Gefühlte Arbeitslosigkeit

Letzte Woche gab es die neueste (IM Vowi-Version: Puhdys)-, (Herbst-Version: Nick Cave Doppel) CD in WOM bei Karstadt für 12,99 bzw. 15,99. Durch die Kosmetik- bzw. Luxus-Light-Abteilung im Erdgeschoss geht es zur Rolltreppe. Dort ordnen in schwarzen Hosenanzügen, Make-up-gebleichte Frauengesichter geschäftig gelangweilt beispielsweise den Duft von Fahrenheit (Dior) als Parfüm, Eau De Toilette, Aftershave oder Deodorant von links und dann wieder nach rechts. Ihre männlichen Pendants bieten entweder die FAZ für vierzehn Tage kostenlos an (vor der Tür gibt es die Rundschau) oder können sich -nur unter Aufsicht- am Schminktisch ausprobieren. Ich nahm den Fahrstuhl und machte einen Zwischenstop in der Sportabteilung in der zweiten Etage. Dort wurde gerade mittags! der offizielle Fußball-WM-Laden eröffnet. Lauter wichtige Personen wuselten herum. Einiges war abgesperrt. Am Rande saß ein riesiger, übergewichtiger Junge, dessen kindliche Gesichtszüge über Gebühr von der Pubertät in Anspruch genommen wurden. Er sah aus wie ein Chamäleon: von der einen Seite wie ein Junge aus der fünften Klasse und von der anderen Seite wie ein vierzehnjähriger Junge aus sowjetischen Spielfilmen. In der deutschen -DDR- Übersetzung dieser Filme erscholl bei einem Lachen stattdessen ein metalisch klingendes Krähen: Rra, Rra, Rra. (Die jungen Synchroniationssprecher waren oft Kinder und Jugendliche vom Sprecherensemble der DEFA, welche man bis heute im Fernsehen an ihrem Dialekt erkennt: berlinerisch mit hallenser Einschlag -widerlich. Beispiele: Nadine – Wolffs Tochter aus Wolffs Revier, Mirko aus Samstag-Nacht).
Noch zwei Etagen im Fahrstuhl, und ich war am Ziel. Ich sah bereits den leuchtenden symbolischen Eingang von WOM, als ich auf zwei mittelalterliche Verkäuferinnen aufmerksam wurde, die Bestseller einordneten. Dabei unterhielten sie sich missmutig. Da fiel mir es wie Schuppen von den Augen. Es war Donnerstag. Gerade saßen die Gewerkschaft und die Konzernführung zusammen, um über Entlassungen, Gehaltskürzungen, längere Arbeitszeiten usw. bei Karstadt/Quelle zu entscheiden. Ich ging kurzentschlossen hin und fragte sie, ob sie mir ein Buch zum Thema Hartz IV empfehlen könnten. Danach ergriff ich die Flucht.
WOM hat sich wirklich gemacht. Das Sortiment ist besser geworden, die Preise ebenfalls. Es gibt nach wie vor das kostenlose, oft informative, monatlich erscheinende WOM-Heftchen. Man kann sich viele Musikzeitschriften in aller Ruhe ansehen, und die Verkäufer haben sogar Ahnung von der verkauften Musik – im Gegensatz zu Saturn-Hansa. Dort hat der Jazz- und Klassik-Fachmann genau soviel Ahnung, wie der Kollege in der PC-Abteilung von dort ebenfalls erhältlichen Apple-Computern – nämlich gar keine.
Ich kaufe meine CDs ein wenig weiter im Musikladen in der Stiftstraße: klein aber fein! Ein sehr gut sortierter Laden, wo der Chef und die Angestellten sehr sachkundig fast immer weiterhelfen können. Die Puhdys-CD habe ich nicht gekauft, dafür die neue Amon Amarth, die neue Heaven Shall Burn, die neue Megadeth, die neue Frank Zappa, die neue Bjõrk, vielleicht noch die neue Kante, den Tannenbaum, das Celsius, den Dr. U-Boot, ein Haus nicht in Kalbach, sondern im Nordwesten von Irland…

IM Vowi