Sonntag, 26. Januar 2003

Dies träumt der Koch, wenn er tagsüber das Essen für den Abend vorbereitet und es am nächsten Tag zu großen Teilen wieder wegwirft, weil die Gäste doch nur Pommes, Spaggies mit Pesto oder Rindswurst bestellt haben:

Es fängt ganz harmlos an. Daß es in einer Orgie endet, ahnt man nicht, wenn zur Begrüßung in der volkstümlichen Gaststätte je ein Dutzend dicke Scheiben Fleischwurst und Salami serviert werden. Natürlich kostet man viel zu viele von diesen Appetithäppchen für Schwerathleten, es schmeckt einfach zu gut. Dann kommt ein fabelhafter roher Fleischsalat, ein Tartar der Luxusklasse aus den besten Stücken des Rinds, nur mit Öl, Pfeffer und Knoblauch angemacht. Dann ein weiterer kalter Salat aus gekochten Fleischstücken, Steinpilzen und weißen Bohnen, der schwer wie ein Goldbarren im Magen liegt. Dann ein russischer Salat mit Anchovis, der ganz Sibieren satt machen könnte. Und dann erst ist der Vorspeisenregen des großen, vollständigen Menüs zu Ende. Bevor man zum eigentlichen Höhepunkt des Gipfels dieser Küche vordringt, ist noch die Pasta an der Reihe: ein Teller mit fabelhaften hauchdünnen Bandnudeln, die mit wahnwitzigen dreißig Eigelben pro Kilo hergestellt und von einer extrem verdickten, sirupartig eingekochten Fleischbrühe begleitet werden – sie sind ein Gedicht.
Jetzt müßte eigentlich Schluß sein, doch es geht erst richtig los: Das riesige Tablett mit dem eigentlichen Hauptmenü wird hereingetragen, und die feinschmeckerischen Augen weiten sich vor süßem Entsetzen. Denn auf dem Tablett türmt sich ein Gebirge aus Fleisch, das stundenlang in riesigen Töpfen geköchelt hat – glänzende Schwarten und Schwänze, monumentale Schulter – und Rippenstücke, komplette Kapaune und Kalbsköpfe, feiste Würste in Schweinfüßen, und als schlaffe, rosafarbene Masse liegen ganz Zungen dazwischen. Es sind Portionen für Schlemmermäuler, die einen Hang zur Freßsucht haben, es ist ein Schlachtfest, ein kulinarischer Ausnahmezustand…
Obwohl man nun wirklich nicht mehr kann, folgen als Süßspeise der großartige Schokoladenmousse und dann auch noch der Käse, ein Mordstück aus den unweit liegenden Bergen etwa, der seit tausend Jahren nach dem selben Rezept hergestellt wird. Und dann endlich der Grappa, der mit Mandarinen, Feigen, Rosmarin und Lorbeer angemacht ist, nach acht herrlichen, erschöpfenden Gängen, nach einer wundervollen Reise durch diese Küche, hat man das Gefühl, sich an einem einzigen Abend den gesamten Winterspeck zugelegt zu haben. Und man ist der festen Überzeugung, daß man nie mehr, nie wieder irgend etwas essen wird.

PS: Natürlich gab es noch einen Espresso, der einen haselnußbraunen Schaum mit einem Stich ins Rötliche hatte. Der Schaum bestand aus feinen Bläschen, die aber dennoch das Gewicht von Streuzucker zu tragen vermochten.

(fast alles geklaut aus der FAZ)

IM Vowi