I c h b r a u c h e D e i n e H i l f e, sagte sie. Ich spührte ihren Atem. Sie musste unseren 3-Euro-Wein Bergerac getrunken haben, oder hatte ich ihr nicht den etwas günstigeren Landwein aus Südfrankreich Vauclause ausgeschenkt. Der Duft nach Eichenholz vermengt mit einem Beerenaroma und einem Hauch Vanille waren unverkenbar. Was wollte sie von mir? Den ganzen Abend verzog sie keine Miene und würdigte mich kaum eines Blickes. Und jetzt im Schutze der Dunkelheit sollte ich plötzlich ihr Retter sein. Sie hielt meine Hand fest, und ihre Augen schienen zu leuchten – wenn ich ihr nur helfen würde.
M i t d e r B i t t e, i h r n u r z u z u h ö r e n, und erst nachdem sie zu Ende gesprochen hatte, etwas zu sagen, begann sie zu erzählen. Der Killer und sein Geschäftsführer hatten aus Langeweile eine Wette laufen. Getreu ihrer Meinung, dass es Liebe bzw. Gefühle nicht geben würde, und man alles, was man will, kaufen könne…Ein Geräuch aus dem Dunklen zeigte, dass wir nicht alleine waren. Ich verstaute den Müll in die Tonnen, und sie verschwand genauso schnell, wie sie mir erschienen war. Sie bestellte, nachdem ich wieder an meiner Arbeit war, ein kleines Schnitzel und saß genauso da wie vor unserem Gespräch. Die Gäste unterdessen diskutierten laut, manche stritten sich, jemand vermittelte, Betrunkene schätzten -zu späterer Stunde enthemmter- die anwesenden Frauen ab, bierselig umarmte man sich und starrte immer wieder auf einen der Fernseher, wo ein Fußballspiel gezeigt wurde.
I c h b r a c h t e i h r d a s k l e i n e S c h n i t z e l. Sie zog kaum wahrnehmbar den linken Mundwinkel nach oben. Links auf dem Boden neben ihr lag ein Bierdeckel. Ich hebte ihn unauffällig auf. Der Killer bemerkte nichts oder tat so. In der Küche -ich musste eine Rindswurst zubereiten-, las ich auf dem Deckel zwei unleserliche Namen, die Zahl 100 und das Wort nackt. Auf der Rückseite fand ich eine Uhrzeit weit nach Mitternacht und den Namen eines Clubs im östlichen Teil der Stadt…
(Hier fehlt ein Stück Text bzw. Bierdeckel.)
…I c h h ö r t e l a u t e M u s i k als ich den Club mit einiger Mühe gefunden hatte. In dem kellerartigen Gewölbe spielte eine Band und mehrere hundert, zumeist junge Leute lauschten der Darbietung. Die Band mit dem Namen Caliban machte im eigentlichen Sinne keine Musik. Eher erinnerte das ganze an Baulärm: ein Stromgenerator, zwei Vorschlaghammer und eine Betonschneidemaschine hätten den selben Lärmpegel. Der Vorarbeiter schrie und grunzte dazu Kommandos. Das einzigste, was sich änderte, war der Takt: Entweder wurden die Steine einzeln oder triolisch zerschreddert. Ich wollte nie zum Bau…Mir schwanden die Sinne, und nachdem ich meine Brille geputzt hatte, erkannte ich sie: Der Killer stand links und hielt seine Gitarre wie ein Schwert nach oben, sein Geschäftsführer krümmte sich und schüttelte unablässig seinen Kopf, am Schlagzeug saß die erste der vier Frauen, am Bass die zweite, am Mischpult die dritte und vorne auf der Bühne stand nackt, das Allernötigste mit insgesamt vier Ein-Hundert-Euro-Scheinen bedeckt, mein Geheimnis…ich wollte nach Hause -nicht in die Planwirtschaft-, denn…
Hat der die Gegebenheiten umbildende und überholende Mensch sich erfasst und das Seine ohne Entfremdung in realer Demokratie begründet, entsteht in der Welt etwas, das allen in die Kindheit scheint und worin noch niemand war: Heimat.
Hier hört(en) der Text bzw. die Bierdeckel, die ich fand, auf. Vieles bleibt seltsam unklar bis vielleicht auf das kleine Schnitzel:
Kann man statt Heimat auch Vowi-Heim sagen?
Wie lautete die Wette?
Was hatte der Killer damit zu tun?
Woher stammt das Wort Caliban -ihr Anglisten dieser Welt?
Warum benehmen sich die Gäste in einer Kneipe nach Mitternacht anders als davor?
Warum wollen gerade Frauen gerne nur eine kleine Portion oder wollen von ihrem Gegenüber, wenn sie nichts bestellen, wenigstens einmal kosten?
Hat der 1959 sechsjährige Frankfurter Bub bei der Wiederholung des Meisterschaftsspiels Kickers-Eintracht am Samstagmorgen in der Vowi seinen damals im Stadion anwesenden Vater wiederendeckt?
Wie alt ist Klinki -alles Gute zum Geburtstag!- eigentlich geworden?
Über wieviel Tore kann man sich im Stadion richtig freuen?
IM Bierdeckel