Oft wird in der Vowi (auch vor der Vowi) etwas liegen gelassen. Letztens gab mir Karsten ein paar vollgeschriebene Bierdeckel (welche die Vowi immer bei ihrem Getränkelieferant bestellt mit der Aussage Bierdeckel mit möglichst viel Weiß), die auf der ersten Fensterbank lagen. Entweder sind sie eine Art Tagebuch oder eine Art Krimi…Keine Ahnung!
Irgendwie kam mir aber aus Karstens und Veras Erzählungen einiges bekannt vor. Muss Zufall sein!
K e i n e r h a t t e i h n e r w a r t e t – schon gar nicht um diese Uhrzeit, noch mit dieser Begleitung. Er trug slipperartige Schuhe, ein schwarzes Hemd und eine viel zu kurze Trainingshose. Die Haare waren mit Pomade nach hinten gelegt. Natürlich war er sauber rasiert. Die vier Frauen an seiner Seite rauchten ununterbrochen und flirteten aus Langeweile mit seinem Manager, der -so war es mir zu Ohren gekommen- alles „Geschäftliche“ regelte. Der Killer selber sprach nie ein Wort. Manchmal stolzierte er wie ein eitler Pfau auf und ab, machte merkwürdige gymnastische Übungen und setzte sich wieder hin. Er bestellte wortlos noch ein Getränk und steckte sich ein Zigarette an. Der Killer bevorzugte eine exotische Marke, Balakover, die er sich für viel Geld aus Bulgarien besorgen ließ.
S e i n e A u g e n b l i n z e l t e n m i c h a n. Gerade hatte ich das sechste Getränk auf seinen Deckel notiert. Wollte er etwas essen? Dies kam sehr selten vor. Ich fing an, ein ungutes Gefühl zu kriegen. Sein Manager, ob es abgesprochen war oder ob er mein Unbehagen spürte, versuchte mittels eines Witzes das Schweigen zu überbrücken. Bereits vor der eigentlichen Pointe in ein durch Husten ersticktes Lachen fallend, erzählte er allen am Tresen, egal, ob sie es hören wollten oder nicht, dass es bis heute keiner weiß, was der Killer mal gelernt hatte oder auch nicht. Vielleicht war er immer schon ein Killer. Man könnte sich doch schließlich nichts anderes vorstellen. Ich nickte, nicht nur um meine Ruhe zu haben, sondern gab ihm ebenso in meinem Inneren recht. Der Killer war bis auf die Trainigshose ein geborener Killer. Wertfrei, besser eiskalt führte er seine „Arbeit“ aus. Alle Gefühle, den Anschein jeglicher Emotion vergrub er tief in seinem Inneren. Sie störten womöglich seine Arbeit. Die vier Frauen, seine vier Frauen, sahen bei diesem Gespräch aus wie die drei Affen: nichts sehen, nichts hören, nichts reden. Nur die vierte Frau, vielleicht angwidert oder aus Angewohnheit, saß mit ständig nach unten gezogenen Mundwinkeln da, so als ob sich ein Pubs quer gelegt hätte.
W a s w o l l t e d e r K i l l e r v o n m i r ? Mir vielleicht ein Zeichen geben, dass ich der Nächste bin. Ich sollte fliehen? Aber warum sollte er mir dies vorher signalisieren. Gerade er, der nach Perfektion strebt und sein Radler auch in jeder anderen Kneipe trinken hätte können. Und wer hätte ihn beauftragt: ein Gast, dem ich nicht schnell genug seinen heißen großen Kakau mit Sahne gebracht hatte oder die Besitzer der umliegenen Lokale, welche einen missliebigen Konkurenten aus dem Weg räumen wollten. War es die Binding -Radeberger- Dr. Oetker, weil die Pacht nicht pünktlich vom Konto angewiesen wurde. Verwechselte mich der, welcher vor dreißig Jahren Dr. Oetker entführte, ganz einfach. Mein Kopf fing an zu pochen. Ich brauchte frische Luft und ging über die Küche, unbemerkt von den Gästen, in den Hinterhof. Natürlich hatte ich den Papiermüll mitgenommen, um ihn in die richtige Tonne zu entsorgen, als sich mir bei einer jähen Wendung zurück eine Person in den Weg stellte. Ich erschrak fürchterlich und sackte schon ein wenig zusammen in Erwartung eines Schlages. Die Stimme der schattenhaften Person und ihre rotlackierten Fingernägel ließen mich plötzlich aufrecht gehen. Es war die vierte Frau mit den runtergezogenen Mundwinkeln. Sie musste auf dem Klo gewesen sein, um dort durch das Fenster in den Innehof zu gelangen.
I c h b r a u c h e D e i n e H i l f e, sagte sie…
IM Bierdeckel