Glaube

20 Jahre voll mit Geschichten aus der Volkswirtschaft
Nr. 5: Glaubensspiele

„Hallo Mike! Stimmt es, dass der Wittmann, na‘ von dem Weingut, eine hübsche Tochter hat? Ich nehme erst mal den Riesling vom Wittmann.“

Der Fußball im TV, neben den mitternächtlichen Gesprächen am Tresen, gibt den Takt der Kneipe vor. Er ist eine unerschöpfliche Quelle und ein Fixpunkt. Die aktuellen Spiele stehen im Mittelpunkt, wobei vergangene Siege wie Niederlagen allgegenwertig sind. Einige Gäste gelten als Experten. Sie können Ort, Datum, Aufstellung, Torfolge und besondere Begebenheiten eines Spieles aufsagen – vielmehr runterrasseln.
Immer gab es in der Kneipe Bundesligafußball, der über einen Bezahlsender (Premiere, Arena, Sky) am Anfang auf zwei TV-Geräten am Tresen und mittlerweile auf einer Leinwand über einen Beamer zu sehen ist.

1998. Kein Beamer. Alle schauten auf die beiden Fernseher am Tresen

1999. Kein Beamer. Alle schauten auf die beiden Fernseher am Tresen. Besonders 3. v. links Micha, Hannes u. Bärbel.

Der Fußball ist in der Mehrzahl der Spiele scheinbar eintönig und aus Eintracht-Sicht eine lange Reihe von zu vielen Niederlagen oder mäßigen Unentschieden. Allerdings gibt es, und dies weiß der erfahrene Fußballfan, immer die Möglichkeit des Sieges. Diese Hoffnung bewirkt, dass die Emotionen aufgestaut werden und bei Siegen in voller Wucht ihren Ausdruck finden.

1998: Kai und Anke, rechts ist Till. Ihr Fanklub feiert jedes Jahr in der Kneipe bis heute.

1999. Kai und Anke, rechts ist Till. Ihr Fanklub feiert jedes Jahr in der Kneipe bis heute.

1998. Ihre vier Kinder sind natürlich auch Eintracht-Fans.

1999. Ihre vier Kinder sind natürlich auch Eintracht-Fans.

1998. Martin (Hausi) und Eggo. Der eine wohnt mittlerweile in der City-West, der andere auf seine Yacht.

1999. Martin (Hausi) und Eggo. Der eine wohnt mittlerweile in der City-West, der andere auf seiner Yacht.

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1999. Umrahmt vom belustigten Joe und vom gelangweilten oder leicht angewiderten Boris gibt es den Bauchkuss.

Das Mitleiden und das Bejubeln ist das wahre Geschäft des Fans. Er leidet und jubelt, aber nur für seinen Verein, immer und ohne Unterlass. Nur selten wechselt er den Verein und wenn dies geschieht, hat er es schwer bei den anderen Fans. Ein geflügeltes Wort eines sehr ruhigen, aber nach einigen Litern Bier wortgewaltigen Fans lautet, dass man sich von der Frau trennen kann, von seinem Verein dagegen nie. Deshalb ist Fußball für viele in der Kneipe eine ernste Sache.

Ich werde seit dem Aufstieg von RB Leipzig immer wieder gefragt, ob ich mich darüber freue als Leipziger. Ich antworte: „Als dort Geborener und neutraler Fußballfan ja, als Eintracht-Fan und Pseudolinker nein.“
Wenn Dynamo Dresden erfolgreich spielt, werde ich auch gerne befragt, wie ich dies als „Denn du kommst doch von dort!“ finde. Ich antworte, dass ich aus Leipzig – das etwa 100 km von Dresden liegt- komme und mein Gegenüber sicher kein Kickers Offenbach-Fan ist, was ja noch näher an Frankfurt liegt, nur weil er im Rhein-Main-Gebiet geboren wurde.

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2012. Joni verkleidet als „engagierter“ Eintracht-Fan.

Mein Coming out als Fußballfan war die Siegesserie der Eintracht zum Ende der Saison 1998/99 inklusive Klassenerhalt.

In einem fast religiös anmutenden Taumel erlebte ich die Gäste der Vowi. Luther hätte seine Freude gehabt. Das Verhalten unserer Gäste entsprach durchaus seiner Theologie, die ich jetzt etwas dreist auf den Fußball sehr vereinfachend runterreiße:
Allein Jesus Christi Kreuzigung ermöglicht uns Menschen die Möglichkeit des Heils.
-Die Existenz der 1. Liga.-
Allein durch die Gnade Gottes, ohne unser Zutun, wird Erlösung vergeben.
-Der Gewinn der Meisterschaft.-
Allein durch Glauben können wir leben in der Hoffnung auf Erlösung.
-Fan von einer Mannschaft zu sein ohne aktives Zutun.-
Allein die Bibel dient als Quelle von Gott.
-Leben mit allen Schiedsrichterentscheidungen-
Diese bedingungslose Hingabe, Leidenschaft und Hoffnung im Glauben ohne die Sicherheit auf Erfolg (lutherisch übersetzt Erlösung durch Gott), diese „Feste Burg ist unser Gott“ (unser Glaube an die Eintracht) haben mich zum Fußball – und zum Fußballfan konvertieren lassen.

2016. Damals war ich noch jünger.

1977. Früher war ich jünger.

„Danke! Der Wein ist viel zu billig. Ich nehme noch einen.“