Russisches Alphabet_Р
Während meiner Schulzeit in Leipzig in der DDR 1973-1985 besuchte ich eine Klasse mit wesentlich mehr Russisch- und später Englischunterricht, als es normal war. Die Parallelklassen meiner Schule ohne den erweiterten Sprachunterricht hielten uns für staatsnah – dabei den sozialistischen Lebensweg fest im Blick habend – und für sozial höher gestellt. Im schönsten Sächsisch formuliert, fanden sie uns „bekloppt“. Wir waren für sie die „Russen“. Wozu brauchte man in der DDR Englisch? Wollte man damit angeben? Wollte man ins NSA (Nichtsozialistische Ausland) reisen, was nur ging, wenn man politisch ganz auf Linie der SED war? Niemand von unseren befreundeten „Brudervölkern“ in Afrika, Lateinamerika oder Asien sprach Englisch. Und schließlich, wozu brauchte man so viel Russischunterricht? Wollte man Karriere im Staatsapparat machen? Was gefiel einem an den „Russen“? In der späten DDR sah man die „Russen“ bzw. die Soldaten der Roten Armee und ihre Angehörigen nur von weitem in ihren ummauerten Kasernen. Oft waren in den Fenstern keine Gardinen, sondern als Kälteschutz Zeitungspapier. Von nahem, bei von staatlicher Seite organisierten „Freundschaftstreffen“, fielen uns die riesigen Brillengestelle, der Knoblauchduft einzelner Genossen bzw. Komsomolzen, die halben Zigaretten „Machorka“, der Wodka-Konsum, die Pelzmützen Tschapka und das als „Russenpanzer“ titulierte Auto „Saporoshez“ auf. Dies erschien den Meisten peinlich, lächerlich, unmodern und in keinster Weise erstrebenswert.
Neben diesen selbstgemachten Erfahrungen gab es die Staatsideologie der DDR. Sie fasste das Verhältnis zur Sowjetunion „Von der Sowjetunion lernen, heißt Siegen lernen“ zusammen. Alles was aus der SU kam, war gut, und es zu hinterfragen, war praktisch ein konterrevolutionärer Akt.
(„Alles außer Frankfurt ist Scheiße!“ ist inhaltlich davon nicht weit entfernt.)
Die DDR-Oberen in ihrer Borniertheit und politischen Arroganz bewirkten mit ihren Bemühungen, uns die sozialistischen „Bruderländer“ näher zu bringen, das Gegenteil.
Deshalb wurde unsere Klasse als die „Russenklasse“ und wir einzeln als „Russe“ tituliert.
„Russe“ war zu meiner Zeit in Leipzig in der DDR ein Schimpfwort. Und Russisch galt -Ähnliches sagte man über das Tschechische – im Volksmund nicht als Sprache, sondern als „Halskrankheit“.
Ich empfand dies nicht so, aber das ist eine andere Geschichte.