Eine Kneipe – ein Jahrhundert

Als ich nicht weit von der Vowi um 1996 das Kneipen-Einmaleins lernte, gab mir mein Lehrmeister mit auf den Weg, dass nach zehn Jahren Schluss sein müsste mit der „Galeeren-Arbeit“ hinterm Tresen. Da wäre die Kuh gemolken und man solle spätestens dann mittels eines neuen Konzeptes andere Wege gehen. Weder der Lehrmeister noch ich haben uns daran gehalten. Und wie der Zufall es wollte, als nachträglicher Beweis, dass es wohl schon über ein Jahrhundert und nicht nur zehn Jahre eine Kneipe in der Jordanstraße 13 gegeben hat, schneite Flo(rian) weit nach Mitternacht auf dem Heimweg von der Nachbarkneipe „Tannenbaum“ in die Vowi ein. Er berichtete in seinem bekannten knarzigen Ton, dass bei seinem Großvater ein Bild von der Vowi, besser: von genau dem Haus, in dem heute die Vowi ist, hängt. Auf dem Bild ist eine Schankwirtschaft zu sehen, die sein Urgroßvater mit seiner Familie führte. Flo wollte seine Großmutter fragen, was sie darüber noch in Erinnerung hat. Und bat sie, das Foto der Öffentlichkeit über die Vowi zugänglich machen zu dürfen. Wie man sieht, erhielt ich die Erlaubnis, und dazu gab es noch folgenden Text von Flos Oma, der auf dem zweiten Foto zu lesen ist.
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„Hier ist eine Fotografie aus dem Jahre 1915, als das Lokal von der Familie Heinrich Ungeheuer betrieben wurde. Die Familie bestand zu diesem Zeitpunkt aus Vater Heinrich, Mutter Marie sowie den Töchtern Marie, Anna, Emma und Emilie und dem Sohn Friedrich (= Fritz, Florians Urgroßvater). Heinrich Ungeheuer war von Beruf Schmied, führte aber als Familie mit der Ehefrau und den Töchtern die Gastwirtschaft. Fritz lernte Technischer Zeichner und arbeitete zeitweise im Lokal mit. Besonders beliebt waren die Klavierdarbietungen der Geschwister Emilie (genannt Milchen) und Fritz. Zu dieser Zeit stand in fast jedem Lokal ein Klavier. Während des 1. Weltkrieges war Fritz Soldat, und als sein Vater 1917 mit nur 56 Jahren starb, führte die Mutter mit den Töchtern das Geschäft weiter. Die Mutter verstarb 1925, und nun hatte Fritz noch 2 Jahre die Führung. Nachdem er 1926 heiratete und Frankfurt vorübergehend verließ, führte Emilie die Wirtschaft weiter bis sie 1933, inzwischen verheiratet, das Geschäft aufgeben musste, da während des 3. Reiches in einer Familie nur ein Ernährer zugelassen war.“