Heute gibt aus praktischen Gründen noch einmal Nudelsalat und Grüne Soße. Deutschland spielt.
Ganz früher gab es Jungs (ausschließlich Jungs), die extra Urlaub genommen hatten, um sich die EM oder WM anzusehen. Das Kickersonderheft kannten sie nach dem Turnier auswendig. Mindestens einmal wurden Panini-Sammelbilder gekauft und getauscht. Während der Spieles erinnerte die Atmosphäre an einen wissenschaftlichen Kongress. Gebrüll gab es selten und wenn aus tiefstem Herzen, denn was bliebe einem noch, außer der Mannschaft mit vielleicht dem Spieler. Die eigene Frau war schon lange ausgezogen. Zwischen den Spielen aß man Handkäse oder Rindswurst. Man freute sich, wenn es außer der Reihe Bolognaise gab. Mit eher selten auftretenden Kneipengängern aus anderen teilnehmenden Ländern wurde Korn und später unzählige andere Schnäpse getrunken. Eigentlich war man unter sich. Bei Deutschlandspielen kamen andere dazu. Dann saß man mit politischem oder vereinstechnischenm Abstand. Politisch gesehen, ausgedrückt über Fahne und Hymne, wollte man damit nichts zu tun haben. Genauso, wie einem die nicht sehr feingeistige Spielweise der Deutschen Mannschaften in die Nase stieg, genauso roch die allgemeine Inanspruchnahme der deutschen Siege nach glucksender Bierseligkeit aus dem Vereinsheim kommend, johlend in die weite Welt hinaus. In der Tonart eher preußisch in Protestantisch-Dur als rheinländisch in Katholisch-Moll.
Das änderte sich mit Poldi, Schweini, Klinsi und Jogi 2006. Fußball konnte nicht nur heldenhafte Abwehrarbeit sein und den Rest hielt oder schlug unser Torwart weg. Fußball wurde leichter, lustiger, geschmeidiger, mentaler, schöner und ein Ereignis, das niemand verpassen wollte. Einen Impfstoff dagegen gab es nicht. Deshalb war bald das ganze Land mit Girlanden geschmückt und geschminkt, wie die Kleinen zum Kindergeburtstag. Übrig blieben die in Klassentheorie bewanderten, die Bayernhasser und die glucksend Bierseligen. Fahne und Hymne sind heute immer noch da. Nur wird sie symbolisch getragen und gesungen (gesummt) von Boateng, Rüdiger und Özil. Kein Ballack mehr, der im sächsischen Dialekt lautlos die Lippen bewegte, kein Olli Kahn mehr, der so grimmig guckte, dass keiner sich traute zu lachen.
Und heute zum Englandspiel? Die Bereitschaft, sich zu umarmen nach dem Spiel wäre groß. Geht gerade nicht so gut. Vielleicht helfen die fünf sechs Biere zuvor. Gebrüll und eigenwillige Analogien wird es geben. Aber kein Vergleich zu früher. Vielmehr sind sie unerklärliche Fußballphänomene (UFP) bzw. verbaler Entlastungsverkehr in einer eigenverantwortlichen Notsituation (EVEN).
Wenn es übrigens in der Vowi doch mal zu politischen Schwachsinn kommt, der nicht auf unserer Verfassung beruht, muss ich mittlerweile höchst selten einschreiten. Trunkene, dennoch sehr aufmerksame. Gäste zeigen dann die Gelbe Karte und nesstelnd an ihrer Brustasche, am liebsten Gelb-Rot zeigend. Als Videobeweis-Schiedsrichter hinterm Tresen kann ich jederzeit eingreifen, um zu vermitteln, zu bestätigen oder dem Schluss zu machen. Ein Prost auf die Gäste der Vowi!