heute ist er digital außer in Kneipen, wo der Warenaustausch über Geld weiterhin analog stattfindet. Bestandsschutz bis zur Rente. Nicht mehr lange.

Letzte Kleine Küche 2022

Wenn Zeit bleibt, könnte es auf den Wissenschaftsseiten der Vowi zum Jahresabschluss einen Text über diesen ästhetischen Rausch am Beispiel der sieben Todsünden
Hochmut, Geiz, Wollust, Zorn, Völlerei, Neid und Faulheit geben.
Ausgangspunkt sind die Foto-Ausstellung „Wirte im Lockdown“, die Tour-Ankündigung einer Sängerin, eine Serie in der ARD „Eldorado-KaDeWe“, das Vierphasen-Model eines Fußballspieles von Louis van Gaal, natürlich mit zunehmenden Alter die eigene Vergangenheit, ein Foto, sowie dem Wunsch mit einer Tätowierung das neue Jahr zu beginnen.
Aber erstmal schnipple ich mit Kolo Fabuani Rotkraut.

Im nächsten Jahr am 03.01.23 geht’s weiter.
Die Vowi hat am 24., 25., 26.12.22 und am 01.01.23 zu.
Am 28. und 31.12. gibt es -aus gutem Grund- geschlossene Gesellschaften.