20 Jahre voll mit Geschichten aus der Volkswirtschaft
Nr. 20: Vowis
„Schnaps für alle? Wann gibt es Freibier?“
Wir, die Kollegen, der Haufen, das Team, die Mannschaft, die Truppe, das Ensemble, die Brigade, das Personal, die Belegschaft, die Bande, die Gemeinschaft, die Meute, die Betriebsangehörigen
= die Vowis:
FBoy, Tina, Andrew, Fopper, Daisy, Armin, Pirkko, Karsten, Kerstin, Mike, Nina, Moni, Vera, Che, Sven Bil., Jadwiga und ihre Schwestern, Stephen, Sven Bra., Name vergessen, Silke oder Sylvia, Micha, Markus, Wiebke, Christian (groß), Christian (klein), Jürgen, Steffi, Helga, Helena, Daniel, Annabelle, Daniel Zipf, Leander, Aleks, Nadja, Kathi, Sabine, Beate, Esther, Joni, Name vergessen, Name vergessen
Bis auf einen, dem wir unterstellten, Geld aus der Kasse genommen zu haben, waren alle helfenden Hände Treibstoff der Kneipe. Zweimal hatte die innerbetriebliche Atmosphäre so viel indirekte Wirkung, dass kurz hintereinander zwei einzuarbeitende Belegschaftsmitglieder schwanger wurden. Niemand hatte die Absicht, eine Familie zu gründen. Ein paar Wochen später sah die Welt vollkommen anders aus.
Jeder half in der Kneipe auf seine Art. Der Arbeitsstill unterscheidet sich bis heute in die Fraktion der Hektiker und die der Phlegmatiker. Natürlich ist die Menge der Arbeit und deren Erfahrung ausschlaggebend. Ein Mittelmaß als phlegmatischer Hektiker erscheint mir am besten. Leider bin ich ganz und gar nicht mittelmäßig.
Das Verhältnis untereinander war gut, selten nur sachlich, meistens sehr gut. In bestimmten Situation gab es Spannungen. Ein Punkt ist Ordnung und Sauberkeit. Dazu kommt der Klassiker, ob einer denkt, mehr zu arbeiten als ein anderer. Diskussionen zwischen Chefs und Belegschaft gab es nur marginal. Mehr trugen zwischenmenschliche Konflikte, resultierend aus nicht geklärten Konflikten oder charakterlichen Schwächen einzelner zu Spannungen bei. Hilfreich ist es, eine Möglichkeit zu haben, darüber sachlich zu reden. Die Vorwürfe im Raum zu lassen oder sie sich abends im stillen Kämmerlein aufzusagen, erschwert alles. In den ersten Jahren wurde reichlichst gesprochen und weniger entschieden. Dies änderte sich, als wir merkten, dass die Entscheidungsfindung mehr Zeit brauchte als die Umsetzung. Anhand unserer Chefsitzungsprotokolle ist dies gut nachlesbar.
Viele der Brigade stehen treu zur „Volkswirtschaft“, heute mehr vor, als hinterm Tresen. Viele sind heute in ihren neuen Berufen für die Kneipe hilfreich, aber machen, wie man am 04.02.17 zur „20 Jahre voll“-Feier sieht, in der Kneipe Dienst.
Liebeleien untereinander und nicht dienstliche Verhältnisse zu Gästen gab es in den ersten zehn Jahren viel mehr als danach. Dies war innerbetrieblich selten anstrengend, aber immer großes Thema.
Der Umgang mit Alkohol war sehr individuell. Obwohl in den ersten Jahren die Bereitschaft zu trinken bei der Mehrzahl wesentlich ausgeprägter war. Dabei entwickelten sich eigenwillige Rituale und Leidenschaften für ganz bestimmte Schnäpse.
Zwei Geschichten möchte ich zum Abschluss erzählen. Sie zeigen an, warum man besser sein Telefon als Chef nie ausmacht, aber auch dass man sich darauf verlassen kann, dass in Abwesenheit das gerade arbeitende Team alle Aufgaben löst bzw. versucht zu lösen, aber nach seiner Art.
Wenigen Monate nach der Eröffnung kam ich am späten Vormittag auf Arbeit. Damals wurde noch viel früher als heute geöffnet. Pirkko, von der ich leider kein Foto habe, stand hinterm Tresen. Sie war klein, sanft, aber selbstbewusst, sehr freundlich und sehr fleißig. Stellt euch eine noch kleinere Björk vor. Der Ausdruck in ihrem Gesicht bei meinem Eintritt schwankte zwischen Hysterie und scheinbarer Souveränität. Die Kneipe war leer bis auf den Tresen. Dort saßen sechs Männer aus dem benachbarten Männerwohnheim für Obdachlose, was heute das Frauenwohnheim ist. Alle schlecht aussehend, alle nicht all zu gut riechend, alle stark angetrunken, alle laut, alle raumgreifend und sich dabei außerordentlich wohl fühlend. Keiner benahm sich direkt ungebührlich, aber der Begriff Spelunke oder Absteige passte hier aufs Wort. Pirkko hatte noch alles im Griff. Es bestand aber die immanente Gefahr, dass alles zur Gänze aus dem Ruder läuft aus irgendeinem nichtigen Anlass. Im Raum standen: aggressiv werden, Zeche prellen, neue Gäste abschrecken. Pirkko versuchte, ihre Arbeit unter diesen extremen Bedingungen sauber zu erledigen, ganz nach Maßgabe.
In der dritten Geschichte aus 20 Jahre voll hatte ich berichtet, wie uns die Deckelmacherei über den Kopf wuchs.
Wir alle mussten im Laufe der Zeit lernen, wie man mit bestimmten Gästen umgeht, und das dieser Umgang abhängig von unseren Ansagen war. Dies betraf die Deckel wie unsere Nachbarn aus dem damaligen Männerwohnheim.
Pirkko und ich lösten die Tresenrunde auf, indem wir kurzerhand „beschlossen“ zuzumachen oder eine Übergabe simulierten. Wir bereiteten eine ungemütliche Atmosphäre dazu (Musik von Zappa, Anfangen mit Saubermachen, Stühle hoch stellen, demonstrativ mit dem Portemonnaie hantieren, Rollläden runterkurbeln. Licht ausmachen bis auf eins), und recht schnell verließen die Männer unsere Kneipe. Problem gelöst, Umsatz gemacht und was dazu gelernt.
Die andere Geschichte fing mit einem Anruf so gegen 04.00 Uhr in der Frühe auf meinem Handy an. Ich wachte mit einem Schlag auf. Die Polizei bat mich, dafür zu sorgen, dass in meiner Kneipe die Musik leiser würde. Es gab Anwohnerbeschwerden über die Lautstärke. Zwar sei das Rollo unten, also der Laden wäre zu, aber es sei trotzdem zu laut. Ich rief in der Kneipe an. Niemand nahm ab. Vielleicht war alles nur ein Irrtum. Es half nichts. Ich musste nach Bockenheim, um nach dem Rechten zu sehen. Dort angekommen, fand ich alles friedlich. Armin machte die letzen Handgriffe. Die Musik lief leise im Hintergrund. Er war sich keiner zu lauten Musik bewusst. Zwar waren bis vorhin noch ein, zwei Gäste da gewesen. Man hätte nach Feierabend auf ein Bier zusammen gesessen und Musik gehört. Aber zu laut? Das Haustelefon habe er nicht klingeln gehört. Vielleicht hat es nicht richtig aufgelegen. Die Geschichte ist aus den Anfangsjahren der Kneipe. Da gab es noch andere Telefone als heute.
So lernten wir die Bedeutung des Telefons kennen, und wie Lautstärke unterschiedlich interpretiert werden kann.
Trotz dieser kleinen, aber in der Menge reichlichen Episoden lässt sich zusammenfassen, dass alle Arbeit erledigt wurde von uns, den Vowis, um die 20 Jahre der „Volkswirtschaft“ voll zu machen.
Ich hebe mein Glas, heute mit etwas anderem als Apfelsaftschorle, dem Getränk meiner Wahl der letzten beiden Jahrzehnte auf unser aller Wohl. Einer geht immer!
Sehen wir uns heute Abend?
Fortsetzung folgt