Kategorie: Drei, vier 🐵 aus der Vowi

Ein Roman über die Vowi, wenn er fertig ist.

Vor vierzig Jahren

1. Teil
Vor vierzig Jahren war die Welt nicht so viel anders.
Ein gewichtiger, eigentlich der wichtigste Präsident damals hatte vor seinem Amt eine Karriere als mittelmäßiger Schauspieler. Politisch, in seinem Auftreten und in seiner pausbäckigen Beschränktheit die Welt erklärend, stand er für all das, was man, wenn man doch mal erwachsen wird, nie sein wollte.
Der sich weiter im Osten befindliche, also der andere wichtigste, nicht Präsident, sondern Generalsekretär benannt, hatte ein nicht zu überhörendes Alkoholproblem und sollte bald sterben. Bei ihm wurden eigentlich alle, die sich gegen ihn äußerten, irgendwie bestraft. Im Bestrafen gab es dort eine lange ausgeklügelte Tradition, aber manche der jungen aufmüpfigen Leute, von denen gleich noch die Rede sein wird, taten so, als ob das ein zwei schwerwiegende Ausnahmefehler gewesen wären, die eben mal passieren, aber eigentlich sei doch vieles richtig und damit gut.
Es wurde damals extrem viel Geld für Rüstung ausgegeben. Man schreckte vor nichts zurück, um sich gegenseitig zu gruseln, dass einem der andere nichts tat. Schlussendlich, weil man manchmal keine kleineren Länder fand, wo man sich stellvertretend bekämpfen konnte, verlagerte man dieses Gleichgewicht des Schreckens in das Weltall.
Ein paar Jahre später, aber noch lange vor unserer Zeit, gab es den letzten Generalsekretär, der sah ein, dass man kein Geld mehr hatte, um all die Waffen zu bezahlen und dass es längst sinnentleert geworden war, wie sein Staat sich erklärte und existierte. Er zerfiel. Löste sich aber nicht auf. Vielmehr wurde er zunehmend beleidigter in seinen Resten. Vielleicht weil er so klein war und sich von den anderen nicht akzeptiert fühlte. Diese Reste knüpfen an die ausgeklügelte Tradition des Bestrafens an und sorgen sich jetzt weniger um den Aufbau des Kommunismus in ihren Aufsätzen, als um das 3. Rom. Ihren Nachbarn versuchten sie das gleiche einzutrommeln.

2. Teil
Vor vierzig Jahren gab es noch keine Volkswirtschaft. Aber eine Kneipe an gleichen Stelle fand sich durchaus. Das junge Volk, eher aufmüpfig, ging lieber ein paar Meter weiter in den Tannenbaum und ins Flotte. Hier war sicher die Eintracht ein Thema. Sie spielte in der Saisons 81/82 gut, wobei mehr solide im Mittelfeld. International flog sie im März gegen Tottenham aus dem Viertelfinale des Europapokals raus. Die jungen aufmüpfigen Leute von damals beschäftigten weit mehr die Ereignisse um die Startbahn West oder eine Vorbereitung einer Demo gegen die Politik der USA in Mittelamerika.
In Frankfurt erhielt die Hochkultur mit der endlich wiederhergestellten Alten Oper ein zentrales Symbol. Die aufmüpfigen jungen Leute hatten natürlich damit ein Problem. Was dort, hochsubventioniert vom Staat, aufspielte, wo weniger die Eltern der aufmüpfigen jungen Leute, weil zu teuer, als vielmehr deren Vermieter in Abendgarderobe sich Mahlers 8., schrecklich schön traurig und dabei so bedeutsam, zur Wiederöffnung anhörten, brauchten sie ganz sicher nicht. Ihre Gefühle fanden sie viel besser wiedergegeben in einem Orchester, welches mit zerstörendem Lärm so stark pulsierte, dass es diese alten und neuen Bauten schier zum einstürzen brachte.
Im Schaufenster der Buchhandlung, wo im Antiquariat ein junger, leicht cholerischer Taxifahrer, der Jahre später in Amt und Würde mit zerknautschten Gesicht neuen jungen aufmüpfigen Leuten die Weltpolitik erklärte, starrten unsere jungen aufmüpfigen Leute auf den lang erwartenden vierten Band eines deutsch-deutschen Schriftstellers. Er, der mittlerweile in Vergessenheit geriet, soff sich langsam in seinem Exil auf einer Insel Pfeife rauchend zu Tode. Erst als dem Wirt seiner Stammkneipe auffiel, dass er tagelang nicht mehr kam, wurde bei dem einsiedlerischen Schriftsteller an die Tür geklopft. Als keiner antwortete, wurde die Tür aufgebrochen. Man fand ihn tot. Aber seine Bücher gab es in der Stadtteilbibliothek und sie waren voller Phantom-Schmerz nach der verkaterten Heimat, die doch irgendwo existieren muss. Entweder also, man soff sich die Erinnerung schön oder umschlich sie, scheu wie eine Katze.

3. Teil
Als dann vor vierzig Jahren die jungen aufmüpfigen Leute die Plakate sahen, dass jener Musiker am 11.06. in die Stadt kommt und ausgerecht dort spielt, wurde hin und her diskutiert. Wenn er kommt, sagten die einen, dann gehe ich auf jeden Fall hin. Wenn es einen gibt, der unbeugsam, schonungslos und politisch auf den Punkt, ohne sich anzubiedern, ist und schrecklich schöne Musik macht, die unentschieden zwischen Trauer, Zynismus und Lachanfällen schwebt, dann er. Auch an einem Ort der Hochkultur. Andere hatten vor, nach Westberlin zu gehen, um nicht zum Bund gezogen zu werden und freuten sich endlich, eine neuartige Welle von Musik zu erleben, die sie für viel klarer, direkter und somit moderner hielten als ihn. Und wieder andere drehten sich einen großen Joint, legten Musik aus Jamaica, die scheinbar vergeistigt durch Heilserwartungen, sich einfach nur Zeit ließ, weil sie später als eigentlich gedacht anfing, auf.
Beim Konzert dann, anstatt zu zuhören, verunstaltete während der Zugabe einer der jungen aufmüpfigen Leute eine amerikanische Fahne. Für ihn das Symbol des Imperialismus. Als er, wegen dem sie alle da waren, dies von der Bühne aus sah, fragte er rhetorisch gemeint, was man da mit seiner Fahne tut. Die anderen Zuhörer schrieen und pfiffen, was mehr als Zustimmung weniger als Ablehnung zur Verunstaltung gewertet werden konnte. Er, auf der Bühne, fluchte den Zuhörer an, das er sich sinngemäß zum Teufel scheren solle. Die Sache schien vergessen. Doch ihn, wegen dem sie alle da waren, sagte nach der nächsten Zugabe, man sollte doch im Zusammenhang mit der Fahne nicht vergessen, dass nicht alle Amerikaner wie ihr damaliger Präsident, der besagte ehemalige mittelmäßige Schauspieler, wären.
Lange diskutierten sie, auf dem Weg nach Hause im Tannenbaum noch vier fünf Henninger trinkend, das Konzert. Ein gerade neu eingestellter Hallenser brachte ihnen das Bier. Aber nicht, dass jener Musiker eine alte angebrannte Jimi Hendrix Gitarre spielte, dass er eine blutjunge hochintensive Band um sich hatte, er wieder einen Haufen unbekannter Lieder aufführte, er es geschafft hatte, alle neuen Stile und Moden einzubinden, zu kommentieren und all dies in einen Raum zu geben, der erfahrbar war, sondern seine Ansage zum Umgang mit der Flagge beschäftigte sie. Es ist und bleibt das Symbol des Imperialismus, meinte einer der jungen aufmüpfigen Leute. Der junge Hallenser, gerade aus dem Osten abgehauen, hörte mit einem Ohr zu. Eine Philosophiestudentin im Kolleg machte ihm schöne Augen, was er durchaus bemerkte. Wieder bei den jungen Leuten am Tisch meinte er, dass die Fahne für ihn und für viele weiter im Osten für die Idee der USA, aufgeschrieben in ihrer Verfassung, stehen würde, und die sei doch eine Grundlage. Nicht der Ex-Schauspieler als Präsident, sondern die Freiheiten, die das Gesetz garantiere, ergebe den Sinn. Die „Marseillaise“ seit doch beispielsweise vom reinen Text ausgehend sehr blutig. Aber für ihn stehe sie für… Abgelehnt! Das Sein bestimmt doch das Bewusstsein, wurde er von hinten aus dem Kolleg unterbrochen. Hör auf mit diesem sentimentalen bürgerlichen Schwachsinn. Wie soll sich ein Unterdrückter entscheiden können, wurde nachgesetzt. Der junge Hallenser, nicht auf dem Mund gefallen, antworte indem er aus seiner Schulzeit zitierte, wenn du nur deine Ketten, die dich binden, verlieren kannst, dann entscheidest du dich doch für die Freiheit. Sie ist das Wichtigste. Den Geschmack der Freiheit, ihre Süße, dabei sah er die Philosophiestudentin an, deswegen bin ich hier. Ein alter Genosse am Tresen sitzend, drehte sich um, schüttelte den Kopf und sprach, im Tannenbaum die Süße der Freiheit zu kosten, ist genauso dämlich, wie zu denken, dass die Mauer eines Tages verschwindet. Eher gibt es einen Weltkrieg, du Idiot.

Eintrittskarte Zappa Konzert 1982 in der Alten Oper

Manches ändert sich und manches ändert sich nie.
Manches ist wahr, manches erfunden.

Quellen:

Vorzeit

Zeit

Zappa und Umgang USA-Fahne während Konzert in Brüssel 14.05.82
Kommentar unter Konzert-Mitschnitt, Brüssel 14.05.82

Fotos Jordanstraße 1982

Foto Eintrittskarte Zappa, Alte Oper, late show, 11.06.82

Fotos Jordanstraße 2022
Luca mit Annas Hilfe

Romane:
Peter Kurzeck
Oktober und wer wir selbst sind, 2007
Uwe Johnson
Jahrestage, Band 4, 1983

Musik:
Frank Zappa
Ship Arriving Too Late To Save A Drowning Witch, 1982

🐒 Mach dies – besser? – nicht!, 身を隠してください

🐒 Mach dies – besser? – nicht!, 身を隠してください
Verdammt!


In seinem missionarischen Eifer hatte der Wirt als neuestes Projekt diverse Schallplattenhüllen von anno dazumal an die Kneipenwände drapiert und sie mit mäaßigen Texten erklärt. Natürlich interessierte das niemanden. Außer seinen zwei, drei Affen, denen längst die Haare ausgingen. Der Wirt wollte im übertragenden Sinn partout nicht zugeben, dass er als Rockopa Johann Strauß für wegweisender als Richard Strauss hielt.
M. las also pflichtschuldig, über manchen Rechtschreibfehler den Kopf schüttelnd, die Erklärungen des Wirtes unter den Plattenhüllen:

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 Götter in Menschengestalt

Frank Zappa, Zoot Allures, 1976
Drei Milchreis-Bubis, bieder, langweilig und selber gelangweilt, harren beiderseitig um eine Art König aus. Allerdings entspricht er nicht einem herkömmlichen König. Vielmehr ist es eine wilde Mischung aus Rumpelstilzchen, Eulenspiegel, Porno- und Rockstar. So einen will man eher nicht als Schwiegersohn haben. Aber interessant scheint er zu sein und sehr selbstbewusst. Seine königliche Pose erinnert an einen anderen König.
Die Milchreis-Bubis gehören zum Gefolge des Antischwiegersohnes. In ihrer gepflegten Langweile krönen sie den Star in ihrer Mitte. Seine Sexualität wird durch sein achtlos zusammengeknöpftes Hemd gezeigt, aber viel explizierter ist die sehr enganliegende Hose. Sie lässt seinen Penis gut erahnen. Komischerweise wirkt der sich abzeichnende Penis mehr als der breitbeinige Sitz eines Milchreis-Bubis auf den Betrachter.
Die Lesart ohne Zeitgeist im Kopf ist schwer. Heutzutage würde wohl kein Mann so enge Sachen anziehen, die seine Sexualität offenbart. Eine sich auf einem Foto halbnackt rekelnde Frau mit engen Sachen wiederum ist normal. Dieser Umgang mit männlicher Sexualität ist für 1976 nicht ungewöhnlich. Heute wirkt dies seltsam. Ein wenig losgelöst, würde ich folgendes sagen: Hier gibt es Musik eines Typen zu hören, der nicht angepasst ist. Weder im Kopf noch im Schritt. Zwar lässt es sich nicht vermeiden, mit Langweilern zu spielen, aber ich bin der Chef, oder in meinem Staat bin ich der Staat. Verdammt noch mal! Spätestens, wenn man die Plattenhülle wendet, weiß man, wie ernst die Pose auf der Vorderseite gemeint ist. Dort verrutscht sie in die balletthafte Albernheit einer Kniebeuge (demi-plié). Übertragen gesprochen grüßt der König von hinten: mit servilem Knick und blankem Hintern. Übrigens nicht zum ersten Mal!
Eine eher zeitgenössischere Interpretation von 1976 wäre so: Ich, der seit einem Jahrzehnt immer gut erkennbare Star und Meister, bin da. Mit Hilfe meiner jungen Garde hau ich jeden in die Pfanne. „Zoot Allures“ ist eine ins englische abgewandelte französische Phrase von „Zut alors“:
„Verdammt!“.

🙊Sag – besser? – nichts!, 言わざ

🙊 Sag – besser? – nichts!, 言わざ
Peinmittel


M. hatte zwangsläufig alle möglichen Stufen und Facetten von Angst kennengelernt.
Weniger privat. Da gab es nicht mehr viel seit seiner letzten Trennung. Nur C. hin und wieder.
Daran gewöhnte er sich langsam. Und an den kleinen P. bei ihm im Haus. Mit seinen Eltern verstand er sich auf einer einfachen Ebene: Fußball, Wetter, Alltagstrott. Mit dem kleinen P. war es anders. Er wirkte wie ein Schmerzmittel. Er betäubte die vielen Hinweise, dass etwas fehlte mit seiner kindlichen Weise. Dagegen ließ die Betäubung abrupt nach, wenn er wieder allein mit sich und seinen Gedanken war. Eine schreckliche süße Sehnsucht nach Familie schlich sich ein. Mutter, Vater, Kind, wobei an seinen Vater, diesen Amselmann…
-Mach mir Bitte einen Mexicana!
-Möchte noch jemand einen?

[youtube https://www.youtube.com/watch?v=TuZ7xZzGWpA&w=560&h=315]

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🙉 Hör – besser? – nicht zu!, 聞かざる

🙉 Hör – besser? – nicht zu!, 聞かざる
Tomra


Seit geraumer Zeit ließ sich die größte Nervensäge über Flaschenrücknahme-Automaten einer norwegischen Firma in Supermärkten aus. Er wisse genau, dass mittels besagter Geräte in Wirklichkeit Luft in Flaschen abgefüllt, geklaut würde, um sie nach China zu liefern, weil die dort so schlechte Luft haben. Deshalb würden die Chinesen hier, wenn sie in Europa sind, die gute Luft viel schneller einatmen, um sie uns wegzunehmen. Das sei ja nun wirklich bekannt.

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Tomra in Penny, Zeil

Fußnote:
Tomra ist ein norwegisches Unternehmen, welches u.a. Kartoffelsortiermaschinen und Leergut-Automaten herstellt. Diese stehen in vielen Supermärkten. Sie sind aktuell Teil einer neuen Verschwörungstheorie, da die Automaten weltweit zu finden sind und die Firma unspektakulär omnipräsent auftritt. Diese Automaten hätten im Inneren also weit mehr als zerdrückte Flaschen zu bieten. Der Vorwurf besteht in der oben geschilderten Episode. Dazu soll Tomra die Gesichter der vor dem Automaten Stehenden und Fingerabdrücke an den eingelegten Flaschen scannen, ordnen, auswerten und weiterverkaufen.
Und wozu sind die Kartoffelsortiermaschinen in Wirklichkeit da?

🙈 Schau – besser? – weg!, 見ざる

🙈 Schau – besser? – weg!, 見ざる
Wie der Stahl gehärtet wurde

– Habe ich schon bezahlt? –
Der Wirt nickte.
M. hörte schemenhaft die Stimmen am Tresen. Es waren die üblichen Verdächtigen.
Neben ihm allerdings saß deklamierend ein Unbekannter. Dieser wollte mit quantenphysikalischen Prozessen die Welt retten. Er wirkte mit Schirmmütze und dem erhobenen Zeigefinger wie ein Agitator. Die Schirmmütze erinnerte M. an Lenin. Ob Lenin genauso laut gewesen war? M. schaute kurz auf das Buch, welches der Unbekannte neben sich liegen hatte.
„Wie der Stahl gehärtet wurde“ von Nikolai Ostrowski. Noch nie gehört. Klang mehr nach musikalischer Schwerstarbeit oder Arbeiterbiographie…

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Fußnote:
Musikalische Neuinterpretation des Romans aus der Stalin-Zeit (1932) der Petersburger Band Shortparis:
[youtube https://www.youtube.com/watch?v=WrDEAmSb9OY&w=560&h=315]
Autor und Roman waren zwischen 1945-1989 in Osteuropa und deren sozialistischen Bruderländern Schullektüre und fleischgewordene Heiligsprechung des sozialistischen Helden. Als Namenspatron dient er noch heute. Besonders ist, dass seine eigene Leidensgeschichte nicht fiktiv war. Der Rahmen drum herum wiederum war fiktiv bzw. so, wie es sein sollte. Idealer Stoff für eine Serie.
Mit dem Sezieren von erlebter und der verordneten Wirklichkeit im Spiegel der jüngsten russischen Geschichte und Gegenwart beschäftigen sich Shortparis.
Herausragend ist ihr neuester Titel:
KoKoKo / Cтруктуры не выходят на улицы
Frei übersetzt „Kikeriki / Strukturen gehen nicht demonstrieren“
[youtube https://www.youtube.com/watch?v=cEpo3zrDXMY&w=560&h=315]

Fußnote:
Ein Beispiel, wie Strukturen reißen, indem man, trotz Lebensgefahr (als einziges strukturelles Element) sie eigensinnig unterläuft, zeigt sich an den hier besungenen „Spaziergängen“ der Band Kasta aus Rostow. Die Spaziergänge finden regelmäßig in einem Nachbarland Russlands statt. Mit einfachsten Stilmitteln wird auf eine sanfte Art geschrien.
Каста — Выходи гулять
übersetzt „ Komm spazieren!“

[youtube https://www.youtube.com/watch?v=aOnp0kfAr80&w=560&h=315]

Drei, vier 🐵 aus der Vowi

Drei, vier 🐵 aus der Vowi
Eine Lügengeschichte als Fortsetzungsroman aus dunklen Zeiten.

Lügengeschichten in dunklen Zeiten, weil in der Vowi kaum Licht brennt, sind vertrackt. Es dauert, bis sie fertig erlogen wurden.
Kochen – dabei nichts anbrennen lassen -,
aufräumen – wirklich in allen Ecken -,
alle Hilfen überblicken und beantragen – Carola-Gutschein, Stundung, Soforthilfe, Hessen-Mikroliquidität, Überbrückungshilfe, Kleinbeihilfe Hessische Gastronomie, Novemberhilfe –
und ganz allgemein das „Leben in der Gegenwart“,
was ebenso „gekonnt“ – Zitate einer großen Band – werden muss.
Deshalb gibt es vier Häppchen Lügen zum Probieren, bis es heller wird im nächsten Jahr.

🙈 Schau – besser? – weg!, 見ざる, Wie der Stahl gehärtet wurde

🙉 Hör – besser? – nicht zu!, 聞かざる, Tomra

🙊 Sag – besser? – nichts!, 言わざ, Peinmittel

🐒 Mach dies – besser? – nicht!, 身を隠してください, Verdammt!

Windmühlen

Gestern:
Hier wird nicht geschlafen! Aufwachen!
Aber morgen schreibst Du was? Ja?
Mal sehen…

Wünsche von Gästen in der Vowi
McDonaldisierung:
Saltimbocca mit Pommes
(Nach empörten Aufschrei der Bedienung, orderte der Gast ein Saltimbocca ohne alles und einmal Pommes. Er bekamm beides und diesen Vermerk.)
Verkehrte Welt:
Süße Schorle -Weißwein mit Sprite-
(Die Bedienung verzog bei der Bestellung angwiedert ihr Gesicht, brachte aber anstattslos das Getränk und diesen Vermerk.)

„Die Daddel-Windmühle oder Don Quichote hinter dem Tresen“
von Manuel de Automates Vowiedra
Darsteller:
Don Quichote und Sancho Pancho
Requisiten:
Windmühlen 1-3

Letztens saß ich -Sancho Pancho- am Tresen. Gerade hatte die Vowi aufgemacht. Ich schielte auf die anwesende Bedienung -Don Quichote- und schaute zu, wie die Gläser gespült wurden.
Don Quichote diskutierte mit dem Spielautomaten-Mensch -Windmühle 1-, welcher eigentlich das Geld des Automaten verrechnen wollte, aber nichts vorfand. Der Automat sei ja auch immer zu, mahnte er Don Quichote, da könne ja keiner spielen. Und überhaupt sei letztens ein Kollege -Windmühle 3- dagewesen, der spielen wollte. Da der Automat zu war, fragte er den anwesenden Tresenmenschen. Dieser konnte ihm aber leider nicht weiterhelfen, denn er wusste nicht, wo der Schlüssel sei. Dies wusste eh nur der Chef. Don Quichote hinter dem Tresen lächelte jetzt süßsauer. Er könne sich das nicht vorstellen. Seit Jahren würde der Automat zu sein. Alle vermeintlichen Spieler wüssten das und würden dann einfach nachfragen. Der Automat würde dann sofort aufgemacht. Außerdem hat er der Windmühle 1 bereits mehrmals gesagt, dass die Automaten nicht laufen würden, man gerne andere Automaten aufstellen würde, wenn die Windmühle 1-3 nur mal reagieren würden. Besagter Windmühle 1 meinte, dass er dies seinem Chef übermitteln wollte.
Don Quichote hinter dem Tresen watschelte ihn kurzerhand ab und sagte, dass er dies nun schon seit Monaten hören würde. Er wolle selber mit dem Chef der Windmühle sprechen. Die Windmühle 1 ließ sich nicht lange bitten und stellte durch. Noch war der Ton korrekt. Doch plötzlich schoss Wut durch Don Quichotes Stimme und er galopierte ohne Punkt und Komma der Windmühle 2 entgegen, denn jetzt sei er dran und der Windmühlen 2 -Chef- solle gefälligst ihm zuhören: Würde dieser Chef wirklich denken, dass die Bedienung kein Interesse an leicht verdienten Spielautomatengeld hätte und absichtlich die Geldritzen des Automaten mit Kaugummi verklebe? Man hätte in der Vowi keine Lust auf die oft halbkriminelle Spieler-Kundschaft, und wenn die Windmühlen 1-3 von einem solchen Klientel leben, sei dies ihre Sache. Für die Vowi gelte dies nicht. Er sehe nicht ein, sich von dem Windmühlen 2 -Chef- erklären zu lassen, dass er nicht immstande ist, das Zockerpublikum in die Vowi zu ziehen. Hier könne nur der Binding-Vertreter als höhere Instanz weiterhelfen. Guten Tag!
Die anwesende Windmühle 1 schien nicht unzufrieden zu sein. Er sagte, dass nun mal endlich klar über die Sache geredet worden ist und verabschiedete sich. Don Quichote spülte dannach weiter die schmutzigen Gläser und sagte kein Wort. Ich -Sancho Pancho- traute mir aber auch, wenn ich ehrlich bin, nicht weiter nachzufragen.

IM Pancho

I c h b r a u c h e D e i n e H i l f e, 2. Teil

I c h b r a u c h e D e i n e H i l f e, sagte sie. Ich spührte ihren Atem. Sie musste unseren 3-Euro-Wein Bergerac getrunken haben, oder hatte ich ihr nicht den etwas günstigeren Landwein aus Südfrankreich Vauclause ausgeschenkt. Der Duft nach Eichenholz vermengt mit einem Beerenaroma und einem Hauch Vanille waren unverkenbar. Was wollte sie von mir? Den ganzen Abend verzog sie keine Miene und würdigte mich kaum eines Blickes. Und jetzt im Schutze der Dunkelheit sollte ich plötzlich ihr Retter sein. Sie hielt meine Hand fest, und ihre Augen schienen zu leuchten – wenn ich ihr nur helfen würde.

M i t d e r B i t t e, i h r n u r z u z u h ö r e n, und erst nachdem sie zu Ende gesprochen hatte, etwas zu sagen, begann sie zu erzählen. Der Killer und sein Geschäftsführer hatten aus Langeweile eine Wette laufen. Getreu ihrer Meinung, dass es Liebe bzw. Gefühle nicht geben würde, und man alles, was man will, kaufen könne…Ein Geräuch aus dem Dunklen zeigte, dass wir nicht alleine waren. Ich verstaute den Müll in die Tonnen, und sie verschwand genauso schnell, wie sie mir erschienen war. Sie bestellte, nachdem ich wieder an meiner Arbeit war, ein kleines Schnitzel und saß genauso da wie vor unserem Gespräch. Die Gäste unterdessen diskutierten laut, manche stritten sich, jemand vermittelte, Betrunkene schätzten -zu späterer Stunde enthemmter- die anwesenden Frauen ab, bierselig umarmte man sich und starrte immer wieder auf einen der Fernseher, wo ein Fußballspiel gezeigt wurde.

I c h b r a c h t e i h r d a s k l e i n e S c h n i t z e l. Sie zog kaum wahrnehmbar den linken Mundwinkel nach oben. Links auf dem Boden neben ihr lag ein Bierdeckel. Ich hebte ihn unauffällig auf. Der Killer bemerkte nichts oder tat so. In der Küche -ich musste eine Rindswurst zubereiten-, las ich auf dem Deckel zwei unleserliche Namen, die Zahl 100 und das Wort nackt. Auf der Rückseite fand ich eine Uhrzeit weit nach Mitternacht und den Namen eines Clubs im östlichen Teil der Stadt…

(Hier fehlt ein Stück Text bzw. Bierdeckel.)

…I c h h ö r t e l a u t e M u s i k als ich den Club mit einiger Mühe gefunden hatte. In dem kellerartigen Gewölbe spielte eine Band und mehrere hundert, zumeist junge Leute lauschten der Darbietung. Die Band mit dem Namen Caliban machte im eigentlichen Sinne keine Musik. Eher erinnerte das ganze an Baulärm: ein Stromgenerator, zwei Vorschlaghammer und eine Betonschneidemaschine hätten den selben Lärmpegel. Der Vorarbeiter schrie und grunzte dazu Kommandos. Das einzigste, was sich änderte, war der Takt: Entweder wurden die Steine einzeln oder triolisch zerschreddert. Ich wollte nie zum Bau…Mir schwanden die Sinne, und nachdem ich meine Brille geputzt hatte, erkannte ich sie: Der Killer stand links und hielt seine Gitarre wie ein Schwert nach oben, sein Geschäftsführer krümmte sich und schüttelte unablässig seinen Kopf, am Schlagzeug saß die erste der vier Frauen, am Bass die zweite, am Mischpult die dritte und vorne auf der Bühne stand nackt, das Allernötigste mit insgesamt vier Ein-Hundert-Euro-Scheinen bedeckt, mein Geheimnis…ich wollte nach Hause -nicht in die Planwirtschaft-, denn…
Hat der die Gegebenheiten umbildende und überholende Mensch sich erfasst und das Seine ohne Entfremdung in realer Demokratie begründet, entsteht in der Welt etwas, das allen in die Kindheit scheint und worin noch niemand war: Heimat.

Hier hört(en) der Text bzw. die Bierdeckel, die ich fand, auf. Vieles bleibt seltsam unklar bis vielleicht auf das kleine Schnitzel:
Kann man statt Heimat auch Vowi-Heim sagen?
Wie lautete die Wette?
Was hatte der Killer damit zu tun?
Woher stammt das Wort Caliban -ihr Anglisten dieser Welt?
Warum benehmen sich die Gäste in einer Kneipe nach Mitternacht anders als davor?
Warum wollen gerade Frauen gerne nur eine kleine Portion oder wollen von ihrem Gegenüber, wenn sie nichts bestellen, wenigstens einmal kosten?
Hat der 1959 sechsjährige Frankfurter Bub bei der Wiederholung des Meisterschaftsspiels Kickers-Eintracht am Samstagmorgen in der Vowi seinen damals im Stadion anwesenden Vater wiederendeckt?
Wie alt ist Klinki -alles Gute zum Geburtstag!- eigentlich geworden?
Über wieviel Tore kann man sich im Stadion richtig freuen?

IM Bierdeckel

I c h b r a u c h e D e i n e H i l f e

Oft wird in der Vowi (auch vor der Vowi) etwas liegen gelassen. Letztens gab mir Karsten ein paar vollgeschriebene Bierdeckel (welche die Vowi immer bei ihrem Getränkelieferant bestellt mit der Aussage Bierdeckel mit möglichst viel Weiß), die auf der ersten Fensterbank lagen. Entweder sind sie eine Art Tagebuch oder eine Art Krimi…Keine Ahnung!
Irgendwie kam mir aber aus Karstens und Veras Erzählungen einiges bekannt vor. Muss Zufall sein!

K e i n e r h a t t e i h n e r w a r t e t – schon gar nicht um diese Uhrzeit, noch mit dieser Begleitung. Er trug slipperartige Schuhe, ein schwarzes Hemd und eine viel zu kurze Trainingshose. Die Haare waren mit Pomade nach hinten gelegt. Natürlich war er sauber rasiert. Die vier Frauen an seiner Seite rauchten ununterbrochen und flirteten aus Langeweile mit seinem Manager, der -so war es mir zu Ohren gekommen- alles „Geschäftliche“ regelte. Der Killer selber sprach nie ein Wort. Manchmal stolzierte er wie ein eitler Pfau auf und ab, machte merkwürdige gymnastische Übungen und setzte sich wieder hin. Er bestellte wortlos noch ein Getränk und steckte sich ein Zigarette an. Der Killer bevorzugte eine exotische Marke, Balakover, die er sich für viel Geld aus Bulgarien besorgen ließ.

S e i n e A u g e n b l i n z e l t e n m i c h a n. Gerade hatte ich das sechste Getränk auf seinen Deckel notiert. Wollte er etwas essen? Dies kam sehr selten vor. Ich fing an, ein ungutes Gefühl zu kriegen. Sein Manager, ob es abgesprochen war oder ob er mein Unbehagen spürte, versuchte mittels eines Witzes das Schweigen zu überbrücken. Bereits vor der eigentlichen Pointe in ein durch Husten ersticktes Lachen fallend, erzählte er allen am Tresen, egal, ob sie es hören wollten oder nicht, dass es bis heute keiner weiß, was der Killer mal gelernt hatte oder auch nicht. Vielleicht war er immer schon ein Killer. Man könnte sich doch schließlich nichts anderes vorstellen. Ich nickte, nicht nur um meine Ruhe zu haben, sondern gab ihm ebenso in meinem Inneren recht. Der Killer war bis auf die Trainigshose ein geborener Killer. Wertfrei, besser eiskalt führte er seine „Arbeit“ aus. Alle Gefühle, den Anschein jeglicher Emotion vergrub er tief in seinem Inneren. Sie störten womöglich seine Arbeit. Die vier Frauen, seine vier Frauen, sahen bei diesem Gespräch aus wie die drei Affen: nichts sehen, nichts hören, nichts reden. Nur die vierte Frau, vielleicht angwidert oder aus Angewohnheit, saß mit ständig nach unten gezogenen Mundwinkeln da, so als ob sich ein Pubs quer gelegt hätte.

W a s w o l l t e d e r K i l l e r v o n m i r ? Mir vielleicht ein Zeichen geben, dass ich der Nächste bin. Ich sollte fliehen? Aber warum sollte er mir dies vorher signalisieren. Gerade er, der nach Perfektion strebt und sein Radler auch in jeder anderen Kneipe trinken hätte können. Und wer hätte ihn beauftragt: ein Gast, dem ich nicht schnell genug seinen heißen großen Kakau mit Sahne gebracht hatte oder die Besitzer der umliegenen Lokale, welche einen missliebigen Konkurenten aus dem Weg räumen wollten. War es die Binding -Radeberger- Dr. Oetker, weil die Pacht nicht pünktlich vom Konto angewiesen wurde. Verwechselte mich der, welcher vor dreißig Jahren Dr. Oetker entführte, ganz einfach. Mein Kopf fing an zu pochen. Ich brauchte frische Luft und ging über die Küche, unbemerkt von den Gästen, in den Hinterhof. Natürlich hatte ich den Papiermüll mitgenommen, um ihn in die richtige Tonne zu entsorgen, als sich mir bei einer jähen Wendung zurück eine Person in den Weg stellte. Ich erschrak fürchterlich und sackte schon ein wenig zusammen in Erwartung eines Schlages. Die Stimme der schattenhaften Person und ihre rotlackierten Fingernägel ließen mich plötzlich aufrecht gehen. Es war die vierte Frau mit den runtergezogenen Mundwinkeln. Sie musste auf dem Klo gewesen sein, um dort durch das Fenster in den Innehof zu gelangen.

I c h b r a u c h e D e i n e H i l f e, sagte sie…

IM Bierdeckel