Zwischen den Jahren, 30.12.24

Diese Notiz lag bei einem nichtbezahlten Deckel, den ich beim AufrĂ€umen in einem ausgetrockneten Seitenarm des mĂ€anderten „Vowi-Deltas“ fand.
Und genauso, wie sich nicht ausschließlich mit einem Satz, sondern ĂŒber viele NebensĂ€tze etwas erzĂ€hlen lĂ€sst, gehörte die angeheftete Nachricht zu einem Deckel, der als Schuldschein, gestĂŒtzt auf seinen jahrelangen KneipengĂ€nge oder in hoffnungsvolles einseitiges Vertrauen, irgendwann spĂ€ter zu bezahlen, beschriftet wurde.
Besagter Deckel gehörte zur Nachbarin C., die im aller Jahre wieder, so heißt es, zwangsversteigerten Haus, wo sich der beste Buchlanden Frankfurts befindet, bis vor etwa vierzehn Jahren wohnte. Dem Nachbarhaus, im juristischen Sinn der alten Besitzerin, drohte regelmĂ€ĂŸig das Gesetz. Und genauso, wie bisher, flĂŒsterten mir Bekannte, die auf und an dem Haus arbeiten, zu, dass alles nur halb so schlimm sei. Es wĂŒrde sich um eine kleine Forderung handeln, fĂŒr die sich das nötige Geld finden wird.
Wie nun der Sandstein als BautrĂ€ger der GrĂŒnderzeit-HĂ€user ĂŒberall in Bockenheim das Grund- oder Regenwasser aufsaugt, es speichert und diese, das permanente Zerbröseln des Sandsteins verursacht, wiederholt sich die Drohung durch Zwangsversteigerung und es wiederholt sich in all den Jahren die Parade der Sonderlinge, die in und um unseren kleinen Flecken Erde wandelt, besser grad-wandert. Ein Hoch neben bei auf den Alkohol und die kleine Preiserhöhung von € 3,50 auf € 3,70 fĂŒr das 0,4 L Binding Römer Pils vom nĂ€chsten Jahr an, welche hoffentlich die Nachfrage nicht sinken lĂ€sst.
Eingesunken in viel zu viel Alkohol, den sie faktisch nie bezahlen konnte, ging letztendlich auch die Nachbarin C. zugrunde. In seltenen ungetrĂŒbten Augenblicken konnte sie unterhaltsam und durchaus geistreich ĂŒber die alten KampfgefĂ€hrten, wie unseren ehemaligen Außenminister, erzĂ€hlen. Ich erinnere mich, wie ich ihr sagte, dass sie diese Geschichten aufschreiben sollte, damit sie nicht von der VergĂ€nglichkeit zerbröseln. Mir ist C. in Erinnerung, wie sie kettenrauchend, entweder versunken oder plötzlich aufschreiend vor ihrem Bier, in ein hysterisches Lachen mit einer Grundierung, die keinen Widerspruch duldete, saß. Alle anderen GĂ€ste akzeptierten diese AusbrĂŒche, weil sie diese kannten, aber vielmehr, weil sie ahnten, dass hier eine ĂŒber ihren eigenen Verfall und die Sinnlosigkeit ihres eigenen MĂ€andern auf diese Welt aufschrie. Selbst, der in meinen Augen schrĂ€gste Gast, welcher jemals im Vowi-Delta gegen alle Vowi-Winde auf irgendeiner Sandbank am Tresen aufgelaufen ist, um einen bis mehrerer „Vino Tinto“ zu trinken, schwieg bei den Eruptionen von C. Als ich sie, wieder mal einen Deckel schreibend, irgendwie aus der Kneipe bekommen hatte, gestand mir der seltsamste Gast, dass er sich erotisch von C. angezogen fĂŒhlte, was mir ein Stirnrunzeln verursachte, denn C. sah sehr verlebt aus. Ihn zog, die inneren mittlerweile in Alkohol konservierten Werte an, die er, davon war ich ĂŒberzeugt, in der Lage sich fĂŒhlte zu erkennen, weil C. und er Geschwister im Geist waren.
C. verstarb also vor Jahren, wie mir ein Nachbar aus ihrem Haus berichtete, deshalb die Notiz an dem nie mehr einzulösenden Deckel, der VergÀnglichkeit und Auferstehung in sich trÀgt, denn fliessender Alkohol, paradierten Sonderlinge, zerbröselnder Sandstein, unsichtbare zivilrechtliche Klagen mÀandern bei kalten Regen vor der Glut des Vollmondes schlussendlich auch nÀchstes Jahr um diese Ecke.