Diese Notiz lag bei einem nichtbezahlten Deckel, den ich beim Aufräumen in einem ausgetrockneten Seitenarm des mäanderten „Vowi-Deltas“ fand.
Und genauso, wie sich nicht ausschließlich mit einem Satz, sondern über viele Nebensätze etwas erzählen lässt, gehörte die angeheftete Nachricht zu einem Deckel, der als Schuldschein, gestützt auf seinen jahrelangen Kneipengänge oder in hoffnungsvolles einseitiges Vertrauen, irgendwann später zu bezahlen, beschriftet wurde.
Besagter Deckel gehörte zur Nachbarin C., die im aller Jahre wieder, so heißt es, zwangsversteigerten Haus, wo sich der beste Buchlanden Frankfurts befindet, bis vor etwa vierzehn Jahren wohnte. Dem Nachbarhaus, im juristischen Sinn der alten Besitzerin, drohte regelmäßig das Gesetz. Und genauso, wie bisher, flüsterten mir Bekannte, die auf und an dem Haus arbeiten, zu, dass alles nur halb so schlimm sei. Es würde sich um eine kleine Forderung handeln, für die sich das nötige Geld finden wird.
Wie nun der Sandstein als Bauträger der Gründerzeit-Häuser überall in Bockenheim das Grund- oder Regenwasser aufsaugt, es speichert und diese, das permanente Zerbröseln des Sandsteins verursacht, wiederholt sich die Drohung durch Zwangsversteigerung und es wiederholt sich in all den Jahren die Parade der Sonderlinge, die in und um unseren kleinen Flecken Erde wandelt, besser grad-wandert. Ein Hoch neben bei auf den Alkohol und die kleine Preiserhöhung von € 3,50 auf € 3,70 für das 0,4 L Binding Römer Pils vom nächsten Jahr an, welche hoffentlich die Nachfrage nicht sinken lässt.
Eingesunken in viel zu viel Alkohol, den sie faktisch nie bezahlen konnte, ging letztendlich auch die Nachbarin C. zugrunde. In seltenen ungetrübten Augenblicken konnte sie unterhaltsam und durchaus geistreich über die alten Kampfgefährten, wie unseren ehemaligen Außenminister, erzählen. Ich erinnere mich, wie ich ihr sagte, dass sie diese Geschichten aufschreiben sollte, damit sie nicht von der Vergänglichkeit zerbröseln. Mir ist C. in Erinnerung, wie sie kettenrauchend, entweder versunken oder plötzlich aufschreiend vor ihrem Bier, in ein hysterisches Lachen mit einer Grundierung, die keinen Widerspruch duldete, saß. Alle anderen Gäste akzeptierten diese Ausbrüche, weil sie diese kannten, aber vielmehr, weil sie ahnten, dass hier eine über ihren eigenen Verfall und die Sinnlosigkeit ihres eigenen Mäandern auf diese Welt aufschrie. Selbst, der in meinen Augen schrägste Gast, welcher jemals im Vowi-Delta gegen alle Vowi-Winde auf irgendeiner Sandbank am Tresen aufgelaufen ist, um einen bis mehrerer „Vino Tinto“ zu trinken, schwieg bei den Eruptionen von C. Als ich sie, wieder mal einen Deckel schreibend, irgendwie aus der Kneipe bekommen hatte, gestand mir der seltsamste Gast, dass er sich erotisch von C. angezogen fühlte, was mir ein Stirnrunzeln verursachte, denn C. sah sehr verlebt aus. Ihn zog, die inneren mittlerweile in Alkohol konservierten Werte an, die er, davon war ich überzeugt, in der Lage sich fühlte zu erkennen, weil C. und er Geschwister im Geist waren.
C. verstarb also vor Jahren, wie mir ein Nachbar aus ihrem Haus berichtete, deshalb die Notiz an dem nie mehr einzulösenden Deckel, der Vergänglichkeit und Auferstehung in sich trägt, denn fliessender Alkohol, paradierten Sonderlinge, zerbröselnder Sandstein, unsichtbare zivilrechtliche Klagen mäandern bei kalten Regen vor der Glut des Vollmondes schlussendlich auch nächstes Jahr um diese Ecke.