Sitzplatz-Konzert mit lebendigen Songs
Neil Youngs leider einziges Deutschland-Konzert der Europatour ’08 fand im ICC-Kongresszentrum in (West-)Berlin statt. Ein riesiger, hässlicher 80er(?)-Jahre-Bau im Ambiente einer mal schick gewesenen U-Bahn-Station mit Teppich-Auslegware.
Noch ein Wort zu den Sitzplätzen: Schon schlimm genug, dass man sich nicht vorne an die Bühne stellen darf, sondern gemäß Sitzplatz-Lageplan Tickets der verschiedenen Kategorien zwischen 71 und 117(!) Euro kaufen muss. Ein Ticket der Reihe 1 war dann aber ein Ticket der Reihe 15 oder 20, weil man vor die eigentlichen Sitzreihen noch ein paar Dutzend „Orchestersessel“ (ebay-Preis eines dieser Plätze: 406 Euro) gestellt hat.
Eingezwängt zwischen Alt-Fans (ein Fan, der meistens nicht viel jünger als Neil Young ist und Neil Youngs Musik gerne ganz jung – die „Klassiker“ – hören möchte, wegen der Erinnerungen? Kennt er die neuen CDs?) warte ich auf den Beginn des Konzerts und höre hinter mir einen Landsmann Neils Gitarren zählen mit dem Ergebnis: „Gugge ma, sieme sinns (Kuck’ mal, sieben sind’s)“.
Die Bühne ist teilweise bunt geschmückt mit Buchstabenkunst, der Flügel ist bunt angemalt. Im Lauf des Abends wird auch Neil Youngs Anzug bunt bemalt sein.
Nach der Vorgruppe (angenehme Singer-Songwriter-Lieder mit der sehr schönen Stimme von Pegi Young) kommt das einstündige Acoustic-Set. Mein Nachbar singt mit … brumm. Zum Glück ist die Anlage ziemlich laut und der Sound gut! Der Alt-Fan neben mir wundert sich, dass er nicht alle Songs kennt. Die Songs sind wie immer, wie alles, was ich live von Neil Young höre, von einer großen Intensität. Manche Lieder hören sich so an, als ob er sie zum ersten Mal spielt. Bei den Teilen mit den höheren Stimmlagen baut sich eine Spannung auf, die sich, wie ich finde, am besten bei den Liedern, die er nur mit der Gitarre begleitet, am besten zeigt.
Auf der Bühne steht ein Maler mit Hut auf dem Kopf, der es schafft, zwei Stunden lang eine Flugente (Acoustic-Set: schwimmende Ente, Electric-Set: Es folgen die Flügel.) zu malen. Auf der Suche nach dem nächsten Song geht Neil an ihm vorbei und schaut ihm über die Schulter.
Nach der Pause beginnt das Electric-Set mit „Mr. Soul“ und ich denke, jetzt geht’s richtig los! Ich hatte schon befürchtet, dass ich noch schunkeln muss, es wird auch öfter mal im Rhythmus geklatscht. Spätestens bei „Hey Hey, My My“ (zwar nicht mein Lieblingslied) muss ich ein bisschen Enthusiasmus zeigen – old men, erhebt euch!
Die Höhepunkte sind: „Down By The River“, „No Hidden Path“ (von der neuen CD „Chrome Dreams II“ und zuletzt „Rockin’ In The Free World“.
Alle Mitmusiker des Abends sind langjährige Weggefährten von Neil Young und haben eine wichtige Rolle in seinem Gesamtmusikwerk gespielt. Sowas wie eine Musiker-Familie; sie stehen bei den legendären Gitarrensound-Soli, die einen Song gut 20 Minuten lang werden lassen können, sehr eng beisammen.
Neil Young zeigt eine unglaubliche Stetigkeit, die ehrlich und unprätenziös erscheint. Er hat es nicht nötig, seine Musik zu konservieren, er muss nicht auferstehen, er macht ja auch keine Abschiedstouren – der Song lebt!! Vielleicht ist es das, was Neil Young mit „It’s all one Song!“ meint.
Vor Ort war exklusiv für die Vowi Pocahontas.
[youtube http://www.youtube.com/watch?v=K5yYi6F3Uis]