1. Wirklichkeits-Schlag mit Nebelgedanken:
Ich war am Bahnhof, hatte ein paar alte Genossen zum Zug gebracht, die mich für ein paar Tage besuchten…
Wir waren alle ziemlich verbittert, wie die Neugewählten in Berlin mit dem Genossen Bisky umgegangen sind. Aber er hat es ja immer schon gewußt. In seinem Buch
„The show musst go on. Unterhaltung am Konzernkabel: Film, Rock, Fernsehen, neue Medien“
erschienen beim Verlag Neues Leben in Berlin 1984
schreibt er auf Seite acht „Die Leistungen der kapitalistischen Unterhaltungsindustrie werden auch in Fernsehen und Rundfunk der DDR, in unseren Kinos und durch die Schallplattenproduktion verbreitet. Fortschrittliche und im Friedenskampf organisierte Unterhaltungskünstler aus kapitalistischen Ländern haben in unserem kulturellen Leben einen festen Platz. Ihr Anteil an der Gesamtproduktion der kapitalistischen Unterhaltungsindustrie ist jedoch (relativ) gering.“ Wenn man nun ganz unauffällig nicht mal das Subjekt sondern den ein oder anderen Genetiv usw. ändert, kommt folgendes raus:
„Die Leistungen der sozialistischen Parteien werden auch in Fernsehen und Rundfunk der BRD, in unseren Kinos und durch die Schallplattenproduktion verbreitet. Fortschrittliche und im Friedenskampf organisierte Politiker von sozialistischen Parteien haben in unserem kulturellen Leben einen festen Platz. Ihr Anteil an der Gesamtproduktion der kapitalistischen Unterhaltungsindustrie ist jedoch (relativ) gering.“ Und schon hat Lothar -also Genosse Bisky- weitblickend vor mehr als 25 Jahren als Professor für Kulturtheorie an der Akademie für Gesellschaftswissenschaften beim ZK der SED die Gegebenheiten von Heute beschrieben.
Nach den Tränen des Abschiedes ging ich in die Bahnhofsbuchhandlung, um mir solche merkwürdigen Zeitungen und Zeitschriften, wie Freitag oder Der Freund einmal näher anzusehen. Schließlich schweifte mein Blick über die Musikzeitschriften. Ich vertiefte mich in ein Death-Metal-Blatt. Plötzlch roch ich gleich neben mir den Atem des Alkohols. Bekomme ich diesen Kneipengreuch den niemals los, dachte ich, als ich mich umwand. Ich sah einen mittelalten glattrasierten Mann mit rotem Gesicht auf dem hier und da ein paar Pickel glänzten. Die Haare waren gefettet nach hinten gescheitelt. Durch seine dicke Brille sah er sich ein Pornoheft an. Die stereotype Mischung stimmt: Alkoholfahne, um die Fünfzig, vielleicht Familienvater, vieleicht Mamasöhnchen, vielleicht Nichtwähler, ganz sicher keine feste sexuelle Beziehung…
2. Wirklichkeits-Schlag mit ganz kurzem Nachsatz:
In der Straßenbahn der Linie 12 zwischen Nordend und Niederad kann man die Augen zumachen und man weiß so einigermaßen wo man ist. Im Nordend wird meistens deutsch gesprochen. Jüngere Leute reden. Nach der Konstablerwache wird in vielen Sprachen gesprochen. Alle reden laut. Nur das ewige Handyklingeln ist überall gleich… als ich die Augen öffne, sitzt ein Mann, wie ich mir einen Patschune aus Afghanistan vorstelle, neben mir. Er schaut niemanden an. Zuerst blickt er kurz auf sein gekauftes Spielzeug aus einem 1,- Euro Laden. Dann und ich hatte nur drauf gewartet, holt er ein in Leder gebundenes Buch in arabischer Sprache und murmelt dabei nur die Lippen bewegend die gelesenen Sätze. Die stereotype Mischung stimmt: Krausebart, Familienvater, strenger Blick im Bahnhofsviertel, ein in Ledergebundenes arabisches Buch…
Ein wenig später wurde ich übriges kontrolliert, ob ich auch eine Fahrkarte gezogen hatte.
IM Vowi