Man hat schon Pferde vor der Apotheke kotzen sehen!

Man hat schon Pferde vor der Apotheke kotzen sehen!
oder
Einmal ist keinmal!

Es gibt diese schwer in Worte zu fassenden unterschiedlichen Befindlichkeiten von Menschen. Man könnte sie ebenso Gruppenidentitäten nennen. Beispielsweise Befindlichkeiten von Leipzigern oder von Ostdeutschen oder von Protestanten oder von Gästen der Vowi oder von Fußballfans. Die unterschiedlichen Befindlichkeiten sind nicht leicht zu erkennen. Wie zwei völlig getrennte Systeme verlaufen sie nebeneinander. Und doch gibt es ganz unten in den Tiefen der menschlichen Befindlichkeiten seltsame Kanäle.
Sie schaffen Verbindungen, die man kaum glauben mag.

Man hat also schon Pferde vor der Apotheke kotzen sehen, meinte mein alter Mathe-Lehrer. Er wollte mich loben, weil ich in Mathe einmal eine bessere Zensur geschrieben hatte als gewöhnlich.
Ein andere Lehrer im Fach Werken demotivierte unsere Befindlichkeiten, gute Zensuren zu schreiben sowie Respekt und Toleranz zu lernen mit dem Satz: „Dir ham se wohl Dumm-Bulver in‘ Gaffee geschüdded!“ Das klang auf sächsisch, als ob sich ein Eimer zähflüssige Gülle über einen ergoss.

Die Rebellion von Teilen meiner Generation von vor 1989 in der DDR lässt sich mit den Worten und den Bauchschmerzen, die angeblich Luther auf dem Reichstag in Worms 1521 gesagt und gefühlt haben soll:
„Hier stehe ich. Ich kann nicht anders!“, auf den Punkt bringen.
Genau wie Luther waren wir bereit, an eine bessere bzw. erlösende Zukunft zu glauben. Dies einte ihn und uns mit den Herrschenden. Mehr aber nicht. Gemeinsam in die Zukunft wollten wir nicht mit ihnen gehen.
Der amerikanische Komponist und Musiker Frank Zappa stellte 1984 in Zeiten des konservativen Präsidenten Ronald Reagan die rhetorische Frage „Them or Us“. Er ließ sich mit einem Koch-Handschuh ablichten. Offensichtlich wurden ihm Dinge zu heiß, um sie noch anzufassen bzw. sie im übertragenen Sinne auszusprechen. Wir, Frank Zappa und Martin Luther konnten diesen Weg nicht gemeinsam mit der Staatsmacht gehen. Das wäre unsere Selbstaufgabe gewesen. Wir hätten Reue zeigen und unseren Idealen abschwören müssen. Wir hätten mit dem Teufel, Ronald Reagan oder dem DDR-Staat paktieren müssen.

Wer sich nun fragt: „Was soll das?“, den möchte ich auf einen Artikel in der taz hinweisen.
(Unser ehemaliger Kollege Jörn gab mir netterweise diesen Hinweis.)
Darin werden die beiden Ostberliner Fußballvereine Union und BFC auf ihre Befindlichkeiten von früher bis heute abgeklopft. Heraus kommt ein tiefenscharfes Bild, wie unterschiedlich man sich als ostdeutscher Fußballfan, vielmehr als Ostdeutscher, fühlen kann. Der Glaube an einen erfolgreichen Fußball eint. Aber der Weg dahin und die Erinnerung an die bereits erwanderten Wege trennen rigoros. Während die einen bald 30 Jahre nach dem Ende der DDR immer noch mit museumsreifen oder verbotenen Fahnen und Parolen ihre Mannschaft nach vorne brüllen, beseelen sich die anderen an ihrer eigenen Nischen-Identität als Schwan im Fußball-Haifisch-Becken.
Im taz-Artikel werden die Befindlichkeiten auf der Zeitachse vor und nach 1989 feinjustiert. Der eine Verein versuchte in der DDR zu überleben in einer mehr oder weniger großen Nische. Hat dadurch Eigensinn bis heute bewahrt. Der andere Verein überlebte die DDR nur, weil er bis heute in einer demokratisch garantierten Nische die gute alte Zeit hochleben lassen kann und dazu ein Umfeld hat, das gerne an noch frühere Zeiten anknüpft.
Ob dies alle Fans beider Vereine so unterschreiben würden, weiß ich nicht. Sicher ist hier Vorsicht geboten. Am Beispiel der Eintracht aus Frankfurt, die neuerdings einen politischen linken Ruf genießt, kann zumindestens ich ganz andere Erlebnisse berichten. Aber nicht heute. Später.

Es gibt zwischen Union, Dynamo (nicht Dynamo Dresden) und mir durchaus Kreuzungen, an denen wir uns hätten treffen können. Nur sind wir in gegensätzliche Richtungen gegangen.

Um 1977 unternahm ich als 11jähriger ein Klassenausflug von meiner Heimatstadt Leipzig nach (Ost-)Berlin. Wir besichtigten so dies und das, was ich längst vergessen habe. Nur ein Foto ist übrig. Es zeigt im Stechschritt paradierende Soldaten vor der Alten Wache nicht weit vom unerreichbaren Brandenburger Tor Unter den Linden.

 

 


 

Bis vor kurzem dachte ich, diese Soldaten gehörten einer Einheit des Ministeriums für Staatssicherheit, dem Wachregiment „Feliks Dzierzynski“ an. Stimmte nicht. Es war das der Nationalen Volksarmee unterstellte Wachregiment Friedrich Engels. Ist auch egal. Mit 11 Jahren fand ich diese Stechschritt-Kanonade erinnerungswürdig. Also fotografierte ich. Wenige Jahre später war ich alt genug zu unterscheiden: Die oder Wir.
Der unwesentlich ältere Präsident von Union Berlin leistete sein Wehrdienst nicht in dieser Stechschritt-Einheit, sondern im der Stasi unterstellten Wachregiment „Feliks Dzierzynski“ ab. Im Interview mit 11Freunde 2011 begründet er diese Entscheidung mit der Ahnungslosigkeit seines jugendlichen Alters. Weiterhin erklärte er, dass er in seiner Heimat Berlin und nicht in einem anderen Teil der DDR die drei Jahre Armeezeit ableisten wollte. Schließlich war ihm nicht klar, dass er damit Teil der Stasi wurde, wie er überhaupt in dieser Zeit die Stasi nicht so wie nach der Wende, einzuschätzen in der Lage war. Das ist meiner Meinung nach übersetzt in unsere Zeit, als ob man gegen Waffenexporte demonstriert, aber bei Heckler & Koch das Sturmgewehr HK G36 montiert.
Im Wachregiment „Feliks Dzierzynski“ seinen Wehrdienst zu leisten (offizielle Sprachreglung), was umgangssprachlich „zur Asche gehen“ genannt wurde, war kein alltägliches „ein bißchen Geben und ein bißchen Nehmen“ mit der Staatsmacht. Dies war eine bewusste Entscheidung, den DDR-Staat mit der Waffe in der Hand zu verteidigen. Meine Meinung!
Beim BFC könnte man so etwas bis heute „abfeiern“. Denn dieser BFC war der Fußballklub der, massiv protegiert vom Staatsministerium für Staatssicherheit, jahrelang DDR-Fußball-Meister wurde. Bei Union, und speziell seinem Präsidenten, sieht man die „alten Geschichten“ als einen kleinen Teil seiner bzw. einer normalen DDR-Biographie.

Meine Geschichte ist eine andere.

Vorwärts und nicht vergessen!
oder
Das wussten doch alle! Nu’ hab’ dich nicht so!