Lieber Leander Haußmann, Sven Regner und Christian Ulmen,
Euer Film Herr Lehmann sollte den Bockenheimer Oscar bekommen (Bockenheim ist der Stadtteil in Frankfurt am Main, in dem sich unsere Kneipe befindet). Auf jeden Fall wird er der offizielle Volkswirtschaft-Film werden, denn die Mühsal, eine Kneipe zu beschreiben – die berühmten drei Fragen (Wieso? Weshalb? Warum?) zu beantworten, ist in Eurem Film eindrucksvoll gelungen. Hier die Begründung:
Am schönsten war, daß immer irgendwie Bier getrunken wurde, als ob es das Normalste der Welt sei. Es wurde nie hinterfragt, nie wurde die Schalheit von abgestandem Bier in Erinnerung gerufen, noch (Entschuldigung) der bekannte Bierschiß auch nur angedeutet, noch dass man von Bier, auch wenn man es gewöhnt ist , dennoch besoffen wird. Auf den Gipfel treibt es der Freund und Kollege von Herrn Lehmann, -Detlef- der ernstlich immer wieder irgendwelche Chips allen möglichen Leuten aufquatschen will wegen der Elektrolyte.
Am zweitschönsten waren die herrlichen absurden Szenen am Tresen. Diese gibt es wirklich und eigentlich fast jeden Abend. Das Tagebuch auf unserer Kneipen-Homepage beschreibt sie in schöner Regelmäßigkeit. Da stehen und sitzen zumeist irgendwelche Jungs und unterhalten sich kreuz und quer und in vollem Ernst über irgendwelchen Schwachsinn. Sie vermissen beispielsweise einen anderen Gast, der scheinbar als einzigste identitätstiftende Eigenschaft den Spitznamen Kristallweizen-Jürgen hat. Er ist wohl tot und was von ihm bleibt, ist, dass er jahrelang Kristallweizen getrunken hat.
Es gibt zwei Szenen, die in wenigen Sätzen und in sparsamer Dramatik alles auf den Punkt bringen. In der einen spielt Thomas Brussig einen DDR-Zöllner, der Herrn Lehmann unterstellt, Geld in die DDR zu schmuggeln. Dabei redet er so gestelzt und konstruiert, daß er die Situation ins Absurd-Lächerliche führt und damit auch die ganze DDR. In der zweiten Szene, Herr Lehmann und einige andere merkwürdige Gestalten sitzen in einer Kneipe, trinken und starren still vor sich hin rauchend, kommt eine abgetakelte Frau mit langen fettigen Haaren herein und will ein Bier und einen Klaren. Der Wirt fragt nach, ob sie Geld dabei hat, sie bejaht und der Wirt schenkt aus. Sie gießt sich den Klaren ins Bier und fragt nach, ob es die anderen schon mitbekommen haben, dass die Mauer offen ist. Die amruntergekommenste Person in der Kneipe muß den anderen mitteilen, was draußen (wahrscheinlich ein paar Meter weiter) passiert. Und anstatt sofort loszurennen, wird der Fernseher angeschaltet, und als man wirklich davon überzeugt ist, geht auch Herr Lehmann nach draußen. Jetzt, als ihm bewusst wird, dass sogar etwas Unendliches wie die Mauer eine Ablaufzeit hat, beschließt er nicht mehr in einer Kneipe zu arbeiten. Vielleicht nicht gerade ein neues Leben anzufangen, aber dennoch von dieser Bühne abzutreten. Schade, Herr Lehmann, aber natürlich hat er vollkommen Recht, denn wie sagte schon ein Kollege unweit der Volkswirtschaft: aller fünf Jahre sollte man die Kneipe (das Konzept) ändern, sonst läuft es sich tot – vielleicht hat er Recht – global gesehen, aber bei uns in Bockenheim?
Übrigens kann man Herrn Lehmann auch in Bockenheim treffen. Er hat diese ähnlich charmant-ernste Art, die seiner ein wenig gedungenen Haltung Würde verleiht. Die fatalistische Traurigkeit, welche seinen Blick müde lächeln lässt, ist nur ein Schutz vor seinem Job. Dieser ist vom Grundsatz einfach. Aber auf der Bühne, die sich ihm jeden Abend öffnet, gibt es eine Art unendliche Fortsetzung von Laiendarstellern, die Shakespeare aufführen. Dabei kann er mitmachen oder einfach nur staunen.
Prost – Herr Lehmann!
IM Vowi