Kategorie: Schönheit

L’art pour l’art – die Kunst um der Kunst willen

Theaterdonner

Vorhang auf.

Es saßen junge Spielleute in der Wirtsstube. Schon seit langer Zeit war dieses Haus privilegiert, Pferde anzuspannen und Bier auszuschenken. Die Jungen lachten und scherzten. Sie streiften dabei, ihrem Alter nach dem eigentlich entwachsen, die feine Grenze zwischen Kichern und Losprusten, wie es weit jüngeren mehr zustehen würde. Vielleicht waren sie verliebt, vielleicht beglückt durch ein Vorspiel oder sie empfanden ihrem Gemüte jünger, als sie es von der Weihe her waren.
Einen Tisch weiter schwieg ein alter Fahrensmann vor sich hin. Er zog an seiner Thymian-Pfeife, eine neumodische Sache aus dem Westen, eigentlich aus dem Osten, aber wenn man ganz nach Osten geht, kommt man entweder ins Vogtland nach Sibirien oder man gelangt auf verschlungenen Pfaden über in den Westen zurück. Er trank diesen eigentümlichen Saft, den man in unseren Gebieten bis heute Apfelwein nennt. Ein saurer Tropfen wohl, aber sehr gesund. Dazu gab es einen Frucht-Brand, der als Gedeck des Herren oder Hundsärsch bestellt wurde. Die Früchte hierzu wuchsen einst überall. Heute schifft man sie aus fernen Staaten her, dort, wo die Kutschen alleine ihr Ziel ansteuern. Gespenstisch war diese Vorstellung. Darüber würde noch geschrieben werden.
Eine der jungen Spielleute berichtete vom neusten Flugblatt, wo Geschichten von langer Zeit geschildert werden, an die sich noch die Alten, die Jungen nicht mehr erinnern.
Lass mich eine neue Weise darüber spielen, schlug einer vor und mit heller Stimme setzte er seine Akzente. Vielleicht war sein Vortrag etwas steif, viel Rezitativ wenig Arie. Dem Fahrensmann gefiel es nicht. Er wackelte bedenklich hin und her und plötzlich donnerte er, mehr Moll als Dur, doch in den alten Kirchentonarten, los. Es war ein Angriff nicht mit dem Degen, vielmehr ein Orkan im 3/4 Takt.
Diese Weise sei doch kein Lied, mehr Vortrag und Zitat der Moden. Sie bestehe aus Versatzstücken und inhaliert die freie Stadtluft, dieses Popidiom der frühkapitalistischen Manufakturen. Diese „Good old times“ werden in „Good old music“, wie es die siegreichen Normannen in den angelsächsischen Ländern jenseits des Meeres beschreiben, ins heute transformiert. Sie geben dieses „Gute Gefühl zurück“. Dabei verblassen die Erinnerung und eine satte Mattigkeit macht vergessen. Sie stimmt Milde. Wieso dieses Lied in so vielen Ohren statt Ohrenschmalz Wohlklang hinterließ, sei ihm ein Rätsel. Vielleicht war, so wurde ihm gemutmaßt, die Schönheit des Vortrages, der Liebreiz und die Anmut der Komponistin ein Grund.
Den jungen Spielleuten entfuhr ein kraftvoller sehr frommer Choral, weil sie ihn mit diesen Worten ein für alle Mal festsetzen würden, denn er singe falsch. Wir, nun schmetterten sie, fordern Freiheit ohne Grenzen. Wer urteilt und grenzt, schränkt ein. Er ist ein Gefährder. Denn nach ihrem Verständnis haben alle Freien, Unfreien, ebenso die Lehnsherren wie Königin und Magd ein Recht auf Selbstbemächtigung. Wer nun dagegen wettern würde, wäre wie eine der Böen, welche die Tage die Hügel der hiesigen Landschaft, Vetternaue genannt, aufpeitschten. Diese hielten vielleicht auf, verhinderten aber nichts. Blase dich nur auf, Fahrensmann, aber du verurteilst dich selber als schrecklicher diktatorischer Vater, der sich über alle und das Geschlecht an sich stellt. Akzeptiere und dechiffriere die Zeichen der Zeit.
Die temperierte Stimmung war noch nicht erfunden, aber sie wurde eingefordert, hielt sich der Wirt vor.
Was demnach vielen gefällt, kann zwar missfallen, aber deinen Einspruch lassen wir nicht zu. Schweig oder du richtest dich selber! Mit diesen Tönen erklärten sich die jungen Spielleute.
Unserer Fahrensmann aber ließ nicht locker und setzte sein Laute verstärkt ein, indem er minimal versetzt immer den gleichen Ton spielte. Übersetzt meinte er, dass er, als die Inquisition durch dieses Land zog, am besten, so legte er ihre Worte aus, freiwillig Geständnis abgelegt hätte sollen, um brav zu sein und sich damit unterzuordnen. Dem Volk, den Herren und jetzt, weil ich auch den „Dry January“ würdigen will, gebe ich nach und feiere eure neue Leier. Ein Prosit euch? Auf die Gesundheit, eure Umarmung und die Hohe Kunst, der ihr frönt? Donnert nur! Ich ertrag’s – ich halt’s aus, mein freches Maul ist zum atmen, aber mehr noch, um Töne zu formen, deren Ausdruck nicht da ist zu gefallen. Kein Akkord ist hässlich genug, um dieses Urteil zur nächsten Instanz zu bringen, würde man viel viel später darüber sagen.
Der Wirt schüttelte den Kopf über soviel Eigen- und Starrsinns-Melodien. Kinder und Alte. Für die einen ist der Kindergarten und für die anderen die Rente. Dazwischen kalauerte er, gibt es Theater und den Suff. Gott sei‘s gedankt!
Damit war alles gesagt, es gab keine Geschenke und keine Versuche, sich auf verwinkelten Pfaden zu treffen. Die Aufführung war beendet. Der Donner verhallte. Der „Dry January“ ließ die Wirtsstube mit vollen Fässern, nun ohne Gäste zurück.

Vorhang fällt.

Bei Gionata

Umso mehr glänzte inmitten all dieser Unsauberkeit die korrekte Eleganz G… Er hatte die Reise auf einem Roller gemacht. Und da er eine halbe Stunde vor all den anderen in der Economia angelangt war, hatte er Zeit gehabt, den Stand des Bitcoins zu valuieren, das Gesicht sich zuwachsen und die weiße Krawatte zu wechseln. Als er sich bei Gionata schweigend seinen Aperitivo orderte … hatte er sich einen Moment lang im Spiegel seines Aperitivos betrachtet und sein Aussehen für gut befunden.
Hier in in der Economia bei Gionata musste er nicht hoffen. Hier vielmehr war er am Ziel seiner täglichen Rastlosigkeit angekommen.

Guiseppe Tomasi di Lampedusa, Der Leopard, S. 65 + Ich

Rudolf Wacker

Sehr spät melde ich mich, um den nächsten Quiz anzukünden, der am 19.11.24, ab 19.00 Uhr stattfinden soll.
Markus und Sebastian hatten ihn am 07.10. angekündigt.

Bitte gebt mir bis zum Sonntag, den 17.11.24, Bescheid, ob Euer Team teilnehmen wird und wie zahlreich Ihr werdet. Diesmal habe ich keine Gehirn-Aufwärmübungen anzubieten. Dafür einen Ausgehtipp:
Im Leopoldmuseum in Wien kann man bis zum Februar 2025 eine Ausstellung des Malers Rudolf Wacker (1893-1939) begutachten.
Er wird der Neuen Sachlichkeit in Österreich zugeordnet. Eigenwillige Sujets und Perspektiven (siehe unten), sowie einen merkwürdigen Blick auf seine Mitmenschen (siehe unten, wo erst gar keine Menschen auftauchen) geben seinen Bildern eine sehr eigene Sprache. Darin findet sich wenig Schönes, mehr, das, was danach noch übrig bleibt.
Irgendwo zwischen „Ach so!“, „Bist Du schlecht drauf!“, sachlichem Schweigen oder einem traurigen Nichtssagen.

Und wenn ich einmal in Österreich wäre, würde ich an die Weine, vor allem aus dem Burgenland denken und an den Schauspieler Nicholas Ofczarek
Er spielt am Burgtheater und manchmal muss er Geld verdienen. Dann kommt eine Art Sittengemälde von den Lieblich- und Verderblichkeiten Österreichs, wie die Serie „Braunschlag“ oder aber, eine mehr konventionelle, durchaus spannende Krimiserie, die allerdings nur von ihm lebt, wie „Der Pass“ heraus. Darin singt er mittags in der Kneipe bei einem Lied von Wolfgang Ambros mit. Großes Kino und ein so geiler Typ!

Nicholas Ofczarek macht übrigens Werbung, die ich auch machen würde. Er bewirbt, eigentlich geschauspielert er, die Weine des Burgenlandes. Und hier gehe ich auch mit. So kann man Wein beschreiben.

Petite Cuisine, 20.02.24

Die Bratwurst ist vom Rhönhof Wingenfeld. Ich kaufe für die Kneipe Fleisch und Würste zu 90% aller vierzehn Tage auf dem Konstimarkt, wo die Wingenfeld einen Stand haben. Sie sind ebenso auf dem Schillermarkt immer freitags zu finden.
Das Sauerkraut habe ich fertig, als gegärten Weißkohl, gekauft. Aufbereitet werde ich es mit Pfeffer, Kümmel, Wacholderbeeren, Lorbeer, Senf und Gemüsebrühe.

Die vegetarische Spinatlasagne (Lasagne-Platten, Spinat, viel Muskat, Salz, Pfeffer, Béchamelsoße, Tomaten, Käse) bekommt durch die Tomaten einen „feuchten Biss“. War, einmal mehr Zufall, dass ich Tomaten dazu gemacht habe. Mit dem neuen Gasherd kann ich sie lange bei 150 Grad im Backofen lassen. Die ist natürlich der Ratschlag eines Stadtteilbekannten Franzosen, an mich gerichtet, sich Zeit zu nehmen beim Kochen, kleine Flamme reicht.

Die Linsensuppe besteht aus roten (selten gelben) Linsen mit gehobelten Suppengemüse, Ingwer und Zwiebeln und Wasser. Neben Salz und Pfeffer würze ich mit Curry oder besser mit meinem Lieblings-Gewürzmischung Ras-el-Hanout. Dieses Gewürz passt fast überall. Manchmal würze ich damit wirklich alles.
Die Rindswurst vom Rhönhof Wingenfeld ergänzt herzhaft den Eintopf. Ohne sie schmeckt sie mir eigentlich besser.
Übrigens habe ich der Gref-Völsings gerade abgeschworen. Ich finde, dass die Wingenfeld-Würste mindestens genauso gut schmecken, ich kann sie auf dem Weg zur Arbeit kaufen und sie sind Bio. Natürlich vermisse ich die dickbäuchigen, Rindswurst kauenden Handwerker im Laden. Egal zu welche Uhrzeit, standen bei meinen Einkäufen, sie mir zufrieden schmatzend im Weg. Bin gespannt, wie die Gentrifizierung mit dem Schmatzen und noch mehr mit der Art die Rindswurst zu kauen, umgehen wird. Seit dem die EZB-Türme stehen, verändert sich dieser Teil des Ostendes rasant. Der sehr eigenwillige Charme der Ausfahrtsstraße mit wenigen ungewöhnlichen Wohnungen im Hinterhaus, seiner Zeit vorauseilender Geschäftsmodelle, abseitigen Kunstorten (Proberaum des Ensemble Modern in der Schwedlerstraße, wo 1992 Frank Zappa mit ihnen übte) wird von Fitnessstudios, E-Rad-Anbietern, Eigentumswohnungen, teuer-schicken Restaurants verdrängt. Der Geigenbauer, unweit von Gref-Völsings, ist schon lange weg. Dagegen wird Gref-Völsings sicher bleiben. Könnte irgendwann Rindswurst-Manufaktur heißen. Die kauenden Glücksmomente werden dann in kleinere Bäuche geschluckt. Vielleicht weil die Rindswurst, wie eine Abnehmpille wirkt.