Russisches Alphabet_М
Ziemlich groß, hager, markantes eindringliches Gesicht, nichts Weiches im grimmigen Blick:
Wladimir Majakowski.
Seine dichterischen Arbeitsgeräte waren im übertragenen Sinn Pressluftbohrer und Stahlhammer und nicht die feine spitze Feder. Für die Revolution kann es nicht laut und grell genug sein.
Die Revolution soll er wie sein eigenes Haus betrachtet haben. Er wohnte darin.
Seine Gedichte, Bilder, Karikaturen und Dramen werden heute bestenfalls aus seiner Zeit gesehen. Seine Zeit war endlich.
Er passte nicht mehr in den sich schnell wandelten Zeitgeist nach Lenin, der 1924 starb und schon Monate vorher außer Gefecht war. Sein Nachfolger Stalin verband sich mit denen oder mit jenen in der Parteiführung, die dann nach getaner Arbeit ebenfalls verfolgt, ins Lager gesteckt und umgebracht wurden.
Majakowski merkte dies sehr wohl. Verworrene Liebesgeschichten, mangelnde Anerkennung, die Karawane war längst weitergezogen, der Hund Majakowski bellte noch immer.
Er erschoß sich 1930.
Seine Gedichte wirken seltsam gehetzt, im Staccato-Rhythmus. Mich erinnern sie an Rap/Hip Hop. Aber nicht weichgespült. Vielmehr läuft bei ihm die Waschmaschine auf vollen Touren bei 90 Grad.
Hier wird nicht erzählt, hier wir angeklagt, aufgerufen, aufgefordert, angeprangert, übertrieben, eingefordert:
Jim Morrison, der viel zu früh verstorbene Sänger der „Doors“, forderte im Lied „When the music’s over“, „Wie want the world and we want it now!“ Mehr wollte Majakowski auch nicht.
In seinem Poem „Der Fliegende Proletarier“ entwirft er eine Zukunftsvision des vereinigten Weltproletariats. Was Majakowsi 1925 verfasste, klingt dennoch nicht fremd, durchaus modern, agitatorisch, wissenschaftsgläubig, witzig:
Morgens
Um Achte.
Ertönt der Radioweckuhr:
„Genosse – geruhen ruhig runter vom Ohr!
Der Kittel lässt bitten.
Noch irgendein Weckauftrag nicht übermittelt?
Bis dahin, dann! Priwjet!“
Schlaftrunken aber flugs in die Spur
drückt der Bürger den Knopf zur Elektrorasur.
In einer Minute – frisiert ein so glattes Kinn
kriegt selbst Genossin Venus von Milo nicht hin.
Der Stecker zur Buchse und Lippen gewendet:
und die Strombürste -zupp!- bringt ein Lachen, das blendet.
Es braucht keinen Diener! Bedient er den Anlasser
schon prasselt das Bad selbst sein Warmwasser.
Da fliegen ihm Seifenflocken –
und los geht’s: mit Schrubben und Trocknen.
…
aus Wladimir Majakowski, Der Fliegende Proletarier, Berlin 2015, S. 58-59
[youtube https://www.youtube.com/watch?v=pkylMafbKDY&w=560&h=315]