Was ist es, das
An die alten seeligen Küsten
Mich fesselt, daß ich mehr noch
Sie liebe, als mein Vaterland?
Diese Anfangszeilen des Gedichtes „Der Einzige“ eines erst nach seinem Tod zum Star gewordenen (wer ihn errät, dem sei ein Pitcher voll Bier aufs Haus gereicht) soll die Verfassung zeigen, mit der heute in diesen Zeilen balanciert wird.
Was?
Denn begeben wir uns bei der Kritik des Grand Prix de la Chanson am 26.10.02 in Rüsselsheim in die ästhetischen Niederungen der Rockmusik? Oder geht es einfach nur um Rock ’n‘ Roll, den wir schließlich gerne haben? Oder geht es um das berühmte Rundum-Sorglos-Paket: Sex and Drugs and Rock ’n‘ Roll? Oder greifen wir zum Rundumschlag der „Bist-Du-On-Jungs“, daß Rock ’n‘ Roll keine Umweltverschmutzung ist, der zwar gewaltig aufhorchen läßt, aber keinem weh tut?
Nun ich weiß es nicht!
Aber fangen wir vorn vorne an. In wenigen Tagen erscheint die neue Johnny Cash CD. Wieder hat sie Rick Rubin in Nashville und Texas produziert, und wieder spielen viele bekannte Stars mit, und wieder sind viele Klassiker zu hören. Ein aus rechtlichen Gründen nicht auf dem Cover stehender Gitarrist, der aber einen wesentlichen Anteil an der neuen CD vom Man In Black hat, war auf seiner „Never Ending Tour“, die nun schon seit Jahren ihn und seine mittlerweile sehr gut eingespielte Band durch alle Kontinente führt, in Rüsselsheim:
Steven O. Naendel und seine Band Pussy Galore.
Vor einem Publikum, daß zum einen aus seinen mitgereisten Hardcore-Fanatics bestand, die ja zu jedem Konzert des Meisters eilen, und vor jungen Mitarbeitern der Opel-AG, die dachten, sie seien bei einer Halloween-Gala, da der Mutterkonzern auf der anderen Seite des Teiches sitzt, spielte Pussy Galore.
Vielleicht waren aber auch die Augen des Publikums auf die Background-Sängerinnen gerichtet und dies nicht ausschließlich wegen ihrer sirenenhaften Stimmen, die schon so manchen Fahrensmann um Sinn und Verstand gebracht haben. Auch wenn man taub gewesen wäre, hätte man auf seine Kosten kommen können. Es glitzerte und spannte an den kokettesten Stellen. Viele Mitarbeiter, vor allem der Opel-AG-Kantine, werden von ihnen des Nachts geträumt haben.
Weniger das Gitarrenspiel als die Frisur des Meisters erinnerte an Ted Nugend, den jagdfreudigen Vorsitzenden der Gesellschaft zum Schutze Minderjähriger, der übrigens mit einer neuen CD aufgetaucht ist und in den Staaten den Support für Pussy Galore übernommen hat.
Die Rhythmusgruppe, welche das Schiff sicher auf Kurs hielt – der Kapitän, der die Richtung vorgab und mit waghalsigen Gitarrenübungen seine Meisterschaft immer wieder vorlegte – eine kraftvolle Stimme, dessen Besitzer in vielen Jahren der Einzelhaft genügend Zeit hatte für kunstreiche Tätowierungen und ein ebenbürtiger, aber sich edel zurücknehmender Rhythmusgitarrist (bei dem sich zwar alle fragen, warum er eigentlich mit auf der Bühne steht) waren die perfekte Verkörperung von Inhalt und Form, Vernunft und Gefühl, Meisterschaft und Virtuosität von Rock ’n‘ Roll.
Letztlich ist es mir auch nicht klar geworden, ob man die Kritik nach der reinen Lehre bzw. nach der praktischen Vernunft vollziehen kann, oder ob man einfch seiner Urteilskraft glauben soll.
Nun ich weiß es nicht!
Aber eins ist Fakt: Die Show wird weiter gehen – auch in der nächsten Stadt!
Pussy Galore
IM Laster Bangs vom WDR Rockpalast
PS: Vielleicht findet sich im Text das eine oder andere Zitat, die ein oder andere inhaltliche Verwechslung oder auch hier und da eine kleine Lüge. Der Rest ist aber auf jeden Fall wahr.