Kategorie: Russisches Alphabet

Geschichten und Gefühle über Russland anläßlich der Fußball-WM 2018

Владимир Владимирович Маяковский

Russisches Alphabet_М

Ziemlich groß, hager, markantes eindringliches Gesicht, nichts Weiches im grimmigen Blick:
Wladimir Majakowski.
Seine dichterischen Arbeitsgeräte waren im übertragenen Sinn Pressluftbohrer und Stahlhammer und nicht die feine spitze Feder. Für die Revolution kann es nicht laut und grell genug sein.
Die Revolution soll er wie sein eigenes Haus betrachtet haben. Er wohnte darin.
Seine Gedichte, Bilder, Karikaturen und Dramen werden heute bestenfalls aus seiner Zeit gesehen. Seine Zeit war endlich.
Er passte nicht mehr in den sich schnell wandelten Zeitgeist nach Lenin, der 1924 starb und schon Monate vorher außer Gefecht war. Sein Nachfolger Stalin verband sich mit denen oder mit jenen in der Parteiführung, die dann nach getaner Arbeit ebenfalls verfolgt, ins Lager gesteckt und umgebracht wurden.
Majakowski merkte dies sehr wohl. Verworrene Liebesgeschichten, mangelnde Anerkennung, die Karawane war längst weitergezogen, der Hund Majakowski bellte noch immer.
Er erschoß sich 1930.

Seine Gedichte wirken seltsam gehetzt, im Staccato-Rhythmus. Mich erinnern sie an Rap/Hip Hop. Aber nicht weichgespült. Vielmehr läuft bei ihm die Waschmaschine auf vollen Touren bei 90 Grad.
Hier wird nicht erzählt, hier wir angeklagt, aufgerufen, aufgefordert, angeprangert, übertrieben, eingefordert:
Jim Morrison, der viel zu früh verstorbene Sänger der „Doors“, forderte im Lied „When the music’s over“, „Wie want the world and we want it now!“ Mehr wollte Majakowski auch nicht.

Вл._Маяковский

In seinem Poem „Der Fliegende Proletarier“ entwirft er eine Zukunftsvision des vereinigten Weltproletariats. Was Majakowsi 1925 verfasste, klingt dennoch nicht fremd, durchaus modern, agitatorisch, wissenschaftsgläubig, witzig:

Morgens
Um Achte.
Ertönt der Radioweckuhr:
„Genosse – geruhen ruhig runter vom Ohr!
Der Kittel lässt bitten.
Noch irgendein Weckauftrag nicht übermittelt?
Bis dahin, dann! Priwjet!“
Schlaftrunken aber flugs in die Spur
drückt der Bürger den Knopf zur Elektrorasur.
In einer Minute – frisiert ein so glattes Kinn
kriegt selbst Genossin Venus von Milo nicht hin.
Der Stecker zur Buchse und Lippen gewendet:
und die Strombürste -zupp!- bringt ein Lachen, das blendet.
Es braucht keinen Diener! Bedient er den Anlasser
schon prasselt das Bad selbst sein Warmwasser.
Da fliegen ihm Seifenflocken –
und los geht’s: mit Schrubben und Trocknen.

aus Wladimir Majakowski, Der Fliegende Proletarier, Berlin 2015, S. 58-59

[youtube https://www.youtube.com/watch?v=pkylMafbKDY&w=560&h=315]

Лена

Russisches Alphabet_Л

1956 wurde in Ungarn ein Aufstand, der die politische Unabhängigkeit proklamierte, von der eingerückten Roten Armee niedergeschlagen. Der gewählte Präsident wurde abgesetzt und später erschossen.
Mindestens 2500 Ungarn sowie hunderte Soldaten der Roten Armee wurden getötet. Von vielleicht 9,5 Millionen Einwohnern flohen über 200.000 nach Österreich und in die ganze Welt.

Für uns DDR-Bürger war Ungarn immer ein ganz besonderes Land. „Die lustigste Baracke“ wurde es innerhalb der sozialistischen Staaten genannt. Es gab mehr westliche Produkte zu kaufen, es wirkte offener und unverkrampfter.

Nun gibt es bis heute eine ungarische Rockgruppe mit Namen „Omega“. Eine elegante Mischung aus charismatischem Sänger, Kunstrockeinflüssen und interessanter Popmusik machten sie auch bei uns bekannt, obwohl sie keine Indie-Band waren. Sie touren bis heute.
Ein Lied mit Namen „Lena“ ist einer ihrer bekanntesten. Den Text verstand ich nicht, wie ich auch das ganze Lied eigentlich nie begriff.
Wir wussten, dass in Ungarn die „Russen“ verhasst waren. Viele DDRler konnten Russisch. Aber man erzählte sich, das man in Ungarn nie versuchen sollte, Russisch zu reden. Bestenfalls würden die Ungarn nicht reagieren.  Im schlimmsten Fall gab es Prügel.
Wie also konnte dann eine etablierte ungarische Band ein Lied mit einem russischen Mädchennamen schreiben? Dazu gab es im Lied diverse klare Zitate der russischen „Populärkultur“: Der Wind pfeift, Wölfe heulen, man hört Pferdeglocken ohne Hufeinschläge, was an den Russischen Winter erinnert. Der Gitarrist imitiert die schnellen Noten einer Balalaika, was wir zungenfertig jederzeit nachmachen konnten und was als Code für Russland stand. In der Mitte des Liedes gab es einen längeren Instrumentalteil, der ein wenig an Pink Floyd oder an Genesis erinnert. Er wird wiederum von einem an den orthodoxen Ritus erinnernden Männerchor umhüllt.
Ich fragte mich, wie konnte Omega so ein Lied aufnehmen, ohne Hintergedanken zu haben. Wie konnte ein Lied zu einem Hit der Gruppe werden, was jeder in Osteuropa mit der Sowjetunion/Russland verband? Singen sie über vollkommen Banales, oder gibt es versteckte Botschaften? Ich weiß es bis heute nicht.
Im Lied wird über Lena, Dimitri und ein lyrisches Ich erzählt. Irgendwann ist einer von den dreien weg, und das war es.
Neben dem Original-Video der Band von Mitte der 70er haben Omega nach der Wende einen neuen Film zum Lied gedreht. Zu sehen sind drei Häftlinge im Winter im Lager. Eine und später zwei junge Wärterinnen, denen nicht zu kalt ist, machen sich über die Gefangenen sexuell lustig.

Léna
Text: Gábor Várszegi
Deutscher Text: nach einer „Spezial“-Sendung der Sendereihe „Trend – Forum populärer Musik“, Berliner Rundfunk, 1987

Der Schnee fällt, der Wind weht,
Dimitri erzählt von Lena.
Ich höre zu und sehe Lena auf meinem Bett.
Damals wartete sie noch.
Die Troika flog über den frischen Schnee.

Das war ein Winter, ein schrecklicher Winter.
Dimitri erzählt, ich höre zu.
Eines Morgens war Lena nicht mehr da.
Sie hat länger nicht mehr gewartet.
Und die Troika stand im frischen Schnee.

Der Schnee fällt, der Wind weht,
Dimitri erzählt von Lena.
Ich höre zu und sehe Lena auf meinem Bett.
Damals wartete sie noch.
und die Troika flog über den frischen Schnee.

Quelle:
https://berndreichert.de/deutsch/omega/frames/texte.htm

 

Omega

Omega, Lena, 1977

 

[youtube https://www.youtube.com/watch?v=SaRz7iB0Png]

[youtube https://www.youtube.com/watch?v=mQ-xue_dZgE]

Чай

Russisches Alphabet_Ч

Vor etwa vierhundert Jahren war der damalige „Bundeskanzler“ von Sachsen August Christo Reinmass, auch bekannter als August der Starke, weil er mehr Zieglein als ein mißliebiger Konkurrent hochheben und geschmort verspeisen konnte, mal wieder in Leipzig. Sein Weg führte ihn zwischen Nikolai- und Thomaskirche in ein Lokal, namens Coffewirtschaft. Er mochte diese Stadt mehr als seine Residenzstadt Dresden. Die Leipziger schienen ihm offener (durch ihre Messe), sprachgewandter (Hä? anstatt Nu!) oder druckten die besseren Schriften in ihrer Presse (Meyer „Als wir offen waren“ contra Tellkamp „Mein Land soll eine Festung sein!“). Und in diesem merkwürdigen Spiel aus dem neuen Indien, dessen Namen (Ron…Roc…Roko…) ihm gerade nicht einfiel, sollten die Leipziger geschmeidiger und besser aussehen, nur leider erfolgloser sein. Allerdings fand er sich dabei, ohne Perücke zu zeigen, eine neumodische Unsitte. Im Gegenteil, sich seine Perücke an den Spitzen zu erhellen, wie es ihm ein Galgenvogel aus Portugiesisch-Madeira vorgeschlagen hatte, gefiel ihm.
Aber er durfte nicht abschweifen, seinen Gedanken freien Lauf lassen. Später, vor dem Zu-Bett-Gehen bei seiner Yogastunde mit einer Tasse Chai, dann könnte er sie kreisen lassen.
Zu spät. Im Kreis: Chai aus seinen feinen Porzellan-Tassen. Aber es war nicht sein Porzellan. Er musste es, wie seinen Yogameister aus dem fernen China, herbeiholen lassen, genau wie den Chai. August aber wollte sein eigenes Porzellan und nicht diesen Grünen, Schwarzen oder Weißen Chai. Er trank ihn mit viel Milch und viel Zucker. Zucker war teuer. Teurer als seine Hofkapelle in Dresden mit Heinichen und Zelenka. Gab es da nicht diesen Kantor und Organist hier in Leipzig. Sicher schlecht bezahlt und furchtbar – wieder so etwas Neumodisches – sprituell. Er würde die Schneider fragen. Seine Gräfin Schneider. Aber die weilte auf ihrem Landgut in Pillnitz. Sie gab vor, sich um ihre Weinberge zu kümmern. Hatte aber anderes im Sinn. Angesteckt durch einen neuen Spleen, wollten die Frauen jetzt schmal und gräßlich dünn sein. All das, was ihm Wonne und Muße bereitete, wollten sie weg hungern durch Wasser anstatt Zieglein und Yoga anstatt Wein. Konnte sie ihm dann schmallippig mit so viel Esprit Contra geben, wie er es von ihr gewohnt war und so sehr mochte?
Gut nun. Er hatte bis jetzt kein eigenes Porzellan. Dafür diesen gruslischen Tee von den Moskowitern, diesen Wassertrinkern. Er hatte die polnischen Ländereien. Dafür musste er den katholischen Glauben annehmen in seinem protestantischen Sachsen. Er hätte gerne mehr von der Schneider gehabt. Sie erschien ihm wie eine Traube bei Frost gelesen. Sie wurde immer blasser, aber spät gelesen am süßesten. Dies durfte er nur denken, nicht laut aussprechen. Die Frauen im Amt würden ihn an den Pranger stellen. Er musste Geduld aufbringen, die er leider nicht hatte. Er wollte den Chai nicht vor sich haben, um dann zu warten, weil er ziehen muss. Er wollte alles und zwar gleich.
Man bringe ihm dieses neue Getränk von den Türken und keinen Chai, forderte August nachdem er das stille Örtchen besuchte und verwundert die Kritzeleien dort gelesen hatte: GOAT und darunter „August ohne a tateratata“. So ein Quatsch. Er hasste dieses preußische Militärgedöns.
August bestellte sich zum ersten Mal in Leipzig einen Coffee, und dann dauerte es gar nicht mehr so lange, bis aus den Sachsen die Kaffeesachsen wurden, denen auch der grusinische Tee in der Mitte des 20. Jahrhunderts nichts anhaben konnte.

Was erfunden wird, ist nicht gelogen! (Russisches Sprichwort)

Schwarzteemischung aus der DDR

Schwarzteemischung aus der DDR

Unerträgliche DDR-Popband Kreis mit dem Lied „Grusinischer Tee“, der umgangssprachlich „Gruslische Mischung“ oder auch „Der Dreck aus der Teefabrik“ genannt wurde:
https://www.youtube.com/watch?v=44QjSwNhxLY

Kabarettist Uwe Steimle über Sächsisch:
[youtube https://www.youtube.com/watch?v=EQUnU3kXbsg&w=560&h=315]

Фридрих Наумович Горенштейн

Russisches Alphabet_Ф

Unter der Vielzahl der weltbekannten russischen Schriftsteller ist Friedrich Gorenstein ein selten Genannter. Er lebte von 1932-2002. Seine letzten Jahre verbrachte in Berlin.
Mein Lieblingsbuch von ihm heißt:
„Psalm. Ein betrachtender Roman über die vier Strafen Gottes.“
Mit erzählerischer Klasse und epischer Wucht schafft er es, sowjetische Geschichte (etwa 1930-1970) anhand von Einzelschicksalen in eine Art sehr eigene alttestamentarische Weltgeschichte einzuspannen. Genaue, sarkastische, manchmal witzige Alltagsbeschreibung geht mit den schrecklichsten Leidenswegen der Protagonisten Hand in Hand. Dan, der Teufel, der Gegengott, der Antichrist, wird Zeuge, und ausführendes Organ, um die vier Strafen Gottes (Schwert, Hunger, Wollust, Pestilenz) über das gottlos gewordene Russland zu bringen.
Durch dieses Stilmittel beschreibt Gorenstein jene Jahrzehnte, als ob er mit dem Fernglas durch die Weltenzeiten schaut. Er ist nah genug, um alles zu sehen, aber weit genug, um den „Blues“ zu spielen.
Seine Bücher würden sich gut zum Verfilmen eignen. Seine dialoghafte und von erzählerisch einführenden Passagen unterbrochene Schreibweise ist bildlich scharf und genau. Gorenstein hat für den Regisseur Andrei Tarkowski und für andere Filme Drehbücher geschrieben.
Leider gibt es diese Buch aktuell nur antiquarisch zu kaufen. Ich kann es Euch gerne ausleihen.

Мемориал

Russisches Alphabet_М

Der Umgang mit Geschichte im Studierzimmer ist einfach. Der Elfenbeinturm der Wissenschaft ist verwinkelt. Man gönnt dem Anderen seine Nische, wenn er sich nicht zu breitmacht. Der Prof ist meistens nicht da und interessiert sich für seine Doktorand vielleicht als Mann oder Frau, aber nicht – zu Recht – für dessen eher mäßige Wissenschaft.
TV-Serien zur Geschichte haben es einfacher. Sie müssen es nicht zu genau nehmen. Die Daten sollten stimmen. Den Dreck unter den Fingernägeln vergangener Jahrhunderte könnte man in HD gut sehen, aber die Dekoration gefüllt mit Plüsch, Muskeln oder nackter Haut ist wichtiger. Ist verständlich. Ich will ja auch nicht ständig an die Arbeitsbedingungen der chinesischen Arbeiter, die mein iPhone herstellen, erinnert werden.

Was mache ich jetzt mit dieser nervigen Geschichte?
Ich kann sie
leugnen, totschweigen, kleinreden, relativieren (um sie umzudeuten) oder an sie erinnern, darstellen (von vielen Seiten), aufschreiben und nicht vergessen.

Im Gastgeberland der Fußballweltmeisterschaft 2018 wird versucht (ähnlich wie gerade in Polen oder der Türkei), die eigene Geschichte umzudeuten. TV-Serien sind dafür ein wirksames Mittel. Später gibt es neue Lehrpläne in den Schulen. Dann werden missliebige Museumsdirektoren der zeitgeschichtlichen Museen ausgetauscht. Und schön gärt dieses Gemisch.
Ich darf dies hier in Deutschland alles so schreiben. In Russland könnte ich dafür vielleicht Ärger bekommen. Denn ich wäre als halbstudierter Historiker vielleicht in Moskau lebend bei dem Verein Memorial. Dieser kümmert, erinnert und erforscht neben der russisch/sowjetischen Zeitgeschichte ebenso aktuelle Menschenrechtsverletzungen in Russland. Die Organisation steht aktuell auf einer beim russischen Justizministerium einsehbaren Liste von ausländischen Agenten. Weil Memorial Spenden aus dem Ausland (Sorros-Stiftung, Heinrich-Boll-Stiftung, Privatperson Karsten Maaß) bekommt, in Russland registriert und dort politisch aktiv ist, wird seine Arbeit beobachtet und eingeschränkt.

Die Umdeutung der russischen Geschichte findet aktuell statt. Sinnigerweise ist sie mit zwei weiteren Buchstaben (Themen) des Russischen Alphabets verbunden: 100 Gramm Wodka und dem Maler Ilja Repin.
Vor kurzem wurde sein Bild „Iwan der Schreckliche und sein Sohn Iwan am 16. November 1581“, welches in Moskau in der Tretjakow-Galerie hängt, von einem Besucher beschädigt. Zur Stärkung trank er davor 100 Gramm Wodka. Als Grund nannte er, dass auf dem Gemälde einiges falsch sei. Ohne näher darauf einzugehen, passt das Ziel des „Bildattentat“ zu Äußerungen von bekannten Geistlichen und Politikern u.a. Iwan den Schrecklichen und seine Zeit nicht mehr so „schrecklich“ darzustellen, wie bisher. Positive Bezüge zur Geschichte werden gesucht und, falls nicht vorhanden, geschaffen.

„Memorial“ hilft, Geschichte nicht zu vergessen.

REPIN_Iwan der Schreckliche

Ilja Repin, Iwan der Schreckliche und sein Sohn Iwan am 16. November 1581

Владимир Семёнович Высоцкий

Russisches Alphabet_В

Ich kann Wolf Biermann nicht leiden. Dieser arrogante und selbstherrliche Moralapostel, der sich als Mittelpunkt der Welt sieht. Sein echauffierendes Lachen bei Interviews im Radio, die zum Glück seltener werden, klingt mir im Ohr.

Als moralische Instanz, als Finger-auf-die-Wunde-Legender hat er dagegen Bedeutendes geleistet. Er ist als Sänger seiner eigenen Lieder in Deutschland berühmt. Seine letztens erschienene Autobiographie „Warten nicht auf bessere Zeiten“ soll sehr lesenswert sein.

Die Art und Weise seines Gesanges erinnert stark – ich sage, dass es einfach geklaut ist – an den größten sowjetischen Liedermacher, Chansonier, Sänger und Schauspieler Wladimir Wyssozki. Sein rauher, gepresster Ton, an eine Schlagfolge beim Boxkampf erinnernd, der vortragende Stil, das Lässige dabei, garniert mit fast schon kitschigen Momenten des Innehaltens machten seine Lieder zur Blaupause eines Genre. In seinen Texten erschienen Probleme und soziale Gruppen, die es eigentlich in der Sowjetunion nicht hätte geben dürfen. Wladimir Wyssozki hat’s erfunden und kleine Würdenträger, wie der Besserwisser aus Hamburg, machen es nach – behaupte ich.

Wyssozki starb viel zu früh 1980. Sein Leben auf der Überholspur, immer die lässige Kippe im Mundwinkel und das Saufen forderten ihren Tribut. Das Todesdatums passte den Entscheidern in der Sowjetunion überhaupt nicht. Gerade fanden Olympische Spiele statt. Es galt der Welt das herrliche Dasein zwischen Brest und Wladiwostock zu zeigen und nicht den am Suff gestorbenen Wyssozki. Deshalb schwieg man sich in der Hoffnung, dass es niemand groß bemerken würde, aus. So war es 1953, als der Komponist Sergei Prokofjew am selben Tag wie Josef Stalin starb, und so wurde es einige Jahre vorher in der DDR beim Tode des halb in Ungnade gefallenen ehemaligen Vorsitzenden der SED und Staatsratsvorsitzenden der DDR Walter Ulbricht praktiziert. Dessen Tod wurde einfach später verkündet, damit die zeitgleich stattfindenden Weltfestspiele der Jugend 1973 ungestört durchgezogen werden konnten. Bei Wyssozki klappte dies nicht. Sein Tod brachte tausende, vielleicht zehntausende Menschen spontan auf die Straße, die Abschied nehmen wollten. Die Staatsmacht konnte nichts machen, der Ohnmacht nah.

Wladimir Wissozky

Wladimir Wissozky, Wir drehen die Erde

[youtube https://www.youtube.com/watch?v=oXl5ixBtjpY&w=560&h=315]

[youtube https://www.youtube.com/watch?v=QJcdDvaPtZs?start=33&w=560&h=315]

Сто граммов

Russisches Alphabet_С

Stimmt schon, wir Kneipenwirte leben vom Alkoholverkauf, der auch den Missbrauch einschließt. Ich gebe es zu. Kann es nicht ändern. Habe hin und wieder Einspruch erhoben, ins Gewissen geredet, auf das Kontrastprogramm Apfelsaftschorle hingewiesen mit mäßigen Erfolg.

Mein gewisser Abstand zum umsatzsteuerpflichtigen Eigenverbrauch von Alkohol liegt, wie so oft, in der DDR begraben. In jungen Jahren (ich war sechzehn, siebzehn) besuchte ich an einem Samstagmorgen im Leipziger Osten einen um drei Ecken mir Bekannten. Wir tauschten Schallplatten mit Rockmusik. Damals Mitte der 80er gab es nichts Digitales in meiner Welt. Schallplatten aus dem „Westen“ waren rar. Sie gab es nicht zu kaufen. Deshalb wurden sie für viel Geld schwarz gehandelt oder getauscht. Besagter Bekannter war vielleicht Mitte zwanzig und wohnte mit seiner Frau zusammen. Er entsprach von seinem Äußeren dem DDR-Blueser bzw. Hippie: lange Haare, Jeans, Fleischerhemd, Jesuslatschen. Seine Laune war schlecht. Im schweren Sächsisch schnauzte er seine Frau an. Bereits jetzt am Morgen trank er Bier, und in der Wohnung roch es nach Schnaps (Klarer oder Pfeffi). Ich spürte weder Freude oder gar Begeisterung über die von mir mitgebrachten Scheiben. Mein Bekannter war bereits am Morgen schlecht drauf, seine Frau hatte es auszubaden, soff und interessierte sich für mich oder die Schallplatten wenig. So wollte ich nie werden.

In der DDR wurde viel getrunken. In Russland wurde und wird noch viel mehr getrunken. Ich erinnere mich, dass meine Mutter, die aus beruflichen Gründen öfters mit Kollegen aus der Sowjetunion zu tun hatte, immer in Sorge über den übermäßigen Schnapskonsum bei festlichen Anlässen war. Leonid Breschnew als Generalsekretär der Kommunistischen Partei und Boris Jelzin, als Präsident hatten öffentliche Alkoholprobleme.

100 Gramm ist ein Synonym. Es bedeutet 0,1 l Wodka. In der Vowi wäre dies ein zur Hälfte gefülltes kleines Wasserglas voll Wodka. Wodka wird bei uns in 0,02 l Gläsern ausgeschenkt.

Die Lebenserwartung in Russland beträgt etwa 70 Jahre. In Deutschland sind es 80 Jahre. Wenn man nach Frauen und Männern unterscheidet, ist der Abstand weit größer.

Putin gilt in seiner Heimat als attraktiv, weil er u.a. nicht trinkt.

Gestern, wie Heute.

ca. 1986, junge Leute machen bei Leipzig Musik, ein Bierfass wurde besorgt und das Bier in 0,3 L Flaschen gezapft, schäumt ziemlich, egal, funktioniert

0,02 l (Vowi), 0,1 l (Russland), Litauischer Wodka 0,7 l, Hintergrund die Kneipe, Foto von Sven Bratulic

Привет!

Russisches Alphabet_П

Putin soll damals Ende der 80er in Dresden (für die ganz Blöden Dresden liegt in Sachsen), als er im Import/Export-Bereich in der Abteilung Information tätig gewesen ist, mit seinem Deutsch nicht weit gekommen sein. Er hat keinen verstanden, heißt es.

Mir geht es genauso. Mir = Millionen Ostdeutsche (außer Angela Merkel und Karsten Maaß), die Russisch in der Schule gelernt haben sollten, aber diese Stunden einfach verpennten. Wer wollte schon Russisch lernen und wozu überhaupt – dazu später mehr.

Und jetzt die WM in Russland.

Zwischen Kopfschmerzen (Sprache), Wut (Anzahl der Spiele, Anstoßzeiten) und Häme (zwei europäische Mannschaften fehlen) bringen zwei Lieder diese Gefühle zum Ausdruck. Das erste Lied können die Landsleute aus Halle, Leipzig, Zittau in anderen Lokalen unweit der Vowi mitsingen. Das zweite drückt aus, dass irgendwie.. wir doch… alle traurig über Abwesende, die weltpolitische Lage, den Zustand der SPD und eben so ganz allgemein angepisst sind. Wer wird schon gerne von seiner Russischlehrerin im Unterricht geweckt, als er von ostdeutschen Südseen vielleicht von Rügen träumte.

Deshalb gibt es zur WM in der Vowi bildlich ab Freitag und hier virtuell zwischen den Spielen das Russische Alphabet nicht vollständig und recht subjektiv neu buchstabiert.
Mittippen könnt ihr natürlich!

Die Vowi zeigt alle Spiele und hat pünktlich zu den ersten Anstoßzeiten 12.00 Uhr, 14.00 Uhr oder 16.00 Uhr bereits offen. Dafür machen wir nach Mitternacht etwas eher zu.

Bildschirmfoto 2018-06-13 um 10.42.25

[youtube https://www.youtube.com/watch?v=7nntOwlyBCc&w=560&h=315]

[youtube https://www.youtube.com/watch?v=qGUugYvB4S0&w=560&h=315]

Sonntag, 22. September 2002

Martin -in Bockenheim auch unter dem namen Hausi bekannt- hat in dieser Woche Claudia geheiratet. Dazu gratulieren wir herzlichst!

Kleines Portmonaise – große Hochzeit!

Liebe, Zärtlichkeiten oder gar Sex sind selten aufgeführte Dinge auf diesen Seiten. Zum einen geschieht dies aus Taktgefühl, aber oft genug auch aus Mangel an Gelegenheiten: Küsse sind selten, Zärtlichkeiten sind sehr selten, schmachtvolle Blicke sind ganz, ganz selten, Sex in der Vowi war bisher so oft wie das Stimmergebnis der NPD und der Schill-Partei im Wahlkreis 221-01 (Nordend-Ost in der Hans-Böckler-Schule). Deshalb ist es für uns eine ganz besondere Freude, daß Claudia und Martin zusammen gefunden haben, denn ein wenig war daran auch die Vowi „schuld“:
In gerade zu Puschkinscher Manier (ein Schreiberling des 19. Jh. aus Rußland) tobte das Wetter wie die Sinne in jener Nacht. Die Postkutsche hielt und sollte die junge Gräfin in eine weit entfernte Stadt bringen. Dort wartete nichts auf sie, außer ein paar großen Fenster, die es zu putzen galt. Ihr Nachbar war ein Forschungsreisender, der zu meist im Ausland weilte und sich höchst selten mit ihr zum Plaudern traf. Ganz anderen Blute entsprang der Edelmann, der nun um sie buhlte. Weder war er maulfaul, noch weilte er öfters in den Ländern nordwestlich von uns. Sein gepflegtes Äußeres hielt jeden Blick stand. Nur sein Portmonaise war so klein, daß es kaum den nötigen Inhalt barg den er zu begleichen hatte. Die Wirte im Gasthaus -ein wilder Tartar und sein indianisch aussehender Gesell- gaben sich alle Mühe. Sie sahen sehr wohl, daß sich hier zwei gefunden hatten. Und die Nacht draußen war viel zu dunkel und zu kalt, als daß nicht die Wärme der beiden Herzen bald das ganze Haus erleuchtete.

IM Vowi

Ein gute Wahl! Verdient gewonnen um damit weiterzumachen, was in den letzten vier Jahren angefangen wurde.

Karsten