Kategorie: Schönheit
L’art pour l’art – die Kunst um der Kunst willen
Petite Cuisine, 17.06.21
Der mispelche Fußabdruck auf dem Berger Rücken
Ganz nahe beim Mispelbaum
fing man in einem kosmischen Raum
einen Kauz,
oder war es eine Laus?
Ich weiß es nicht mehr,
ist zu lange her.
Frau Rauscher trug nun den Kauz nach Haus
und setzte ihn raus,
nicht auf ihren Schenkel,
wo denkst Du hin?,
auf einen Zweier-Bembel.
Seitdem schwirrt er umher,
vieles ist schwer,
er wird immer dicker
und postet dem Ermittler:
„Die Mispeln beim Keltern des Apfelweins
machten ihn klar, sauber und rein.
Heute wird wenig geküsst,
Dafür stundenlang getwitcht.
Jeder weiß alles besser
und sucht im Lokalen nach besseren Wetter.
Regional soll es Bitteschön sein.
Bodenständig mit einer 0 auf der Schale und
Energieeffiziensklasse 1.
Wo sind sie geblieben ach’ diese Mispelchen?
Ich sag’s euch als trauriger Kauz,
kosmisch gesehen nicht mehr als ne’ Laus:
Sie werden östlich der Wüste Gobi verpackt.
Umgeben von Seltene Erdchen, Bitcoin-Minern,
E-Autos und fernöstliche Dosen-Designern.
Seismographisch unbedenklich
als lokales Getränk höchst bekömmlich.
Auf die Eintracht!
Auf die Laus !
äh ich meine,
den 猫头鹰 hier im Haus!“
Petite Cuisine, 08.04.21
Kaum vorstellbar, ich habe nichts weiter zu berichten. Nichts erlebt. Bei Briefwechseln, Mails und Gesprächen mit der Agentur für Arbeit, der Radeberger Gruppe oder dem Forstamt Wolfgang-Hanau ging es um Arbeitszeitkonten, Vertragslaufzeiten und Kilopreise.
Ganz anders verhielt es sich mit der Entourage der Künstlerin. Unweit der Kneipe, gleich und die Ecke im „Doktor Walnussbaum“ verfolgte die Entourage mit Abstand und Maske an den Schaufenstern der Galerie die Vernissage ihrer neuesten Werke. Es war nur nichts zu sehen. Anstatt eines künstlerischen Gegenstandes hingen USB-Sticks an den Wänden. Mittels eines QR-Codes auf den Schaufenstern konnte man sich über die Luca-App, die mittlerweile wirklich jeder hatte, verbinden lassen und erhielt Zugriff auf Bilddateien. Das erste Bild „Ausschankverlust“, beispielsweise, bestand aus Fotos von 1825 getrunkenen Bierflaschen (in fünf Jahren täglich eine), die sie montiert zu einer großen Datei präsentierte. Andere Dateien waren Videos von etwa 10 Sekunden. Gesponsert von der Eintracht zeigte diese die verfremdeten Gesichter einzelner Fans bei verunglückten Aktionen irgendwelcher Spieler des Vereins. Die Künstlerin nannte die Videos „Zweifel im Glauben“. An allen USB-Sticks stand Non-fungible Token. Die Entourage verstand nichts, war bedient. Dennoch wagte keiner ein Wort. Die Künstlerin lächelte.
Petite Mythes, 11.02.21
Bratwurst, Weißkraut und Kartoffeln. Als Variante dazu Rotkraut, Hackbraten und noch einmal Getzen. Fleisch, Eier und sehr viel Gemüse sind Bio.
Das Weißkraut ist gekauft. Verfeinert mit Apfelsaft und Gewürzen. Sauer, wie sein Name, soll es schon sein. Ob zu sauer oder nicht sauer genug diskutieren wir. Nichtsdestotrotz bleibt sein hoher Gehalt von Vitamin C, welches neben Vitamin D (natürlich nicht Form von Weißkraut) laut der Fachgruppe COVRIIN am RKI als mögliche supportlive (medikamentöse) Therapie bei COVID-19 aufgelistet wird.
Das Rotkraut ist mit Johannisbeere-Likör und Saft, Preiselbeermarmelade von Fab, Zwiebeln, Nelken, Lorbeer, Fünf-Finger-Gewürz, Gemüsebrühe und den üblichen Gewürzen am Tage zuvor gekocht wurden. Über Nacht kalt gestellt und heute aufgekocht. Die Bratwürste lösche ich natürlich in der Pfanne mit Bier ab. Ein wenig Grillstimmung im fünften, sechsten Monat der geschlossenen Kneipe seit knapp einem Jahr mit Hoffnung, dass es keine Iden des März im nächsten Monat gibt. Vielmehr könnte die geschlossene Zeit genutzt werden, einen virtuelles Vowi-Quiz zu zoomen. Habe ich als Gerücht gehört.
Hier sind zwei modern erzählte Varianten der Ilias und der Odyssee zum Hören:
Keine alte Kneipe mit einem bierbäuchigen Wirt in Lederschürze, wo es selbst in der Nacht dunkler als davor ist.
Wenn man Geschichten erzählt bekommen möchte ohne sich zu langweilen, dann nehmt Euch Zeit zu hören.
Ilias von Homer, Neufassung Raoul Schrott, Erzähler Manfred Zapata, Hörspielregie Klaus Buhlert
Viele CDs. Am besten Ausleihen in der Zentralbibliothek in der Hasengasse oder mich fragen.
Die Odyssee des Homer: Ein Radio-Abenteuer in 21 Folgen, von Christoph Martin (Autor), Dieter Mann (Sprecher)
Gibt es als Podcast beim BR oder mich fragen.
Petite Mythes, 09.02.21
Nicht nur zu normalen Öffnungszeiten sondern ebenso, wenn das Essen durch das Fenster gereicht wird, gehen bestimmte Produkte immer. Cordon bleu gehört dazu. Es erfreut sich größerer Beliebtheit. Ich versuche es genauso saftig zuzubereiten wie beim letzten Mal. Allerdings habe ich nur Vermutungen (mehr Schinken), warum es saftiger war. Denn im Großen und Ganzen bereite ich alles ähnlich zu. Klar versuche ich das Gemüse feiner zu schnippeln, die Zwiebeln glasiger anzubraten, nicht immer die gleichen Zutaten oder Gemüsesorten zu nehmen und gehe nur sehr sanft mit Neuerungen um. Denn Ihr als Hungrige, Freunde, Fans und treuen Unterstützer kommt ja, um etwas ganz Bestimmtes, Gewünschtes, etwas hinlänglich positiv Bekanntes (Vowianisches) am Fenster entgegenzunehmen. So, wie man zu einem Konzert von Neil Dylan geht, um seine Hits zu hören und weniger die neusten Lieder, die dann auch nicht viel anders als die alten klingen. So wie man in den Tannenbaum geht, weil dort vor Jahrzehnten wahrscheinlich das letzte Mal renoviert wurde und dessen Charme, gepaart mit der bekannten sächsischen Liebenswürdigkeit, genau dadurch lebendig bleibt.
Die Vowi ist jünger und muss sich als, sagen wir mal, 24jährige junge Frau, schon ein wenig absetzen von seinen Eltern. Deshalb wurde renoviert. Aber mit der angeborenen sächsischer Liebenswürdigkeit wird heute ein Gericht aus dem Erzgebirge angeboten:
Getzen. Das ist eine Art Rösti oder Kuchen aus gekochten und rohen Kartoffeln mit etwas Buttermilch, Zwiebeln und Gewürzen. Alles wird in eine Pfanne oder Auflaufform gegeben. Speck könnte man dranmachen, dann wäre es aber nicht vegetarisch. Deshalb ohne Räucherspeck. Ab in den Ofen. Bei mittlerer Hitze bleibt der Getzen dort eine Weile. Zur Krustenbildung sollte er zum Schluss in die letzte Etage des Ofens.
Die Rosmarin-Kartoffeln koche ich mit Schale, pelle und viertel sie, um sie in Butterschmalz in großer Hitze mit dem Rosmarin anzubraten.
Die Möhren sind gekocht. Wenn es gelingt, bleiben sie mit kleinen Biss. Etwas in Butter geschwenkt.
Die Rahmsoße ist bekannt. Zuerst werden Zwiebeln gedünstet mit Alkohol vom Tresen abgelöscht und mit Brühe und Sahne verfeinert.
Kartoffelsuppe gibt es, weil es so kalt ist.
Der Erzgebirgische Buttermilch-Getzen auf Salat ist eine nicht all zu leichte vegetarische Variante des Hauptgerichtes.
Die Vowi hat mehr als zwei Jahrzehnte auf dem Buckel. Der Tannenbaum ist viel älter. Von mythischer Bedeutung sind beide weit entfernt. Dafür sind andere zuständig.
Bei dem YouTube-Kanal von Arte kann man sich in lehrreich und unterhaltsam über die Großen Mythen der griechischen Götterwelt aufklären lassen. Ist nicht abgehoben, als Zeichentrick in einer Art Schattentechnik inszeniert.
Die Ilias – der Apfel der Zwietracht/Die großen Mythen #1 / Arte
Teilen und Herrschen
Unser Kollege Uwe vom der Nachbarkneipe „Tannenbaum“, wurde literarisch gewürdigt. Johanna und Felix gaben mir den Hinweis. Höchste Zeit, dass wir alle uns intensiver mit Bildender Kunst befassen. Deshalb gibt es in den nächsten Zeilen zum Thema drei Geschenk-Ideen für die Festtage oder danach.
Die Beschreibung von Uwe hat Charme. Dieser erinnert allerdings mehr an die Metal-Band „Slayer“, als an die biedere Empfindsamkeit eines Spitzweg-Gemäldes aus dem 19. Jahrhundert.
Die Leidenschaft für den Flipper-Automaten, der als klassisches Kneipeninventar -symbolisch als Nukleus- des Tannenbaums gedeutet wird, ist eine obskure Begierde. Seine Entschlüsselung gibt Rätsel auf. Der Ich-Erzähler liefert sich dieser Begierde mit allen Konsequenzen aus. Er will sie beherrschen. Und wenn er vermeintlich am Ziel ist, steht der Zeremonienmeister- Uwe – bereits hinter ihm und schreit ihm in der vollen Kneipe etwas ins Ohr, was niemand hört. Unserem Ich-Erzähler bleibt nichts anderes übrig, als…(Hört selbst!)
Slayer, Repentless (CD, 2015)
(moralisierende Gewalt in Kunst geschlagen; zur CD gibt es drei Videos in neuster Serien-Ästhetik, die verstören und gleichzeitig abstumpfen)
Luis Bunuel, Das obskure Objekt der Begierde, (letzter Film des Regisseurs, 1977, DVD)
(Liebe, Begehren, Macht aus der Ich-Erzähler-Perspektive, verwoben mit anderem; neben Pedros Almodovar „Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs“ mein Film über Beziehungen)
Philipp Winkler, Hool (Roman, 2016)
(Fußball! Eines der zentralen Themen auch in der Vowi ist fast immer eine ernste Sache und oft nur Träger für ganz andere Dinge. Auf die Fresse?)
PS: Fußball, Feminismus, Unterbau und Ideologie u.a. waren nach dem glücklichen Sieg der Eintracht im DFB-Pokal gegen Heidenheim kurz vor Weihnachten ein großes Thema. Darüberhinaus konnte ich einen Stuhl, der nur mit einem Messer hergestellt und mehrere Jahrzehnte alt war, die Vorzüge einer Gläserspülmaschine und einen Geschenkwunsch zu Weihnachten kennenlernen.
Am 24., 25. und 26.12.17 hat die Kneipe zu!
Auf dem Feldberg im Taunus
Eisleben: Luther und Elsterglanz
Oft werde ich in der Kneipe gefragt, woher ich komme. Selten wird es rhetorisch verpackt in der Art wie: „Du bist nicht aus Frankfurt?“ (Stimme geht am Satzende nach unten).
Dann erzähle ich kleine biographische Details, manchmal garniert mit eher blöden DDR-Witzen oder ich verfalle urplötzlich in einen schwerst sächsischen Dialekt.
Mittlerweile merke ich, dass nicht mehr alle die Witze verstehen und dass auf meinen permanenten biographisch bedingten DDR-Bezug die Antwort kommt, wie schön Leipzig ist und dass mein Gesprächsgegenüber dort studiert usw.
Die Vergangenheit, die längst von der Gegenwart eingenommen ist, von der ich aber nicht loskomme, die aber längst Geschichte ist, beherrscht mich immerhin so sehr, dass ich die Linkspartei nicht als gesellschaftliche Alternative, sondern als sich mit der DDR-Vergangenheit schwer tuende Nachfolgepartei der SED sehe.
Ein schön verschrobener Satz. Und genauso verschroben und fein ausgemalt in allen Facetten stellt die Band „Elsterglanz“ aus Eisleben (Mansfelder Land, liegt zwischen Harz und Halle) die Ossis meiner Generation vor. Dabei übertreiben sie schwindelerregend und lachen noch über sich selber. Ihre Auftritte, Filme und Lieder sind ein Spiegelbild der DDR und was davon noch übrig ist, und damit spiegeln sie auch ihr heutiges Publikum. Dass dieser „Scheiß-Staat mit seinen Kackleuten“ einen immer noch zum Heulen bringt, auch wenn es Lachtränen sind, macht ihn unvergesslich.
Die Leipziger Volkszeitung sah dies in ihrem Konzertbericht allerdings ganz anders.
„Elsterglanz“ haben einen neuen Film gemacht:
Elsterglanz und der Schlüssel zur Weibersauna
[youtube https://www.youtube.com/watch?v=CA7QCCcQAOU&w=560&h=315]
Hier mein Lieblingsausschnitt aus ihrem ersten Film beim Wahrsager Bernd.
Elsterglanz – im Banne der Rouladenkönigin
[youtube https://www.youtube.com/watch?v=eMC-X0iX_HU&w=560&h=315]
Auch wenn man als Ausstehender nicht alles versteht. Genau so war es auch in Leipzig vor 1989 und heute? Fahrt mal nach Leipzig oder ins Lutherland nach Mansfeld oder Eisleben.
Die Fotos sind fertig
Phantastisch, wie mein Gedicht wächst,
während ich selber schrumpfe.
Es wächst, nimmt meinen Platz ein.
Es verdrängt mich.
Es wirft mich aus dem Nest.
Das Gedicht ist fertig.
aus dem Gedicht „Morgenvögel“
von Tomas Tranströmer, Sämtliche Gedichte, München 1997
Die Renovierungsarbeiten in der Vowi sind fast abgeschlossen. Der Rest wird in den nächsten Wochen erledigt.
Endlich gibt es an den Wänden wieder etwas zu sehen. Unser Haus- und Hoffotograf Sven Bratulic hat sein Archiv durchstöbert und daraus eine Reihe Bilder ausgewählt. Jedes Foto erzählt eine Geschichte. Denn ein interessantes Foto – ganz wie ein würdiges Gedicht – steht für sich allein. Der „Erfinder“ tritt zurück. Im Auge des Betrachters entwickelt das Foto einen Eigensinn, eine eigene Geschichte, ein eigenes Leben. Ganz so, wie es der schwedische Literaturnobelpreisträger Tomas Tranströmer oben formuliert hat.
Sola fide in der Vowi
10.12.16
Matze, der Exwirt vom Dr. Flotte, dem größten Leuchtturm des Bockenheimer Bermuda-Kneipen-Dreiecks, kommt aus einem Dorf unweit von Zittau, welches gleich neben Görlitz liegt. Michael Ballack ist ebenfalls gebürtiger Görlitzer.
Ein Landsmann von Matze und Michael Ballack ist Jacob Böhme. Er war Schumacher, hatte Visionen und wurde schließlich Dichter oder besser Prophet.
Meine prophetische Vision ist, dass ich alkoholfreies Bier aus dem Keller holen muss, dabei heimlich über die Hintertür verschwinde, nicht wiederkomme und die Kneipe samt darin sitzender Gäste ihrem Schicksal überlasse.
Jacob Böhme hatte andere Visionen. Er glaubte, Gott zu sehen und gewann daraus einen mystischen Zugang zum Glauben, den er in lyrischen Ekstasen eines Dichters niederschrieb. Sie geben seinem Protestantismus eine mystische Tiefe, die ich höchstens in der Stille der Gebanntheit einer übervollen Kneipe beim Fußball erfahre. Oder unlängst, wenn alle Tische bei der Vowi-Cuisine schweigend den Hauptgang ergründen und man nur das Besteck klappern hört.
[youtube https://www.youtube.com/watch?v=gIenwcT6_pM&w=560&h=315]
Hast Du aufgegessen?
09.12.16
Am Sonntag, den 11.12. um 14.00 Uhr läuft im Mal Seh’n Kino bei der liebenswürdigen Ariane in der Adlerflychtstraße 6 im Frankfurter Nordend der neue Doku-Film über den amerikanischen Komponisten Frank Zappa „Eat that question“.
Warum sollte man hingehen?
Weil die Eintracht bereits Freitag gespielt hat,
weil die Vowi erst 15.30 öffnet,
weil es regnet,
weil Hölderlin unweit vom Mal Seh’n im Adlerflychthof seine Geliebte Diotima getroffen hat,
weil es nervt spazieren zu gehen,
weil Zappa im Monat Dezember 1940 geboren wurde und im gleichen Monat 1993 gestorben ist,
weil man in Zeiten des Haarersatzes das Behaarte andere Amerika intensiver würdigen will
oder weil man den Namen irgendwie kennt, aber die Labetasche hinterm Vowi-Tresen es als Bildungslücke beschrien hat, wenn man sich nicht intensiver mit Zappa befassen würde.