Sonntag, 16/09/2001



Ich hab‘ heute was persönliches zu schreiben:
Ich denke in den letzten Tagen auch an unsere wenigen amerikanischen Gäste oder an Leute, die jemanden kannten, die am Dienstag in den USA getötet oder verletzt wurden. Und ich finde es bescheuert und taktlos, daß einige sich dahingehend äußern, daß es den Amerikanern ganz recht geschehen ist. Wenn Leute aus Palästina, Israel, Libanon oder Algerien so etwas sagen, könnte ich es vielleicht noch verstehen, wenn sie dabei meinen, daß es jetzt den Amerikanern so ergeht, wie es ihnen seit Jahren. Ich würde mir es nicht getrauen, soetwas zu sagen. Außerdem sind wohl auch hunderte Deutsche getötet wurden, die vielleicht auch für Deine Bank gearbeitet haben.
Auf der anderen Seite finde ich die Betroffenheitswelle und die Berichtererstattung über das schreckliche Ereignis merkwürdig und unseriös. Klar steht uns die USA näher als der Sudan oder Liberia; und die ewigen linken Mahnungen, die anderen Übel dieser Welt nicht zu vergessen, sind manchmal nervend. Dennoch sterben an Hunger und Wassermangel viele viele Menschen in Afrika. Durch Bürgerkriege beispielsweise in Norduganda und dem Südsudan, Kongo, Liberia und Sierra Leone kommen tausende Menschen um oder sie überleben als Krüppel, als ehemalige Kindersoldaten oder als Vergewaltigungsopfer. Ich will hier nichts relativieren und auch nicht vergleichen: nur ist für diese Menschen die Welt schon lange nicht mehr so, wie sie einmal war.
In unseren Zeitungen und auf allen Kanälen werden wir minutiös über alles unterrichtet. Und auch wenn nichts passiert oder sie es einfach nicht wissen, dann wird spekuliert, gemutmaßt, laut gedacht, Unbehagen geäußert oder Fragen formuliert, die schon eine Anwort implizieren. Die FR schreibt in riesigen Lettern auf der Titelseite, die Bild-Zeitung überbietet souverän alles mit ihren Titelsprüchen und im TV fühle ich mich schon als wäre Krieg. Dazu kommt noch der Präsidend der USA. Er wirkt so hilflos. Er scheint mir vollkommen überfordert, will aber dabei ganz stark sein. Ich habe ebenso Zweifel, ob ihm klar ist, wieviel Porzellan er zerstört mit seinen Worten und Gesten und ob ihm klar ist, daß weder der Börsenmakler im World Trade Center noch die Tschadorverkäuferin in Kabul „Kollataralschäden“ sind.


Karsten